| # taz.de -- Kritik an Gesetzentwurf zu Fesselung: Der Jugendhilfe-Bumerang | |
| > Hamburger Professoren wollen ein Bundesgesetz stoppen, das körperliche | |
| > Zwangsmaßnahmen in Heimen legalisiert. Eigentlich ist es dafür aber fast | |
| > schon zu spät. | |
| Bild: Könnte in der Jugendhilfe künftig häufiger geschehen: Fesselung | |
| hamburg taz | So gut wie verabschiedet ist eine Änderung des Bürgerlichen | |
| Gesetzbuches (BGB), die erstmals Fesselungen und andere Zwangsmaßnahmen bei | |
| Kindern und Jugendlichen regelt. Nun gibt es den aus Hamburg initiierten | |
| Appell [1][„Kein Fesseln auf Antrag in der Kinder- und Jugendhilfe!“], der | |
| das Gesetz in dieser Form stoppen soll. „Wir sehen zwar die gute Absicht“, | |
| sagt Professor Michael Lindenberg von der Evangelischen Hochschule für | |
| Sozialarbeit, „aber wir befürchten, dass dieses Gesetz eine sehr | |
| problematische Praxis in Heimen legitimiert.“ | |
| Weitgehend unbeachtet, ohne Debatte wurde im Bundestag am 9. März eine | |
| Ergänzung des Paragrafen 1631 b BGB in erster Lesung verabschiedet. Demnach | |
| soll künftig die Genehmigung eines Richters nötig sein, wenn einem Kind in | |
| einem Krankenhaus oder Heim auf Antrag der Eltern „durch mechanische | |
| Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise“ die Freiheit entzogen | |
| werden soll. | |
| ## Das Gesetz soll Freiheitsentzug eindämmen | |
| Das Bundesjustizministerium hatte im Vorweg Experten der Psychiatrie | |
| angehört, wo solche Praktiken in medizinischen Ausnahmefällen angewandt | |
| werden. Diese hatten hier eine Regelungslücke beklagt. Denn Eltern würden | |
| zum Beispiel auch in der Behindertenhilfe oft unter Druck gesetzt, ihre | |
| Zustimmung zu solchen Maßnahmen zu geben, hieß es. Durch die Einschaltung | |
| des Gerichts erhofft sich die Bundesregierung nun eine Eindämmung solcher | |
| Praktiken. | |
| Nur an der Kinder- und Jugendhilfe, deren Dachverbände auch zur | |
| Stellungnahme aufgefordert wurden, ging die Sache offenbar vorbei. | |
| Lindenberg und sein Kollege Tillmann Lutz wurden erst durch [2][einen | |
| Bericht der taz] aufmerksam. Beide arbeiten im „Aktionsbündnis gegen | |
| geschlossene Unterbringung“ mit und erstellten in dessen Auftrag eine | |
| kritische Stellungnahme, die in Windeseile 150 Unterstützer fand – darunter | |
| allein 50 Professoren aus der ganzen Republik und ehemalige Heimkinder. | |
| ## Befürchtung: Mehr statt weniger Zwangsmaßnahmen | |
| „Die Begründungen der Entwürfe lesen sich zunächst vernünftig“, heißt … | |
| dem Text. So werde zwar das Problem aufgegriffen, dass es bei Kindern, | |
| anders als bei Erwachsenen, bisher keine richterliche Genehmigungspflicht | |
| gibt, doch durch die rechtliche Regulierung würden solche Maßnahmen „nicht | |
| begrenzt, sondern legitimiert“ und auf diese Weise „aus dem Souterrain der | |
| Jugendhilfe in die gute Stube der Pädagogik gehoben. Aus einer verschämten | |
| Praxis wird eine offene Praxis.“ | |
| Weiter heißt es: Dass freiheitsentziehende Maßnahmen in der Jugendhilfe | |
| menschenrechtsverletzende Praktiken seien, hätten nicht nur die „schwarze | |
| Pädagogik“ der 1950er- und 60er-Jahre, sondern auch die jüngeren | |
| Heim-Skandale erwiesen. Dazu zählten „das schmerzhafte und langandauernde | |
| Festhalten von jungen Menschen durch mehrere Personen mit entsprechenden | |
| Griffen und die Fixierung auf Liegen“. Solche Maßnahmen führten zu | |
| Traumatisierungen und könnten kaum von außen kontrolliert werden. Daran | |
| werde auch ein Richtervorbehalt „nichts ändern“. | |
| Zu den Unterzeichnern gehören auch zwölf Institutionen, darunter die | |
| Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen, der größte | |
| Fachverband für Erziehungshilfe. Sie kritisieren, dass just die | |
| sozialpädagogisch orientierte Jugendhilfe, die „auf solche Maßnahmen | |
| ohnehin verzichtet und alternative Praxen anbieten kann“, nicht angehört | |
| wurde. „Es gab keine länderübergreifende, interdisziplinäre Fachdebatte.“ | |
| Als Vertreter der Forschung fordern sie ein „klares und umfassendes Verbot“ | |
| von Fesselungen in der Jugendhilfe. | |
| Wie berichtet, sieht auch die Linke im Bundestag Diskussionsbedarf. Der | |
| Abgeordnete Jörn Wunderlich wollte sich für eine Anhörung im | |
| Rechtsausschuss stark machen. „Es wird nun am 27. April im Ausschuss ein | |
| erweitertes Berichterstattergespräch geben“, sagt Wunderlich zur taz. Dort | |
| werden auch Sachverständige gehört, welche, stehe noch nicht fest. Danach | |
| könnte das Gesetz im Sommer verabschiedet werden. Michael Lindenberg hat | |
| seinen Appell nun an die Vorsitzende des Rechtsausschusses Renate Künast | |
| (Grüne) geschickt. „Ich hoffe“, sagt er, „das man unsere Sichtweise ernst | |
| nimmt.“ Denkbar ist auch, dass das Gesetz vor der Bundestagswahl im | |
| September nicht mehr fertig wird. | |
| 6 Apr 2017 | |
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| ## AUTOREN | |
| Kaija Kutter | |
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