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# taz.de -- Ex-CIA-Agent zu Überwachung: „Obamas Angst vor Geheimdiensten“
> Wenn Gestapo oder Stasi zu viel Macht haben, endet das im
> Überwachungsstaat. Ein ehemaliger CIA-Mitarbeiter meint, genau davor
> sollten die Europäer die USA warnen.
Bild: Technik, die begeistert: Die Abhörmethoden werden immer perfider
taz: Herr McGovern, sind die Enthüllungen über das Abhören von Angela
Merkels Telefonen Washington bloß peinlich? Oder ist das eine Katastrophe?
Ray McGovern: „Katastrophe“ wäre übertrieben. Aber es gibt hier
verschiedene Aspekte. Ein wichtiger ist, dass die Presse keinen objektiven
Einblick vermittelt. Die Medien betreiben Rufmord an Edward Snowden,
anstatt der Frage nachzugehen, was es bedeutet, einen Überwachungsstaat zu
haben, wo die Telefonnummer und E-Mails von jedem abgefangen, gelagert und
manchmal beobachtet werden.
Kann etwas Gutes aus dieser Situation herauskommen?
Das hängt davon ab, ob die Leute in der Lage sind, zu erkennen, dass ihre
eigene Freiheit durch die Schleppnetzfahndung in Gefahr ist. Wir brauchen
die fünfte Gewalt – das Internet –, damit die Leute ernsthaft über die
Gefahr der schlüsselfertigen Tyrannei nachdenken, vor der Edward Snowden
warnt.
Was meinen Sie damit?
Wenn man alle Informationen über jeden hat, dann muss man nur den Schlüssel
umdrehen - und bekommt ein repressives Regime, wie andere Länder es schon
hatten. Deutschland in den 30er Jahren zum Beispiel.
Wann haben die USA diese Richtung eingeschlagen?
Als Bush und Vizepräsident Cheney Anfang 2001 an die Macht kamen, ist
Cheney zur NSA gegangen. Damals war Michael Hayden der Chef dort. Cheney
hat ihm gesagt, dass er die erste Regel der NSA vergessen soll, die besagt,
dass amerikanische Bürger werden nicht ohne richterliche Anhörung belauscht
werden. Cheney wollte Hintertürzugänge zu allen Telefonaten im Land. Wir
wissen, dass die Telefongesellschaften Verizon und ATT schon vor dem 11.
September kooperiert haben, um solche Hintertürzugänge zu schaffen.
Verringert diese Geheimdienstarbeit die Anschlagsgefahr?
Im Gegenteil. Sie vergrößert das Risiko von Terrorismus. Wenn man immer
mehr Heu auf den Haufen wirft, wird es schwieriger, die Nadel zu finden und
herauszufinden, was zu einem terroristischen Attentat führt. Wenn es
terroristische Anschläge gibt und man eine Datenbasis wie wir hat, kann man
natürlich anschließend so gut wie sicher herausfinden, wer es getan hat.
Aber das verhindert nicht den Anschlag.
Ein Beispiel?
Nehmen Sie diese beiden Terroristen in Boston im vergangenen April. Der
russische Geheimdienst hat uns darauf hingewiesen, dass sie gefährlich
sind. Aber das FBI und die Polizei ignorierten das. Sie waren damit
beschäftigt, die Occupy-Bewegung in Boston zu observieren.
Ist es möglich, dass der US-Präsident nichts von der persönlichen
Bespitzelung von Merkel gewusst hat?
Der Präsident ist für alles verantwortlich und rechenschaftspflichtig, was
in seiner Regierung passiert. NSA-Kollegen, deren Meinung ich sehr schätze,
glauben, dass es ausgeschlossen ist, dass ein Direktor der NSA damit
beginnt, das Handy von Merkel abzuhören, ohne die schriftliche Zustimmung
des Präsidenten einzuholen. Mit dieser Einschätzung bin ich nicht
einverstanden: Ich habe Hochstapler erlebt, die Spione ausbilden und Leute
zum Betrug an ihrem eigenen Land bringen. Wenn diese Leute mit dem
Präsidenten über solche Programme sprechen, neigen sie zu Generalitäten.
Wie das?
Sie sagen, Mister President, wir haben die Möglichkeit, die europäischen
Länder, inklusive Regierungschefs, zu überwachen. Und an dem Punkt endet
das Briefing. Bei den Geheimdienstchefs gibt es den Dünkel und die
Arroganz, besser zu wissen, was der Präsident wissen muss. Auf eine
unheimliche Art soll das Prinzip des „plausiblen Abstreitens“ den
Präsidenten schützen. Damit er, wenn es auffliegt, sagen kann: Ich wusste
es nicht.
Sind die Geheimdienste der USA nach den Attentaten vom September 2001 ein
Staat im Staat geworden?
Das ist nicht weit von der Wahrheit entfernt. Ich sage das widerstrebend.
Aber wenn Sie einen Präsidenten haben, der schwach ist, der Angst und sehr
wenig Rückgrat hat, dann glauben die Geheimdienste und Militärs, dass sie
ihn kontrollieren können oder Macht ausüben können, um Entscheidungen zu
bekommen, die ihnen nutzen. Ich denke, Barack Obama hat Angst vor den
Geheimdiensten und vor den Militärs. Und ich glaube, dass er dafür gute
Gründe hat. Bei einem Fundraising-Dinner vor drei Jahren ist er von
Progressiven wegen seiner Zaghaftigkeit kritisiert worden. Er hat
geantwortet: „Erinnert ihr euch nicht daran, was mit Dr. King passiert
ist?“ Wenn er so viel Angst hat, hätte er nie erwägen sollen, Präsident zu
werden. Wir brauchen Mut in der Präsidentschaft.
Was sollten Frau Merkel und die anderen Europäer jetzt tun?
Bei Angela Merkel sehe ich dasselbe wie bei der Chefin des
Geheimdienstkomitees im US-Senat: Scheinheiligkeit. Als ihre Mitbürger
beobachtet wurden und in einem Monat 80 Millionen E-Mails und Telefonanrufe
abgefangen wurden, schien sie das nicht besonders beunruhigt zu haben. Aber
jetzt, wo es ihr eigenes Telefon trifft, ist sie plötzlich sehr ärgerlich.
Ich schlage vor, dass die Westeuropäer gemeinsam vorgehen. Sie müssen dabei
erstens Großbritannien außen vor lassen, weil die Briten komplett Komplizen
sind. Und zweitens müssen sie mit einer Stimme reden. Sie müssen in
Washington sagen: Wir wollen diese pauschale Überwachung nicht, und wir
verlangen die Zusicherung, dass sie aufhört.
Wird sich Washington davon beeindrucken lassen?
Ich weiß es nicht. Vielleicht. Aber wenn die Europäer jetzt unfähig sind,
aufzustehen, wenn sie dies akzeptieren - wogegen können sie dann noch
protestieren? Sie haben schon so viel toleriert: Folter und Verschleppung
und sogar Geheimgefängnisse auf ihrem Boden. Was wir von Europa brauchen,
ist, dass es sich jetzt für das revanchiert, was unsere Großväter in Europa
getan haben, um den Faschismus zu vertreiben. Jetzt seid ihr dran. Ihr
seht, was sich in unserem Land entwickelt. Und ihr müsst uns warnen. Ihr
müsst sagen, was passiert, wenn eine Tyrannei durch eine schlüsselfertige
Technologie möglich wird. Nicht nur die Stasi, sondern auch die Gestapo hat
solche Werkzeuge gehabt und genutzt.
Sie vergleichen die NSA mit der Gestapo?
Der Angriffskrieg, den George Bush und Cheney gegen den Irak entschieden
haben, hat enthalten, was in den Nürnberger Prozessen als größtes
Kriegsverbrechen definiert ist. Entführung, Folter, Geheimgefängnisse. Das
sind Dinge, die in Deutschland in den 30er und 40er Jahren passiert sind.
Solche Dinge wiederholen sich in der Geschichte. Es sei denn, jemand steht
auf und sagt: „Genug!“
Glauben Sie im Ernst, Washington würde Lektionen von Deutschland
akzeptieren?
Das ist die falsche Frage. Ich glaube, in einem moralischen Sinn sind die
Westeuropäer verpflichtet. Sie haben Erfahrungen mit dem Unheil, das
möglich ist, die wir – zum Glück – bis jetzt nicht haben. Es ist der
falsche Weg, zu warten, bis Sie sicher sind, erfolgreich zu sein. Es geht
nicht darum, erfolgreich zu sein, sondern darum, den demokratischen
Prinzipien treu zu bleiben. Jetzt ist Westeuropa dran. Der beginnende
Faschismus in diesem Land ist unterwegs. Unternehmen, Regierung,
Geheimdienste, Sicherheitsapparat, Medien und sogar die Legislative sind
alle in einer Art verstrickt, die nicht weit von dem entfernt ist, was
Mussolini als klassische Definition von Faschismus gegeben hat.
Sie waren mit einer Delegation von Whistleblowern aus den USA in Moskau und
haben Edward Snowden getroffen, um ihm den Sam-Adams-Preis für Integrität
in den Geheimdiensten zu verleihen.
Snowden weiß, dass in Washington der Exchef von NSA und CIA, Michael
Hayden, vorgeschlagen hat, dass er auf die Kill-Liste kommt. Und dass der
Chef des Geheimdienstkomitees im Repräsentantenhaus reagiert hat: „Dabei
kann ich helfen.“ Snowden ist gut informiert, er fühlt, dass er es nicht
umsonst getan hat. Durch eine große Ironie ist er in Russland gelandet. Er
wollte da gar nicht hin. Aber es ist der sicherste Platz für ihn. Dort
drohen ihm keine Drohnen und kein Seal Team 6, das ihm eine Kugel in den
Kopf jagt.
30 Oct 2013
## AUTOREN
Dorothea Hahn
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