# taz.de -- Transsexuelle bekommt kein Asyl: Die ewige Angst | |
> Dervisa ist transsexuell, Romni, Muslimin – und soll nach Bosnien | |
> abgeschoben werden. Deshalb wollte sie sich das Leben nehmen. Ein Besuch | |
> in der Klinik. | |
Bild: Der Haidplatz in Regensburg: Im Verwaltungsgericht wurde Dervisas Asylant… | |
REGENSBURG taz | Vor dem Fahrstuhl macht Dervisa halt. Schließt die Augen, | |
schüttelt den Kopf. Bartstoppeln ziehen sich über ihre Wangenknochen, | |
verschwinden unter einem Schopf blonder Locken. Die Fingernägel sind | |
schmutzig, die Lippen aufgeplatzt. „Nein, Angst“, sagt sie, deutet auf den | |
Fahrstuhl, schlurft zur Treppe. Kurz darf Dervisa ihr Zimmer auf der | |
geschlossenen Station verlassen, um mit ihrer Betreuerin im Café „Zweites | |
Leben“ zu sprechen. Der Name könnte nicht passender sein. | |
Die meisten Geschichten haben einen Anfang. Die von Dervisa R. hat zwei. | |
Als sie am 9. Februar 1991 in Jaice, einer Stadt in Bosnien, geboren wird, | |
nennen die Eltern sie Dervis. Dervis kommt als Junge zur Welt, und seine | |
Geschichte ist die eines Menschen, der im falschen Körper lebt. Jahre | |
später, als Dervis entscheidet, künftig Dervisa heißen zu wollen, beginnt | |
die Geschichte ein zweites Mal. Es ist die einer Frau, die durch die Hölle | |
gehen wird. | |
Am vorläufigen Ende steht ein Bett auf der geschlossenen Station des | |
Regensburger Bezirkskrankenhauses im Bezirk Oberpfalz, fernab von der | |
romanischen Altstadt mit dem Kopfsteinpflaster, den weiß und rosa | |
getünchten Türmchen, den klangvollen Gassen der Stadt, die seit 2006 zum | |
Weltkulturerbe zählt. | |
Dervisa ist transsexuell, Romni und Muslimin – und soll zurück nach Bosnien | |
geschickt werden. Ihr Suizidversuch liegt erst ein paar Tage zurück. Wäre | |
er gelungen, hätte sie ihren 24. Geburtstag nicht erlebt. Unmengen Wodka | |
und Shampoo hat sie in sich reingeschüttet, dazu starke Antidepressiva | |
geschluckt. Tags zuvor sollte die Asylbewerberin abgeschoben werden. | |
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat den Asylantrag | |
abgelehnt, auch das Verwaltungsgericht in Regensburg hält eine Rückkehr für | |
zumutbar. Linke Aktivisten verhinderten die Abschiebung mit einer | |
Demonstration vor Dervisas Flüchtlingsunterkunft, die „Aufforderung zur | |
Ausreise“ bleibt aber bestehen. Marion Puhle, Dervisas Betreuerin vom | |
Regensburger Flüchtlingsforum, ist überzeugt: „Wenn Dervisa zurück nach | |
Bosnien muss, ist sie tot.“ Dann tätschelt sie Dervisas Arm. Dervisa traut | |
niemandem mehr. „Ich sehe in jedem das Böse“, sagt sie, „die Angst ist | |
immer da und überall“. | |
## Atem und Herz | |
Mit ihren schlanken, sehnigen Händen versucht sie, das Gefühl in eine Form | |
zu pressen, es zu fassen. Sie beginnt zu weinen. Die knochigen Finger | |
zerpflücken nervös eine Serviette. „Die Bilder, die Menschen, ich sehe sie | |
ständig.“ Dervisa schluchzt, fährt sich wie im Zwang durch die blonden | |
Locken, die wirr vom Kopf abstehen. Sie meint Menschen, die ihr | |
Unvorstellbares angetan haben, und Bilder, die sich niemand ausmalen | |
möchte. So schwer erträglich, dass Dervisa manchmal Atem- und Herzprobleme | |
hat. Dass sie Scham und Hass empfindet, wenn sie sich im Spiegel sieht und | |
am liebsten gar nicht mehr da wäre. „Ich kann einfach nicht mehr“, würgt | |
sie noch hervor, dann verbirgt sie das Gesicht mit ihren Händen. | |
Lange hat es gedauert, bis Puhle Dervisas Vertrauen gewinnen konnte. Erst | |
ganz allmählich habe die 24-Jährige von dem Schrecken berichtet, der ihr | |
widerfahren ist. Schon als Kind hat Dervisa lieber mit Barbiepuppen als mit | |
Autos gespielt. Mit 14 dann kleidet sie sich erstmals wie eine Frau. | |
Branka, Dervisas Übersetzerin aus Serbien, weiß: „Damit gilt sie in Bosnien | |
als Provokation.“ Auch Branka war mal Asylbewerberin, Marion Puhle hat für | |
sie gekämpft. Nun darf sie bleiben. Während Branka für Dervisa übersetzt, | |
kommen ihr die Tränen. | |
In der Schule wird Dervisa von Mitschülern beschimpft und verprügelt. Mit | |
17 Jahren schmeißen sie die Eltern zu Hause raus, da sie selbst fürchten | |
müssen, Opfer von Gewalt zu werden. Von da an lebt Dervisa auf der Straße, | |
klaubt Essen aus Abfalleimern, verdient ein wenig Geld mit dem Sammeln von | |
Kartons und Altmetallen. | |
Geht sie in die Stadt, wird sie beschimpft und bedroht: „Wir fackeln dich | |
ab, wir nageln dich wie Jesus ans Kreuz.“ Dervisa berichtet von zahlreichen | |
Übergriffen, von Vergewaltigungen. Ein mutmaßlicher Kriegsverbrecher nimmt | |
sie mit nach Hause, vergewaltigt sie, bietet sie seinen Freunden an. Eine | |
Frau, die ihr angeblich helfen möchte, sperrt sie in ein Zimmer mit einer | |
Matratze. Eine Woche lang fallen zahllose Männer wieder und wieder über sie | |
her. | |
Sie versucht, sich Hilfe zu holen. Transsexualität ist in Bosnien nicht | |
verboten, doch nach wie vor gesellschaftlich geächtet. Das geht aus | |
mehreren Berichten von EU und US-Außenministerium hervor. Faktisch werden | |
Übergriffe oft nicht zur Anzeige gebracht. Auch Dervisas Anzeige zur | |
Vergewaltigung nimmt niemand auf. Stattdessen wird sie beschimpft. Man sagt | |
ihr, sie habe sich wie ein Mann zu verhalten. Wenn sie diskriminiert und | |
gequält würde, sei das nur gerecht. Transgender, „so etwas gibt es in | |
Bosnien nicht“, hört sie immer wieder, verliert jegliches Vertrauen in | |
Behörden. Und in Menschen. | |
## Asylbegehren ist „offensichtlich unbegründet“ | |
Vergangenen Juni kommt Dervisa nach Deutschland, im August stellt sie einen | |
Asylantrag. Dann passieren Fehler: Dervisa erscheint nicht zur Anhörung | |
beim BAMF. „Ich habe den Bescheid doch nicht verstanden“, sagt sie, ringt | |
die Hände, wird beinahe etwas wütend. Ein zarter Anflug von Kampfgeist | |
flackert in ihren Augen auf. Als hätte jemand das Licht in einem längst | |
verlassenen Haus kurz angeknipst. Dervisa holt sich Hilfe von der Caritas | |
und schickt ein Schreiben mit den Flüchtlingsgründen ans Bundesamt. Das | |
lehnt den Asylantrag ab – als „offensichtlich unbegründet“. | |
Zwei Wörter, die da so stehen, weil das Bundeskabinett im vergangenen Jahr | |
Bosnien und Herzegowina zu einem „sicheren Drittstaat“ erklärte. Marion | |
Puhle, die den Fall erst nach der Ablehnung übernommen hat, räumt ein, dass | |
die Flüchtlingsgründe in dem Schreiben an das BAMF vielleicht „zu dünn“ | |
waren. Von Vergewaltigungen etwa war da keine Rede, was Puhle aber nicht | |
wundert: „Schwer traumatisierte Menschen brauchen oft Jahre, um über das | |
sprechen zu können, was ihnen angetan wurde. Manchmal können sie es nie.“ | |
Auch vor dem Verwaltungsgericht in Regensburg scheitert Dervisa. Laut | |
Protokoll gibt der zuständige Richter den Hinweis, „sie müsse ihre Neigung | |
ja nicht offen zeigen“. Der Pressesprecher und Vorsitzende Richter am | |
Verwaltungsgericht, Martin Hermann, erklärt die Situation so: „Der Richter | |
wollte wissen, ob sie die Transsexualität nicht verbergen könne. Er hat | |
gefragt, nicht etwa geraten oder befohlen.“ Man habe damit die | |
Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit der Klägerin testen wollen. Das sind | |
Methoden, die Marion Puhle und Stefan Aigner vom Onlineportal | |
Regensburg-digital zur Genüge kennen. | |
Am Haidplatz, im Café „Goldenes Kreuz“, diskutieren sie das Verhalten des | |
Richters. Aigner, der häufig aus dem Gericht berichtet, sagt: „Es zeigt, | |
mit welcher Haltung der Richter in diese Verhandlung hineingegangen ist und | |
dass er von gewissen Dingen keine Ahnung hat.“ Nicht nur in Bosnien, auch | |
in Bayern sei es um die Toleranz gegenüber Transsexuellen schlecht | |
bestellt. | |
Für Dervisa waren die Minuten im Verwaltungsgericht die nächste schlechte | |
Erfahrung mit einer Behörde. „Es stimmt, er hat mich gefragt“, erinnert sie | |
sich. „Ich sagte, ich könne das nicht verbergen. Ich habe mich gefühlt wie | |
auf einer bosnischen Polizeibehörde.“ | |
Doch immerhin: Der Richter glaubt Dervisa, hält ihre Transsexualität nicht | |
für gespielt. Da er sich über die Entscheidung des Bundesamts hinwegsetzt | |
und die Klage nicht als offensichtlich unbegründet ablehnt, bleibt Dervisa | |
das Rechtsmittel der Berufung. Ein anderes Urteil hätte ihr gar keine | |
Möglichkeit gelassen. Warum aber trotzdem nicht zugunsten von Dervisa | |
entschieden wurde, erklärt Hermann so: „Man war der Auffassung, die | |
Klägerin könne zurückkehren und nach Sarajevo ziehen. Dort kann sie in der | |
Masse untertauchen und sich Hilfe holen.“ Es gebe einen Ombudsmann und | |
Organisationen für Transsexuelle. Die Anonymität der Großstadt als Lösung. | |
## „YouTube, YouTube“ | |
Als Dervisa an den Sarajevo-Vorschlag denkt, wird sie erneut wütend. Sie | |
stößt ihren Stuhl zurück und die Kaffeetasse so energisch von sich weg, | |
dass der Kaffee überschwappt. „YouTube, YouTube“, insistiert sie – und | |
meint ein Video vom Februar 2014. Damals besucht sie in der Hauptstadt eine | |
Parade von Schwulen, Lesben und Transsexuellen, die von homophoben Gegnern | |
überfallen wird. Die Polizei kommt – nach 55 Minuten. | |
Auch der [1][Bericht einer Karin Waringo], auf den sich das Gericht beruft, | |
lässt eigentlich andere Schlüsse zu: Kaum jemand wendet sich an den | |
Ombudsmann, auch in Sarajevo kann sich keine Transfrau, die als Mann | |
wahrgenommen wird, auf die Straße trauen. In Bosnien existiert zudem | |
[2][keine Regelung], mit der Transsexuelle ihre Papiere ändern und | |
unerkannt leben können. | |
Dervisas Helfer hoffen, die Abschiebung mit einer Petition an den Landtag | |
außer Kraft setzen und ein Asylfolgeverfahren starten zu können. Die | |
Chancen stehen nicht schlecht, nun, da sie auch endlich die | |
Vergewaltigungen zu Protokoll gegeben hat. | |
Im Regensburger Bezirksklinikum wird Dervisa derzeit Tag und Nacht | |
überwacht. Aufgrund der drohenden Abschiebung sei das Risiko für einen | |
erneuten Suizidversuch zu hoch, heißt es im ärztlichen Bescheid. „Eine | |
Reisefähigkeit des Patienten wäre nur dann gegeben, wenn eine lückenlose | |
Weiterbehandlung in Bosnien erfolgen und der Transport in lückenloser | |
1:1-Überwachung stattfinden könnte.“ Beides wird kaum möglich sein. | |
In eine Zukunft ohne Angst blicken kann Dervisa nicht. „Ich möchte mich nur | |
einen einzigen Tag sicher fühlen“, sagt sie, „einmal ohne Angst aufwachen.… | |
Sie möchte in Deutschland bleiben und irgendwann heiraten, weil für sie | |
Hochzeit Glück bedeutet. Doch Dervisa wird viel Zeit brauchen, um gesund zu | |
werden, und eine psychotherapeutische Behandlung, so wie viele | |
traumatisierte Flüchtlinge. Dann erst hätten Dervis und Dervisa die Chance | |
auf ein glückliches Ende. | |
2 Mar 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/NEWS/2014/Pro_Asyl_Gutachten_zum_Vor… | |
[2] http://www.tgeu.org/sites/default/files/Trans_Map_Index_2014.pdf | |
## AUTOREN | |
Hanna Voß | |
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