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# taz.de -- Diskriminierung in Russland: Fahrverbot für Transvestiten
> Angehörige sexueller Minderheiten dürfen künftig keinen Führerschein mehr
> erwerben. So will Moskau die Zahl der Verkehrsunfälle reduzieren.
Bild: Angehörige sexueller Minderheiten dürfen in Russland nicht mehr hinters…
MOSKAU taz | Die Moderatoren im Morgenprogramm des Senders Echo Moskwy
waren verunsichert. Sollten sie jetzt lauthals loslachen oder die
Angelegenheit doch seriös behandeln? Soeben hatten sie erfahren, dass unter
der Nummer 1604 eine Regierungsverordnung in Kraft getreten war, die es
unter anderem Transsexuellen, Transvestiten und einer ganzen Reihe von
Vertreter anderer sexueller Orientierungen untersagt, Führerscheinprüfungen
abzulegen. Am 29. Dezember hatte Premierminister Dmitri Medwedjew den
Erlass unterzeichnet, der für mehr Sicherheit im russischen Straßenverkehr
sorgen soll.
In der Tat ist Russlands Opferstatistik beklagenswert. Rund viermal so viel
Menschen wie in Deutschland kommen jährlich auf russischen Straßen ums
Leben. Ob das diskriminierende Vorgehen gegen sexuelle Minderheiten indes
zur Korrektur im nationalen Fahrverhalten beiträgt, dürfte im Vorhinein
verneint werden.
Die russische Regierung griff bei dem Verbot auf eine Liste der
„international statistisch klassifizierten Krankheiten und verwandten
Gesundheitsprobleme“ zurück, die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO)
erstellt wurde. Unter den Punkten F 60 bis F 69 finden sich dort
„medizinische Abweichungen“ sowie „Persönlichkeits- und
Verhaltensstörungen“. Dazu zählen auch Transsexualität und
Transvestitismus, aber auch Exhibitionisten, Voyeure, Transgender,
Asexuelle und Sadomasochisten fallen in diese Kategorien.
Auch den in der WHO-Auflistung unter Punkt F 65 geführten Fetischisten
droht nun ein russisches Fahrverbot. Denn der „Gebrauch toter Objekte als
Stimuli sexueller Erregung“ wurde ebenfalls in den Verbotskatalog mit
aufgenommen. Schon der Besitz von Handschellen außerhalb der staatlichen
Sicherheitsorgane könnte als Zeichen sexueller Abweichung gewertet werden,
fürchteten Nutzer sozialer Medien.
## Führerschein weg nach Sexshopbesuch
Die Organisation „Rusadvocat“, eine Assoziation von russischen
Menschenrechtsanwälten, gab zu bedenken, dass bereits ein Besuch und
Einkauf in einem Sexshop zum Verlust der Fahrerlaubnis führen könnte. Auch
Männer mit „spärlichem Bartwuchs“, „Frauen mit unterentwickelten Brüst…
oder „starker Behaarung“ seien nicht mehr gegen Willkür gefeit.
Waleri Jewtuschenko, der die russische „Gesellschaft für Rechtsfragen in
der Psychiatrie“ leitet, befürchtet unterdessen, dass sich nun noch weniger
Bürger mit Persönlichkeitsstörungen um psychologische Hilfe bemühen würden.
Der Schaden der Verordnung 1604 sei daher erheblich, meint der Psychiater.
Unterdessen gehören auch Personen zu der neuen Risikogruppe, die dem
„Glücksspiel“ verfallen sind. Für besonderes Amüsement in der
Internetgemeinde sorgten jedoch Personen mit „pathologischem Hang zum
Diebstahl“. Mit einem Wort, die Kleptomanen. Was sich die Politiker
eigentlich bei der Verordnung gedacht hätten? fragten Blogger. Nicht
zuletzt figuriert Russlands korruptes politisches System auch unter dem
Label „Kleptokratie“. Der Erlass erkläre zumindest, warum die Bürokraten
über Dienstwagen mit Fahrer verfügten.
## Schüren von Hass gegen Minderheiten
Für Mai kündigte die WHO eine überarbeitete Liste an, in der neuen
Erkenntnissen über sexuelles Verhalten Rechnung getragen werden soll. Was
bislang als Abweichung definiert wurde, wird im nächsten Katalog nicht mehr
als Krankheit geführt. Auch Homosexualität strich die WHO erst spät von der
Liste.
Es ist wohl kein Zufall, dass Russland sich beeilte, um noch die alte Liste
von 1990 nutzen zu können. Der Kampf gegen Homosexualität und nicht
normiertes Sexualverhalten ist ein ideologischer Grundstein des Kreml seit
Wladimir Putin 2012 an die Macht zurückkehrte. Das Schüren von Hass gegen
Minderheiten ist Teil der Staatsdoktrin.
9 Jan 2015
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
## TAGS
WHO
Transgender
Homosexualität
Dmitri Medwedew
Russland
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Europa
Transgender
Transgender
Schwerpunkt LGBTQIA
Homosexualität im Profisport
Sotschi 2014
Sotschi 2014
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