# taz.de -- Schwul-lesbische Spiele in Moskau: Unter Beobachtung | |
> Nach den Winterspielen soll in Moskau ein Sportfest von Schwulen und | |
> Lesben stattfinden. Wenn die Behörden nicht alles verhindern. | |
Bild: An fünf Tagen sollen Wettbewerbe in neun Sportarten stattfinden. | |
Konstantin Jablotskij wollte nicht nach Sotschi reisen, er interessiert | |
sich nicht wirklich für Olympia, außerdem könnte sein Besuch Ärger nach | |
sich ziehen. Doch Jablotskij hat seine Meinung geändert. Er möchte [1][in | |
Sotschi ein Kunststück] vollbringen: Werbung machen, ohne viel | |
Aufmerksamkeit zu erregen. | |
Jablotskij und seine Freunden wagen eine Revolution: Am 26. Februar, in der | |
Pause zwischen Olympischen Spielen und Paralympics in Sotschi, sollen in | |
Moskau die [2][Open Games] beginnen, das erste schwul-lesbische | |
Sportfestival in Russland, mit fünfhundert Teilnehmern. An fünf Tagen | |
sollen Wettbewerbe in neun Sportarten stattfinden, mit Workshops, Debatten, | |
Konzerten. Nun will Jablotskij am Schwarzen Meer Unterstützer aus Europa | |
gewinnen, Politiker, Sportler, Journalisten – diese Chance hat er selten. | |
Eigentlich wollte er nach Südfrankreich auswandern und offen schwul leben. | |
Auf dem Weg dorthin machte Konstantin Jablotskij Station in Köln, wo | |
[3][2010 die Gay Games] stattfanden, die schwul-lesbischen Weltspiele. Der | |
russische Eiskunstläufer gewann Gold, wurde gefeiert, vielfach interviewt. | |
Die Nachricht sprach sich herum, irgendwann standen Reporter vor dem Haus | |
seiner Eltern in Archangelsk, im Norden Russlands. | |
„Ich hatte mein Coming-out zur besten Sendezeit im Staatsfernsehen“, sagt | |
der junge Chemielehrer. Familie, Freunde und Kollegen hielten zu ihm. | |
Jablotskij entschied sich, in Moskau zu bleiben – und ging in die | |
Offensive. „Wir möchten Solidarität fördern“, sagt er über die seit Lan… | |
geplanten Open Games. „Wir wollen nicht immer unter uns bleiben müssen.“ | |
## Auf Widerstand vorbereitet | |
Er wägt seine Worte ab, er spricht langsam, die Open Games können noch | |
abgesagt werden oder wesentlich kleiner ausfallen als gedacht. Seit die | |
[4][Gesetzgebung gegen Homosexuelle] in Russland verschärft wurde, | |
versuchen die Organisatoren, auf jeden Widerstand vorbereitet zu sein. | |
Ende der neunziger Jahre fanden sich in St. Petersburg lesbische | |
Sportlerinnen zusammen, die das Versteckspiel hinter sich ließen und | |
selbstbewusst ihrem Hobby nachgehen wollten. Auch in anderen Städten wurden | |
Freizeitteams gegründet, im Volleyball, Basketball, Tanzen. Sie mieteten | |
abgelegene Sporthallen und selten genutzte Räume, manchmal unter einem | |
Vorwand, für Trainingseinheiten um kurz vor Mitternacht. Einige reisten zu | |
Wettkämpfen nach Westeuropa oder in die USA. | |
An den Gay Games in Köln nahmen aus Russland 52 Lesben und Schwule teil. | |
Mit Selbstvertrauen kehrten sie in ihre Heimat zurück und gründeten die | |
russische LSBT-Sportföderation für Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle. | |
Der Verband ist beim russischen Sportministerium seit 2011 registriert, | |
doch eine Förderung hat er nie erhalten. | |
Verbandschef Jablotskij ist auf Spenden und Teilnahmegebühren aus dem | |
Ausland angewiesen. Zu den wenigen Sponsoren zählen drei homosexuelle | |
Olympiaathleten; sie wollen anonym bleiben, sagt er. Der LSBT-Verband | |
wächst langsam, er hat fünfzig Wettkämpfe organisiert für 900 Mitglieder, | |
drei Viertel stammen aus Moskau und St. Petersburg. Ein Vergleich: Allein | |
der schwul-lesbische Verein Vorspiel in Berlin zählt rund tausend | |
Mitglieder. | |
## Name Gay Olympics verboten | |
Anfang der siebziger Jahre wurde in den USA der erste homosexuelle | |
Sportverbund gegründet, eine nach der Schauspielerin Judy („Somewhere Over | |
The Rainbow“) Garland benannte Bowlingliga. Der erste Verein Europas war | |
der SC Janus in Köln, gegründet 1980 von Volleyballern. Zwei Jahre später | |
rief der prominente amerikanische Zehnkämpfer und Mediziner Tom Waddell die | |
Gay Games ins Leben. Ursprünglich hatten sie Gay Olympics heißen sollen, | |
doch das Olympische Komitee der USA ließ den Namen verbieten. | |
„Wenn es um Sport geht, vergessen wir unsere Probleme“, sagt Eiskunstläufer | |
Jablotskij. „Dann denke ich nur an Bewegung und Musik.“ Mit seiner | |
Tanzpartnerin möchte er dieses Jahr bei einem internationalen Wettbewerb in | |
Oberstorf antreten, danach mit einem Mann bei den Gay Games in Cleveland. | |
Die Internationale Eislaufunion ISU sträubt sich gegen | |
[5][gleichgeschlechtliche Paarwettbewerbe]. | |
Jablotskij hofft: „Vielleicht werden mir nach den Gay Games offizielle | |
Wettbewerbe untersagt. Das sind homophobe Strukturen, die im Sport | |
verankert sind.“ Im November hat er mit anderen Aktivisten Thomas Bach in | |
Paris getroffen, den neuen Präsidenten des Internationalen Olympischen | |
Komitees IOC: „Er hat uns aufmerksam zugehört. Ob er uns helfen kann, | |
bleibt abzuwarten.“ | |
Konstantin Jablotskij und seine Mitstreiter möchten während der Open Games | |
Aufklärungsarbeit leisten. Laut dem russischen Lewada-Zentrum, einem | |
Meinungsforschungsinstitut, kennen nur 12 Prozent der russischen | |
Bevölkerung Schwule oder Lesben persönlich, 35 Prozent halten | |
Homosexualität für eine Krankheit. | |
## Regenbogen unter Strafe | |
Aber wie sollen die Open Games als offenes Forum funktionieren, wenn schon | |
das Zeigen von Regenbogenflaggen, Anstecknadeln, Plakaten eine Strafe nach | |
sich ziehen kann? „Wir müssen vorsichtig sein“, sagt die Tänzerin Alexand… | |
Chekalina. „Zuschauer müssen sich auf unserer Internetseite anmelden. Wir | |
wollen jedem Risiko aus dem Weg gehen.“ | |
Zuletzt hat der Verband viele Absagen von Teilnehmern aus dem Ausland | |
erhalten, die Diskriminierungen haben sich herumgesprochen. Eine russische | |
Badmintonspielerin hat ihren Job in einer Werbeagentur verloren, nachdem | |
Fotos von ihr bei einem Wettkampf in Rotterdam aufgetaucht waren. Zweimal | |
wurden queere Teams in Moskau von Sportplätzen geworfen. | |
Die Open Games sollen ausschließlich in Hallen und Räumen stattfinden, | |
nicht unter freiem Himmel. „Wir haben Sicherheitsordner engagiert“, sagt | |
Alexandra Chekalina. „Jeder soll sich wohlfühlen können.“ Bislang haben | |
erst dreißig Interessenten aus anderen Ländern zugesagt, aus Berlin wollen | |
Fußballerinnen anreisen. | |
Die Sportbewegung unterm Regenbogen hat zuletzt wichtige Ziele erreicht. | |
Bei den Olympischen Spielen in Vancouver 2010 und London 2012 wurden | |
Pride-Häuser geöffnet, Treffpunkte für homo- wie bi- und transsexuelle Fans | |
und Athleten. In London hatte das olympische Organisationskomitee eine | |
Verpflichtungserklärung zur Vielfalt abgegeben. | |
## Pride House untersagt | |
Die südafrikanische Bogenschützin Karen Hultzer nutzte die Atmosphäre für | |
ein öffentliches Coming-out. In Sotschi wurde ein Pride House schon vor | |
Jahren untersagt. Laut dem Internetportal Outsports leben von den 2900 | |
Olympiaa-AthletInnen nur sechs offen homosexuell, die bekannteste ist die | |
niederländische Eisschnellläuferin Ireen Wüst, ein Mann ist nicht darunter. | |
Die queere Community hat Konzepte entwickelt, um abseits der großen | |
Sportbühnen Begegnungen zu ermöglichen. Für die Gay Games 2002 in Sydney | |
richtete sich ein Stipendiatenprogramm an Nachfahren der australischen | |
Ureinwohner. Vereine in Frankfurt und Düsseldorf unterstützen seit Langem | |
homosexuelle Sportler aus Osteuropa. | |
Konstantin Jablotskij will eines klarstellen. Er möchte auf seiner | |
Werbetour in Sotschi niemanden provozieren, er möchte nur angehört werden. | |
Er hat sich Zurückhaltung antrainieren müssen. Jablotskij sucht | |
Botschafter. Bislang hat nur die niederländische Sportministerin [6][Edith | |
Schippers] ihr Kommen zu den Open Games in Aussicht gestellt. Fünf | |
Nichtregierungsorganisationen engagieren sich in Russland für die Akzeptanz | |
von Homosexuellen. Sie stehen stärker unter Beobachtung als die | |
LGBT-Sportföderation. | |
Jablotskij wehrt aber vorsichtig ab: „Wir sind keine | |
Menschenrechtsorganisation, wir stellen keine Forderungen. Wir werben für | |
eine sportliche, gesunde Lebensweise.“ | |
12 Feb 2014 | |
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[2] http://www.russianopengames.ru | |
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## AUTOREN | |
Ronny Blaschke | |
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