# taz.de -- Schwul-lesbische Eurogames: Hetze und Spiele | |
> In Ungarn beginnen nun die schwul-lesbischen Eurogames. Rechte Gruppen | |
> mobilisieren gegen das Sportereignis. Ausländische Teilnehmer fürchten um | |
> ihre Sicherheit. | |
Bild: Ohne die Anwesenheit der Polizei sind schwul-lesbische Veranstaltungen in… | |
Schwul – in Ungarn ist das ein übliches Schimpfwort. Dennoch entschieden | |
sich die Organisatoren der 14. Eurogames, Europas größtem Sportereignis für | |
Lesben und Schwule, die heute beginnenden Spiele 2012 ausgerechnet in | |
Budapest stattfinden zu lassen. | |
Schon im letzten Jahr beim Gay Pride, dem Christopher Street Day, ließen | |
homophobe Gruppierungen ihrem Hass freien Lauf – und auch in diesem Jahr | |
ist die Situation nicht viel besser geworden: Rechtsradikale Webseiten wie | |
Deres.tv hetzten gegen die „Schwuchtellympiade“ indem sie die Liste der | |
Organisatoren der Eurogames nebst deren Facebook-Fotos veröffentlichten und | |
ihre LeserInnen dazu aufforderten, Jagd auf die „Abweichler“ zu machen. | |
Ohne die Anwesenheit der Polizei wäre eine öffentliche schwul-lesbische | |
Veranstaltung in Ungarn denn auch undenkbar. Noch nie sei er solch einer | |
massiven Gewalt gegenüber Homosexuellen begegnet, erinnert sich ein | |
Besucher, der letztes Jahr am Gay Pride in Budapest teilnahm. „Vor | |
doppelten Gittern marschierten wir auf. Wir hatten menschenleere Straßen | |
für uns selbst, Zuschauer waren wegen der massiven Aussperrungen gar nicht | |
möglich. Und an bestimmten Stellen standen sie mit ihren rot-weiß | |
gestreiften Fahnen und schrien: ,Ihr schmutzigen Schwuchteln.‘“ | |
Jene rot-weißen Fahnen – rot steht historisch für das Blut, das Ungarn in | |
seinen zahlreichen Freiheits- und Unabhängigskeitskämpfen verloren hat, | |
weiß für die Reinheit des Landes – werden von der rechtsradikalen Partei | |
Jobbik gerne verwendet, die mit dieser Symbolik nationalistische Gefühle | |
aufrührt. Die Partei und ihre Anhänger hetzen gegen Homosexuelle, Roma und | |
Juden und schüren so ungeniert rassistisches Gedankengut. | |
Àdám Makó, einer der Organisatoren der Eurogames, ist trotz allem | |
zuversichtlich – und setzt vor allem auf die Polizei, die während der | |
Wettkämpfe besonders stark präsent sein soll. Und er vertraut auf die | |
europäische Öffentlichkeit: „Wir sind ein Schengenland und egal was Jobbik | |
will, Europa steht auf unserer Seite“, behauptet er. Europa vielleicht, | |
aber nicht István Tarlós. | |
## Keine staatlichen Veranstaltungsorte | |
Tarlós ist der Bürgermeister von Budapest. Sein Berliner Amtskollege Klaus | |
Wowereit bat ihn im vergangenen Jahr in einem Brief darum, die Eurogames zu | |
unterstützen. In seiner Antwort distanzierte sich Tarlós von einer | |
„solchen“ Lebensweise und von der Veranstaltung. Jobbik plädierte sogar | |
dafür, dass die Eurogames nicht an staatlichen Veranstaltungsorten | |
stattfinden dürften. Aus Sicherheitsgründen wurden die tatsächlichen Orte | |
der Spiele von den Eurogames-Organisatoren bis zuletzt geheim gehalten. | |
Vielen sei es unheimlich, nach Budapest zu fahren – trotz aller | |
Beteuerungen, dass dort die Security und Polizei für die Sicherheit sorgen | |
soll, sagt Petra Drenkert, die Kapitänin eines Berliner Frauenfußballteams. | |
„Man hört nur von den Rechtsradikalen, von der rechtslastigen Regierung. | |
Diese Propaganda sorgt für Panikmache bei ausländischen Medien und für | |
Bedenken bei den Sportlern.“ | |
Dabei enthält diese Premiere auch die Möglichkeit einer Öffnung in Richtung | |
Toleranz gegenüber Homosexualität in Mittel- und Osteuropa. Petra Drenkert | |
ist jedenfalls überzeugt, nur durch Präsenz zur Akzeptanz der | |
Homosexualität beitragen und homophobe Vorurteile abbauen zu können. Sie | |
sieht es als ihre Mission, nach Budapest zu fahren und gesehen zu werden. | |
Durchaus positive Erfahrungen machte sie kürzlich bei schwul-lesbischen | |
Veranstaltungen in Warschau. Viele hatten sie davor gewarnt, sich mit ihrem | |
Frauenfußballteam in Warschau zu zeigen, sie empfand den Aufenthalt jedoch | |
als sehr angenehm und betrachtete es als eine Generalprobe für Budapest: | |
„Ich dachte, wenn Warschau gut läuft, dann fühle ich mich sicherer.“ | |
## Lieber nicht outen | |
Für die ausländischen Teilnehmer zählt in erster Linie die körperliche | |
Sicherheit. Für die ungarischen Wettkämpfer ist dagegen vor allem die | |
mentale Sicherheit, der Schutz ihrer Privatsphäre, ein Grund zur Besorgnis | |
bei den Eurogames. Balázs Gáti, international preisgekrönter ungarischer | |
Tänzer, war bis vor Kurzem unsicher, ob er die Teilnahme riskieren soll. Im | |
Ausland hätte er kein Problem damit, sich als Homosexueller zu outen. In | |
Ungarn möchte er daraus keine Sensation machen. Er arbeitet bei einer Bank | |
und möchte nicht, dass seine KollegInnen und KundInnen ihn plötzlich in | |
ungarischen Medienberichten als schwulen Aktivisten sehen. Ihm geht es vor | |
allem um das Tanzen. | |
Zehn Jahre hat er mit seinem Tanzpartner gearbeitet, um auf Spitzenniveau | |
zu stehen. „Unser Traum ist es, eines Tages so zu tanzen, dass dem Publikum | |
die Tränen kommen.“ Gáti sagt, er sei kein Fan des Gay Prides, weil dort | |
nur die extremen Schwulen gesehen würden, das würde nur Vorurteile | |
verstärken. „Ich bin ein schwuler Mann, aber ich habe es nicht auf meine | |
Stirn geschrieben. Ich gehe arbeiten, zahle Steuern, benutze den | |
öffentlichen Verkehr und liebe jemanden – wie jeder andere Mensch auch.“ | |
Die neue Verfassung Ungarns betont, Familie und Ehe seien ein Bund eines | |
Mannes und einer Frau – und schließt damit homosexuelle Paare aus. | |
## Lieber nicht Händchen halten | |
Balázs Gáti warnt die ausländischen TeilnehmerInnen an den Eurogames, auf | |
ihr Verhalten in der Öffentlichkeit zu achten. „Wer in Kopenhagen lebt, ist | |
es vielleicht gewöhnt, mit seinem Freund auf der Straße Händchen zu halten | |
und zu küssen. Das würde ich hier an der Váci Straße in Budapest nicht | |
empfehlen.“ Gáti ist trotzdem optimistisch, dass er sich eines Tages in | |
Budapest genauso selbstverständlich mit seinem Freund auf der Straße zeigen | |
kann wie etwa in Berlin. | |
Dass die Eurogames nun im Budapest der ultrakonservativen Orbán-Regierung | |
stattfinden, ist jedenfalls ein erster Schritt in diese Richtung. „Für die | |
europäische schwul-lesbische Gemeinschaft ist es ein Meilenstein, in | |
Mittel- und Osteuropa eine solche Veranstaltung zu organisieren.“ Die | |
nächsten Tage in Budapest werden wohl zeigen, ob die Angst in den | |
westlichen Medien berechtigt war – oder ob es Hoffnung gibt für die Zukunft | |
solcher Veranstaltungen in diesem Teil Europas. | |
27 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Anna Frenyo | |
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