# taz.de -- Zattoo-Gründerin und Transaktivistin: „Die weiß aber, was sie w… | |
> Bea Knecht, Gründerin des Streamingsdienstes Zattoo und Transaktivistin, | |
> spricht über ihre Transition, das Chefinsein und Kuhhandel. | |
Bild: „Sie würden umfallen, wenn Sie wüssten, wer alles transgender ist.“ | |
taz: Frau Knecht, aus dem Unternehmer Beat wurde vor drei Jahren Bea | |
Knecht. Ist das so etwas wie eine zweite Geburt? | |
Bea Knecht: Ich würde eher folgenden Vergleich heranziehen: Sie haben | |
vorher etwas in sich, das Sie innerlich zerfrisst. Vor allem, wenn man hart | |
arbeitet, gibt es viele Dinge, die an einem nagen. Irgendwann sitzt man | |
dann im Flieger oder in der Bahn und denkt: Für wen lebe ich eigentlich | |
mein Leben? Nach der Transition sind Sie wie entfesselt und viel stärker. | |
Auch dann fragen Sie sich vielleicht noch, ob Sie nur im Flieger leben – | |
aber wenigstens fliegen Sie im richtigen Geschlecht. Sie lächeln innerlich | |
und sagen sich, wie schön doch die alltäglichen Dinge sind. | |
Den unvermeidlichen „Gender-Schock“ für Ihre Umgebung haben Sie damals kurz | |
und schmerzlos gestaltet. Wie sind Sie vorgegangen? | |
Sehr abrupt. Ich wollte nicht in einem Zwischenwesenzustand existieren. Ich | |
ging im Februar 2012 für vier Monate in ein Sabbatical und hatte mich | |
damals noch gar nicht entschieden, ob ich die Transition überhaupt mache. | |
Zwei Monate später habe ich dann die ersten Hormone genommen und kam im | |
Juni als Frau zurück zur Arbeit. | |
Sie standen also ohne Ankündigung plötzlich in der Tür ihres Arbeitgebers, | |
als Bea und nicht mehr als Beat Knecht? | |
Ganz so krass war es nicht. Nach meiner Rückkehr standen gleich zwei | |
Generalversammlungen und Verwaltungsratssitzungen an. Das waren meine | |
ersten Amtshandlungen, und ich wollte das schon sorgfältig vorbereiten. Ich | |
habe Anfang Mai meine Sekretärin informiert und den CEO der Firma, und der | |
hat es dann dem ganzen Team gesagt. | |
Und wie waren die Reaktionen? | |
Ich hatte mich auf viel gefasst gemacht, aber es war ganz easy. Viele | |
fanden es sogar gut. Wir waren als Firma plötzlich unglaublich | |
genderfreundlich und cool. | |
Sie haben ein Unternehmen gegründet und sind heute Verwaltungsratschefin. | |
Ist es einfacher, eine Transition zu machen, wenn man Chefin ist? | |
Das wurde mir im privaten Umfeld fast vorgehalten, nach dem Motto: Ja ja, | |
die Kollegen müssen eben parieren. Ich habe denen geantwortet: Das bei uns | |
sind keine normalen Jobs. Wir erklimmen als Internetunternehmen zusammen | |
immer wieder aufs Neue den Mount Everest, da muss jeder Handgriff sitzen, | |
und jeder Mitarbeiter zählt. Ich kann es mir gar nicht leisten, dass die | |
mich als Chefin plötzlich komisch finden. | |
Was würden Sie anderen für den Umgang mit Ihrer Transition auf der Arbeit | |
empfehlen? | |
Wenn Sie eine gute Personalabteilung haben, wenden Sie sich an die. Am | |
besten kommen Sie ausgestattet mit ausgedruckten Papieren aus dem Internet, | |
vielleicht internen Richtlinien, Branchen- oder Verbandsdokumenten. Dann | |
können Sie sagen: Das ist Best Practice, können wir es auch so machen? Die | |
großen Firmen haben das schon zigmal durchgespielt. Die | |
Personalverantwortlichen gehen in aller Regel darauf ein. | |
Hatten Sie sich auf mögliche unschöne Reaktionen aus Ihrem Umfeld | |
vorbereitet? | |
Im Grunde genommen können Sie nie sicher wissen, wer Ihnen hilft und wer | |
nicht. Ich hatte allerdings eine Art Modell entwickelt mit mehreren Stufen | |
der Akzeptanz. | |
Die wären? | |
Auf der niedrigsten Akzeptanzstufe spielt sich ein sehr grundlegender, | |
geradezu archaischer Prozess ab. Es knackt hinter Ihnen im Wald, und Sie | |
müssen wissen: Ist das ein Säbelzahntiger oder eine Maus? Im Fall einer | |
Transgender-Person ist es ganz klar eine Maus. Transgender sind nicht | |
gewalttätig, was sie tun, ist nicht ansteckend, sie leben einfach ihr | |
Leben. Völlig harmlos. Viele Menschen können uns aber nicht als Maus | |
erkennen. Und manche finden es einfach blöd, wenn sich etwas verändert. Das | |
kann auch nur sein, dass das Treppenhaus nicht mehr dienstags, sondern | |
donnerstags gereinigt wird. | |
Die Spießer also … | |
… wenn man sein Umfeld analysiert, hat man schon einen Eindruck davon, wer | |
es a priori nicht mag, wenn es knackt. Sie gehen also zunächst zu denen, | |
die eine Transition vermutlich als harmlos einordnen können. Das heißt | |
allerdings noch nicht, dass die das auch gut finden. | |
Jetzt müssen Sie noch jene identifizieren, die verstehen, dass sie zwar | |
einen lieben Freund oder einen geschätzten Kollegen aufgeben, dafür aber | |
eine neue Freundin oder Kollegin gewinnen – wie der Bauer, der die Kuh | |
verkauft und mit dem Geld einen Traktor finanziert. Das geht nur, wenn er | |
sich kompensatorisch über den Traktor freuen kann. Wenn er das nicht kann, | |
kann er übrigens auch nicht Unternehmer sein. | |
Wieso? | |
Unternehmer sind andauernd mit Dingen konfrontiert, die sie nicht | |
beeinflussen können. Knack – der Franken-Euro-Kurs hat sich verändert, was | |
mache ich jetzt? So kam ich überraschenderweise auf die Unternehmer als | |
eine Gruppe, die die ungewohnte Situation am ehesten versteht. | |
Es gibt das Vorurteil, dass gerade Unternehmer eher konservativ sind … | |
Das sind sie vielleicht auch, aber sie kommen mit Veränderungen klar. Ich | |
spreche nicht vom Feld-Wald-Wiesen-Elektriker in Hinterpfupfingen. Wenn bei | |
dem eine Elektromonteurin arbeitet, die ein Mann werden will, kann der Weg | |
sehr mühsam sein. Ich meine eher Leute, die weltoffen sind und mit Neuem | |
gut umgehen können. Das kann auch ein unternehmerisch denkender Zahnarzt | |
oder ein Architekt sein. Da beginnt man. | |
Und dann geht es wieder ein paar Schritte zurück, und irgendwann landet man | |
bei der Mutter, die zuerst abstreitet, dass es überhaupt geknackt hat. Es | |
gibt natürlich auch unternehmerisch denkende Mütter. Meistens ist es aber | |
doch die „Mutti“, und die will dich genauso haben, wie du immer warst. | |
Irgendwann dürften sich bei Ihnen alle damit abgefunden haben, dass es | |
geknackt hat. Gehen Leute mit Ihnen als Frau anders um? | |
Ich glaube, einige denken: Die weiß aber, was sie will. Allerdings habe ich | |
meinen Stil nie verändert. Ich war weder direktiv, noch habe ich gekuscht, | |
ich war immer eher konsultativ. Und dann wundern sich viele, wie technisch | |
versiert und interessiert ich bin – übrigens auch die Frauen. Die fallen | |
vom Stuhl, weil ich an Autos interessiert bin, an HiFi, aber auch an | |
Politik und weil ich auch noch Informatik studiert habe. Bei einem Mann | |
wird so etwas einfach zur Kenntnis genommen. | |
Sehen Sie es als ein Privileg, dass Sie beide Geschlechterseiten aus | |
eigener Erfahrung kennen… | |
Ja, das ist ein Privileg. Allerdings wünsche ich mir, dass andere nach mir | |
früher mit ihrer Transition beginnen als ich und nicht so lange warten. Das | |
macht vieles einfacher. | |
Früher war es ein großes Problem, überhaupt an Informationen über | |
Transgender zu kommen. Heute wird man schnell fündig, zumindest im | |
Internet. Gleichzeitig ist die öffentliche Präsenz von Transpersonen sehr | |
gering. Wieso gibt es Ihrer Meinung nach so wenige Rollenmodelle? | |
Geschätzt nur etwa eine oder einer von 50 Menschen ist transgender. Und es | |
sind noch viel weniger, die sich trauen und die Umwandlung wirklich | |
vollziehen. Das erklärt vieles. Wir sind einfach deutlich weniger als | |
beispielsweise Schwule oder Lesben. Allerdings kennen mittlerweile doch | |
schon eine Menge Leute über Freunde von Freunden von Freunden eine | |
Transperson. Und sie haben eine Ahnung, dass das so schlimm gar nicht sein | |
kann. Das ist viel wert. Hinzu kommt übrigens noch, dass nach einer | |
erfolgreichen Transition viele in der Masse verschwinden. Sie würden | |
umfallen, wenn Sie wüssten, wer alles transgender ist. | |
3 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Stefan Mey | |
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