# taz.de -- Model Pari Roehi im Interview: „Ich habe nie als Mann gelebt“ | |
> Pari Roehi war als erste Transfrau bei „Germany’s Next Topmodel“. Ein | |
> Gespräch über ihre Identitätsfindung und niederländische Krankenkassen. | |
Bild: Roehi beschreibt sich: „Ein Mädchen, das einen Freund hat, eine tolle … | |
taz: Frau Roehi, warum haben Sie sich bei „Germany’s Next Topmodel“ | |
beworben? | |
Pari Roehi: Als die letzte „Topmodel“-Staffel vor einem Jahr lief, waren | |
mein Freund und ich gerade dabei, umzuziehen. Beim Zusammenpacken habe ich | |
mir die Show angeschaut und gesagt: Das kann ich auch. Ein paar Zickereien, | |
ein bisschen in der Villa chillen … Mein Freund sagte nur: „Ja, das musst | |
du machen.“ Bei der US-Version „America’s Next Topmodel“ hatte ja schon… | |
ein Transgender-Model teilgenommen, das hat mich ermutigt. | |
In Deutschland waren Sie die Erste. | |
Das stimmt, aber ich habe niemals gedacht, dass meine Teilnahme in den | |
Medien zu so einem großen Ding werden würde. Ich dachte, es ist das Jahr | |
2015, und die Leute haben sich längst daran gewöhnt. Man sieht | |
Transgender-Leute überall. | |
Haben Sie den Produzenten der Castingshow gleich zu Beginn von ihrer | |
Geschlechtsangleichung erzählt? | |
Ja, gleich im ersten Formular, das ich beim Vorcasting – also noch vor den | |
großen Auswahl-Catwalks in Köln und München – ausfüllen musste, habe ich | |
meine Story erzählt. Ich habe aufgeschrieben, dass „Germany’s Next | |
Topmodel“ für Diversity steht, dass türkische, schwarze, asiatische Frauen | |
gleichermaßen die Chance bekommen, zu Deutschlands schönstem Mädchen | |
gewählt zu werden. Also warum nicht ein Transgender-Mädchen? | |
Sie kamen unter die Top 50. Doch dann sind Sie in der Sendung, die | |
vergangene Woche ausgestrahlt wurde, rausgeflogen. Was glauben Sie, waren | |
die Gründe dafür? | |
Na, die fanden mich als Typ interessant, aber „Germany’s Next Topmodel“ b… | |
ich nicht. Da sitzen eine Menge 16- und 17-jähriger Mädchen herum. Ich bin | |
25 Jahre alt und passe damit nicht so richtig ins Konzept. Ich meine, bei | |
Gesprächen mit den anderen Mädels habe ich gemerkt, wie jung und unsicher | |
die teilweise noch sind. Sie waren total süß, ich mochte alle, aber da wäre | |
ich total herausgestochen. | |
Liegt das nicht auch an dem Druck, dem man in der Sendung ausgesetzt wird? | |
Klar! Ich dachte auch, ich würde niemals im Fernsehen weinen, aber am Ende | |
habe ich es doch getan. Man steht den ganzen Tag auf | |
15-Zentimeter-High-Heels, muss in die Kamera sprechen, hat keine freie | |
Minute, um sich hinzusetzen. Da kann weinen sehr befreiend sein. Die Show | |
kreiert ja diese Situationen, wo dir nichts anderes übrig bleibt, als zu | |
weinen. Psychologisch ist das total gut. Also wenn Sie Frustrationen haben, | |
die Sie nicht rauslassen können, hilft das. | |
Aber dass Sie rausgeflogen sind, hat nichts damit zu tun, dass Sie | |
Transgender sind? | |
Nein. Heidi Klums Kinder sind schwarz. Warum sollte sie nicht tolerant sein | |
gegenüber einer Transgender-Person? | |
Bereuen Sie es, an der Sendung teilgenommen zu haben? | |
Nein, auf keinen Fall. Denn ich habe ein Beispiel gesetzt. Jedes Mal, wenn | |
eine Transgender-Person im Fernsehen ist, geht es um einen Sexskandal. Ich | |
wollte einfach zeigen, dass auch ein ganz normales Mädchen wie ich | |
Transgender sein kann. Ein Mädchen, das einen Freund hat, eine tolle | |
Familie und geliebt wird. Viele sagen nun, ich sei das Topmodel der Herzen, | |
und das freut mich sehr. Die können mich aber gerne als Jurorin nächstes | |
Jahr einladen, I would love that! | |
Ist die „Topmodel“-Redaktion respektvoll mit Ihrer Story umgegangen? | |
Ja, sie sind sehr sensibel mit dem Thema umgegangen und haben die Aufnahmen | |
total gut geschnitten. Ich bin sehr happy, dass ich so viele tolle Angebote | |
bekommen habe nach der Show, es haben sich viele Türen für mich geöffnet. | |
Und ich habe alles dieser Show zu verdanken. Es gab nur eine Kleinigkeit, | |
die mich aber erst im Nachhinein genervt hat, als die Sendung ausgestrahlt | |
wurde. | |
Was ist passiert? | |
Ich musste im Bikini laufen, und am Tag vorher hatte mir die Jury gesagt, | |
dass ich kein Make-up tragen und die Haare zu einem festen Zopf binden | |
soll. Das habe ich alles gemacht. Bevor ich auf den Laufsteg ging, kam | |
sogar jemand von der Produktion und hat noch mal gecheckt, ob ich | |
tatsächlich ungeschminkt bin, da war alles gut. Dann ging ich auf den | |
Laufsteg und hatte ein sehr gutes Gefühl dabei. Ich dachte, ich hätte das | |
Ding gerockt. | |
Aber später sah ich dann im Fernsehen, dass Thomas Hayo sich während meines | |
Walks umdreht und sagt: „Haben wir ihr oder ihm nicht gesagt, dass heute | |
kein Make-up getragen wird?“ Ich meine, ich laufe im Bikini, man sieht, | |
dass ich eine Frau bin. Selbst wenn ich einen Penis hätte – ich sehe doch | |
aus wie eine Frau! Du arbeitest seit mehr als zehn Jahren in der | |
Fashionwelt, dort hat man ständig mit Transgender-Personen und | |
Homosexuellen zu tun. Und Thomas Hayo weiß immer noch nicht, wie er mich | |
anzusprechen hat? | |
Haben Sie auch teilgenommen, um Ihre TV-Karriere voranzubringen? | |
Nein, ich habe mitgemacht für die Erfahrung. Und natürlich auch, um nach | |
Los Angeles zu fliegen (lacht). Ich meine, wie oft hat man die Chance, | |
Bungeejumping von einem Hochhaus zu machen, und Mario Testino fotografiert | |
einen dabei? Ich habe niemals gedacht, dass so viele Leute mich mögen und | |
ich so viele TV-Angebote bekommen würde. Das tut mir echt gut, und ich | |
werde das auch machen. | |
Früher dachte ich immer, dass man ein Talent haben muss, um berühmt zu | |
werden. Aber ich habe verstanden, dass „Germany’s Next Topmodel“ auch eine | |
Chance ist, dich der Welt zu präsentieren, es geht um Personality. Und wenn | |
ich damit Karriere machen kann: gerne. Und wenn ich damit ein Vorbild für | |
junge Menschen sein kann: sehr gerne. In den USA hat man jetzt | |
Transgender-Frauen wie Laverne Cox und Carmen Carrera, die toll sind und | |
Karriere machen. Die gehen so toll damit um, dass sie vielen jungen Mädchen | |
Mut machen. | |
Hinkt Deutschland hinterher, was die Präsenz von Transgender in den Medien | |
angeht? | |
Ja, ganz Europa hinkt hinterher. Aber dafür kümmert man sich in Europa | |
besser um die Leute als in den USA. Dort werden immer noch viele schwarze | |
Transfrauen umgebracht, weil die schwarze Community in dieser Hinsicht sehr | |
konservativ ist. Auch die Selbstmordrate ist wahnsinnig hoch. Für mich, als | |
jemand, der in Holland aufgewachsen ist, ist es total normal, dass meine | |
Eltern damit kein Problem haben, dass ich in ein Krankenhaus gehe und | |
behandelt werde. In Holland bezahlt die Krankenkasse alle Behandlungen und | |
Operationen. Man zahlt nichts für die Medikamente und wird psychologisch | |
betreut. | |
Ihre Eltern haben Sie in diesem Punkt unterstützt? | |
Ja, total. Das Einzige, worauf meine Mutter immer beharrt hat, war, dass | |
ich mich nicht zu einer Witzfigur mache. Denn sie wollte mich zu einer | |
starken Frau erziehen. Sie wollte, dass ich mich anständig anziehe und mich | |
anständig benehme. Es gab viele Regeln. Ich durfte zum Beispiel kein | |
Make-up tragen, bis ich zu Hause ausgezogen war. Da war ich 15 Jahre alt. | |
Sie hat nur gesagt: Du willst ein Mädchen sein? Mädchen in deinem Alter | |
tragen kein Make-up! | |
Wie früh haben Sie über diese Dinge mit Ihrer Mutter gesprochen? | |
Eigentlich konnte ich es mir anfangs gar nicht eingestehen. Mit vier Jahren | |
bin ich mit meiner Mutter aus dem Iran nach Holland gezogen, weil meine | |
Eltern sich haben scheiden lassen. Wir haben drei Jahre in einem | |
Flüchtlingsheim gelebt, das heißt, ich hatte sowieso keine normale | |
Kindheit. In dieser Phase war meine Mutter mit vielen anderen Dingen | |
beschäftigt und konnte sich nicht richtig auf mich konzentrieren. Aber die | |
Lehrer in der Schule haben gemerkt, dass irgendetwas mit mir nicht stimmte, | |
und haben mit ihr gesprochen. Danach hat sie näher hingesehen und mit der | |
Zeit gemerkt: Okay, mein Kind ist Transgender. | |
Wie hat sie reagiert? | |
Sie war erst mal überfordert. Klar, sie war in einem Land, dessen Sprache | |
sie nicht sprach, dessen System sie nicht kannte. Mit 13, 14 Jahren war ich | |
ein sehr androgyner Typ, ich habe lange Haare getragen und meine Nägel | |
lackiert. Irgendwann kam dann meine Mutter total wütend in mein Zimmer und | |
hat gesagt: „So kannst du nicht leben! Sei dies oder das, aber was soll | |
dieses Ding dazwischen? Bist du es nicht leid? Du darfst machen und sein, | |
was du willst, aber entscheide dich endlich.“ Sie hat gesehen, wie | |
unglücklich ich war, auch mit meinen Noten ging es bergab. | |
Wann haben Sie die Geschlechtsanpassung durchgeführt? | |
Erst begann ich eine Therapie, danach wurde ich in die Gender Dysphoria | |
Klinik nach Amsterdam geschickt. Mit 17 Jahren erst begann ich Medikamente | |
zu nehmen. Normalerweise kann man schon früher etwas bekommen, um die | |
Hormone während der Pubertät zu kontrollieren. Aber mein Körper hat sich | |
erst sehr spät entwickelt, ich hatte weder Stimmbruch noch Bartwuchs. Mein | |
Körper war echt komisch. Und als ich mit der Hormonbehandlung begann, habe | |
ich sehr gut darauf reagiert. | |
Ich glaube, meine Brüste fingen schon nach zwei Monaten an zu wachsen. Für | |
die Operation wurde ich auf eine Warteliste aufgenommen, und mit 19 wurde | |
ich dann operiert. Aber es war nie etwas Außergewöhnliches für mich, weil | |
alles geplant war und ich mich darauf gefreut habe. Ich wollte endlich | |
einen Bikini tragen und tolle Dinge erleben. Und ich hatte so viel | |
Unterstützung von meiner Familie und von Freunden. Die Schule war natürlich | |
eine Katastrophe für mich. Kinder mobben einen, wenn sie Dinge nicht | |
verstehen. | |
Die Medien sind nun auf Sie aufmerksam geworden. Wie nehmen Sie das wahr? | |
Transgender zu sein ist kein Geheimnis. Die Leute können ruhig über mich | |
reden. Aber ich habe in der letzten Zeit Dinge gelesen, die habe ich in | |
meinen 25 Jahren vorher nicht gehört. Es gab Schlagzeilen wie „Die Transe | |
von Klum“, oder die Bild schrieb: „Klum-Model war ein Mann.“ Bitte? Ich | |
habe nie einen Bart oder Männerklamotten getragen und habe nie als Mann | |
gelebt. | |
10 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Fatma Aydemir | |
Marlene Halser | |
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