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# taz.de -- Identität und Sprache: Er? Sie? Dazwischen!
> Schweden mal wieder ganz weit vorne: Im Wörterbuch des Landes steht nun
> ganz offiziell das geschlechtsneutrale Personalpronomen „hen“.
Bild: Müssen wir immer über das Geschlecht reden?
Kivi wünscht sich einen Hund. So viel ist klar. Aber ist Kivi nun ein Junge
oder ein Mädchen? Diese Frage erregt in Schweden seit 2012 die Gemüter –
seit Jasper Lundquist sein Kinderbuch „Kivi und der Monsterhund“
veröffentlichte und das Kind durchgängig mit dem Pronomen „hen“ bezeichne…
– was übersetzt weder „er“ noch „sie“ heißt.
Lundquist war der erste Autor, der diese Mischform aus den schwedischen
Wörtern „han“ (er) und „hon“ (sie) in einem Buch verwendete.
Geschlechterrollen sprachlich aufzubrechen – das machte „Kivi und der
Monsterhund“ zum Kultbuch in Schweden, stieß eine Debatte an und steht
dafür, dass Schweden auch sprachlich zukunftweisend ist.
Denn ab sofort steht das geschlechtsneutrale Fürwörter „hen“ auch im
„Schwedischen Wörterbuch“, dem schwedischen Äquivalent des Duden, dessen
jüngste Ausgabe am Mittwoch erscheint. Damit wird das Pronomen Teil der
offiziellen Wortliste Schwedens – und ein jahrzehntelanger Kampf unter
Sprachwissenschaftlern beendet. Bereits in den 1960er Jahren empfahlen
Linguisten geschlechtsneutralisierende Sprachgestaltung als
Grundvoraussetzung für Chancengleichheit und Gleichberechtigung.
Entschieden hat die Aufnahme die Schwedische Akademie, ein halbstaatlicher
Wissenschaftsrat, bereits im Sommer 2014. International bekannt ist die
Akademie, weil sie die Literaturnobelpreisträger verkündet.
„Hen“ biete viele sprachliche Möglichkeiten, sagt Lena Lind Palicki,
Sprachwissenschaftlerin, die beratend bei der Aufnahme des Wortes in den
Kanon beteiligt war. Einerseits könne es genutzt werden, wenn das
Geschlecht einer Person unbekannt oder unwichtig sei. Andererseits sei es
ein Personalpronomen für Menschen, die sich selbst weder als Mann oder Frau
bezeichnen würden. Weil „hen“ nicht auf das biologische Geschlecht
hinweist, unterstützen es auch Organisationen, die sich für die Interessen
inter- und transsexueller Menschen einsetzen.
## Als Kunstwort verlacht
Nicht nur Kinderbuchautor Lundquist bemühte sich, die Gleichberechtigung
von Mann und Frau in Schweden schon von Kindesbeinen an voranzutreiben.
Auch der Stockholmer Kindergarten Egalia verfolgt dieses Ziel. Leiterin
Lotta Rajalin erklärt, dass die Vorschule besonderen Wert auf ein Klima der
Toleranz gegenüber Schwulen, Lesben, Bi- und Transsexuellen lege.
Mitarbeiter haben männliche und weibliche Attribute aus ihrem Wortschatz
gestrichen und nutzen stattdessen das geschlechtsneutrale „hen“. Neben
Lundquists Klassiker finden sich in den Regalen der Vorschule auch Bücher
über homosexuelle Paare oder alleinerziehende Eltern.
Oft wird „hen“ als Kunstwort der feministischen und Schwulenszene oder
Eintagsfliege verlacht – und auch im liberalen Schweden findet das Wort
nicht überall Fürsprecher. Die rechtspopulistischen Schwedendemokraten,
drittstärkste Kraft des Landes, weigern sich vehement, das neue Pronomen in
den eigenen Sprachgebrauch aufzunehmen. Auch Schwedens größte überregionale
Zeitung, Dagens Nyheter, untersagte laut Medienberichten 2012 seinen
Redakteuren, die Wortneuschöpfung zu nutzen. Für Sprachwissenschaftlerin
Palicki ist es nicht verwunderlich, dass „hen“ konservative Geister
provoziert: Viele hätten Angst, dass das Wort Geschlechter ganz aus der
schwedischen Sprache tilge. Das sei aber nicht der Fall, da das neue
Pronomen mehr Ergänzung als Ersatz sei.
Um alle Geschlechter und Identitäten gleichermaßen anzusprechen, haben
schwedische Behörden „hen“ bereits weitestgehend eingeführt. Nicht zu
verwechseln ist das Pronomen übrigens mit dem deutschen „es“. Dafür gibt …
im Schwedischen das sächliche „det“. In der deutschen Sprache fehlt ein
neutrales Personalpronomen bisher. Leider.
14 Apr 2015
## AUTOREN
Maxi Beigang
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