| # taz.de -- Schlagloch Tierhaltung: Geboren und geschreddert | |
| > Tiere werden nicht nur in eine Art Häcksler geworfen oder per Kopfschuss | |
| > „betäubt“. Die Sprache, die sogenannte „Erzeuger“ benutzen, ist brut… | |
| Bild: Grade auf der Welt, schon eingepfercht: Küken. | |
| Der Streit um die männlichen Eintagsküken geht in die nächste Runde. Die | |
| heutigen Legehennen sind ja so gezüchtet, dass an ihnen nicht viel Fleisch | |
| „dran“ ist, daher lohnt es sich nicht, die männlichen Küken aufzuziehen u… | |
| zu schlachten. Sie werden direkt nach dem Schlupf aussortiert und in eine | |
| Art Häcksler geworfen. | |
| Johannes Remmel, Landwirtschaftsminister von NRW, wollte diese Praxis | |
| verbieten lassen. Gegen seinen Gesetzesvorstoß klagten diverse | |
| Küken„erzeuger“, und ein Gericht gab ihnen jetzt Recht: Dem Verbot stünden | |
| im Grundgesetz geschützte Interessen der Züchter entgegen. Remmel will in | |
| Berufung gehen. „Tiere sind keine Abfallprodukte“, sagte er. „Es darf nic… | |
| sein, dass aus rein wirtschaftlichen Gründen jedes Jahr 50 Millionen | |
| Eintagsküken ohne triftigen Grund vergast und geschreddert werden, nur um | |
| die Gewinnspanne bei den Unternehmen zu erhöhen.“ | |
| Ähnlich scheint es Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) zu | |
| sehen, der eine entsprechende Regelung auf den Weg bringen will. Nach | |
| Schmidts Einschätzung gibt es neue Verfahren, das Geschlecht der Küken im | |
| Ei zu erkennen und die männlichen frühzeitig auszusortieren. | |
| Dass die Aufnahme des Tierschutzes als Staatsziel ins Grundgesetz nicht | |
| viel gebracht hat, das zeigt auch dieser Streit mal wieder. Zwischen | |
| sämtlichen Rechtsgütern und Zielen müssen nämlich Abwägungen getroffen | |
| werden, und das Interesse des Tieres hat dabei oft zurückzustehen, nicht | |
| nur hier: Schließlich ist die gesamte wirtschaftliche Tierhaltung nach dem | |
| Prinzip der Gewinnsteigerung organisiert. | |
| Oder wurden die weiblichen Legehennen etwa nicht aus „rein wirtschaftlichen | |
| Gründen“ so gezüchtet, dass sie ein Jahr lang legen wie kleine Maschinen | |
| und dann wegen Tumoren, Legedarmentzündungen und Skelettproblemen so | |
| erschöpft sind, dass sie sich nicht mehr „rentieren“ und als Suppenhühner | |
| deklariert werden? (Früher lebten Hühner bis zu 15 Jahre). | |
| ## „Rein wirtschaftliche Gründe“ | |
| Wurden heutige Sauen nicht aus „rein wirtschaftlichen Gründen“ so | |
| gezüchtet, dass sie bis zu doppelt so viele Ferkel werfen wie früher und | |
| dass viele dieser Ferkel daher so klein und schwach sind, dass sie in den | |
| Tagen nach der Geburt verkümmern oder getötet werden, weswegen | |
| einkalkulierte 10 Prozent der geborenen Ferkel nicht einmal „den | |
| Schlachthaken erreichen“, wie es in der zarten Sprache der Agrarindustrie | |
| heißt? Folgt es nicht „rein wirtschaftlichen Gründen“, dass circa 30 | |
| Prozent der Kühe aufgrund der großen Milchmengen unter chronischer | |
| Euterentzündung leiden? | |
| In den die Landwirtschaft betreffenden Punkten besteht unser | |
| Tierschutzgesetz aus mehr Ausnahmen als Regeln. Zum Beispiel lautet | |
| Paragraph 5 (1): „An einem Wirbeltier darf ohne Betäubung ein mit Schmerzen | |
| verbundener Eingriff nicht vorgenommen werden.“ Von der Pflicht zur | |
| Betäubung ausgenommen sind allerdings im selben Paragraphen unter anderem | |
| das Kastrieren von jungen männlichen Rindern, Schafen und Ziegen, das | |
| Enthornen junger Rinder, das Kürzen des Schwanzes von unter vier Tage alten | |
| Ferkeln, die Kennzeichnung junger Rinder und Pferde durch | |
| Schenkeltätowierung, von Schweinen durch Schlagstempel und von anderen | |
| landwirtschaftlichen Nutztieren durch Ohrtätowierung, Ohrmarke oder | |
| Flügelmarke. | |
| Sprich: Man darf Tiere laut Tierschutzgesetz nicht betäubungslos | |
| verstümmeln, kastrieren oder manipulieren – außer in all jenen Fällen, wo | |
| dies in der Landwirtschaft üblich ist. Einem Hund oder einer Katze dürfte | |
| man so etwas nicht antun, „landwirtschaftlichen Nutztieren“ aber sehr wohl: | |
| nicht weil es diesen weniger Schmerzen bereitet, sondern eben aus rein | |
| wirtschaftlichen Gründen. Eine Betäubung würde das Hinzuziehen eines | |
| Tierarztes erforderlich machen, das wäre teurer. Letztlich zeigt sich auch | |
| an der wachsenden Empörung vieler Verbraucher, die nicht möchten, dass | |
| männliche Eintagsküken sterben, wie gern wir uns die übliche Praxis | |
| schönreden oder -denken. | |
| Ein sehr kleines Tier wie ein Hühnerküken stirbt recht schnell, wenn es in | |
| einen Häcksler geworfen wird. Ein großes Tier wie ein Rind muss zuerst | |
| fixiert werden und bekommt dann zur Betäubung den Bolzenschuss angesetzt. | |
| Aber schon dieser Begriff der „Betäubung“, der in unserem Tierschutzgesetz | |
| verankert ist und so viele Menschen in dem Glauben wiegt, die Tiere würden | |
| irgendwie „schonend“ getötet, ist irreführend: Beim Bolzenschuss wird dem | |
| Rind der Schädel zerschmettert (nicht immer ist es nach dem ersten Schuss | |
| schon tief genug betäubt). | |
| ## Die „Betäubungsgondel“ | |
| Für die 60 Millionen Schweine, die wir in Deutschland jedes Jahr | |
| schlachten, beginnt der Tod mit der Elektrozange oder Kohlendioxid. Wieder | |
| begegnen wir einem Euphemismus, zum Beispiel dem der „Betäubungsgondel“. In | |
| diesen Gondeln werden die Schweine in einen Schacht mit Kohlendioxid | |
| hinuntergelassen; 20 Sekunden springen und kämpfen sie noch, dann brechen | |
| ihnen die Beine weg, nach 20 weiteren Sekunden verlieren sie das | |
| Bewusstsein. Ist das jetzt ein sanfter Tod? Ein schnellerer und „schönerer“ | |
| Tod als der im Häcksler? | |
| Die Schwestern der geschredderten Eintagsküken werden noch viel durchmachen | |
| müssen, bevor auch sie im Gas oder, häufiger, kopfüber aufgehängt im | |
| Elektrobad landen. Wer ein paar Stunden zu spät schlüpft, wird ohnehin | |
| weggeschmissen. Die anderen werden über Fließbänder und in Kisten in die | |
| Hallen transportiert, in denen sie aufwachsen sollen, werden piepsend | |
| herumirren und keine Mutter finden, die ihnen den Weg zu Futter und Wasser | |
| zeigt und sie unter ihre wärmenden Flügel nimmt. Sogenannte Hungertote in | |
| den ersten Tagen sind an der Tagesordnung, bis die mutterlosen Küken | |
| alleine klarkommen. | |
| Daraus folgt natürlich nicht, dass es okay wäre, auch sie gleich in den | |
| Häcksler zu werfen. Nur sollten wir uns nicht zu schnell zurücklehnen, | |
| falls es gelingen sollte, 30 Millionen Eintagsküken den Tod im Häcksler zu | |
| ersparen: Gut 700 Millionen anderer „Nutztiere“ pro Jahr stürben in | |
| Deutschland weiterhin einen gewaltsamen Tod. | |
| 4 Mar 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Hilal Sezgin | |
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