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# taz.de -- Kolumne Wir retten die Welt: Ohne ist das neue Mit
> Auch jenseits der Grünen Woche zeigen sich Lebensmitteltrends. Zum
> Beispiel auf der Messe „The Allergy & Free From Show“.
Bild: Gummibären. Mit Zucker. Ohne Gummi. Und ohne Bären.
Die Packung sieht aus, als hätte man gleich einen Beipackzettel dazureichen
können. „Ohne Zuckerzusatz“ steht drauf und dann: „Frei von Aromen, ohne
Nüsse, Saaten und Kerne, ohne Speisesalz.“ Herzlich willkommen vor dem
Müsliregal im Supermarkt.
Produkte definieren sich heute ja weniger über das, was drin ist, als über
das, was nicht drin ist. Shampoo ohne Silikone, Sonnenmilch ohne Parabene,
Kinderspielzeug ohne Weichmacher und Müsli, bei dem man sich fragt, was
ohne Nüsse, Saaten und Kerne eigentlich noch übrig bleibt. So ist ohne das
neue Mit. Steht heutzutage ein Mit auf der Verpackung, vermittelt es im
Subtext gleich das Ohne: „Mit Agave gesüßt“ – aha, kein Zucker drin.
Kein Wunder, dass es längst die Messe zum Ohne-Trend gibt, parallel zur
Grünen Woche, die immer noch auf das alte Mit setzt (Ausstellung mit
Tanzeinlagen, Wurst mit Meerrettich, Landwirtschaft mit Massentierhaltung):
„The Allergy & Free From Show“ heißt das neue Gegenstück und die
Ausstellerliste liest sich wie eine Mischung aus Apotheke und veganem
Biosupermarkt.
Dabei sind die Ohne-Käufer nur die logische Folge des alten Mit: der immer
stärkeren Verarbeitung der Lebensmittel, der kompletten Verunsicherung, was
sich in einem Produkt befindet. Wer im Supermarkt beliebige Zutatenlisten
studiert, wünscht sich häufig eine Tabelle mit E-Nummern zur Hand. Und
einen Abschluss in Lebensmittelchemie.
Wo große rote Erdbeeren von der Packung leuchten, ist schon lange kein
Verlass mehr darauf, dass tatsächlich Erdbeere drin ist. Und wer kann auf
Anhieb sagen, was genau Dimethylpolysiloxan ist und ob man auf Lebensmittel
mit dieser Zutat besser verzichten sollte?
## Produkte für ein besseres Leben
Das zu viel Mit in der Vergangenheit hat abgestumpft, immun gemacht. Wer
greift denn heute noch zu einem Fruchtgummi, weil „mit Vitamin C“
draufsteht? Da müssen schon zusätzlich noch Kalzium, Vitamin A, B und D und
die Schluckimpfung gegen Rotaviren drin sein. Oder zumindest das
Versprechen, dass das Leben besser wird und die Kinder aufhören zu
schreien.
Damit unterscheiden sich die Ohne-Käufer gar nicht so von den Mit-Käufern:
Beide erhoffen sich mit den Produkten ein besseres Leben. Die einen mit
mehr Vitaminen, die anderen ohne Allergene. Und beide befreien sich von der
Last, lange Zutatenlisten zu studieren. „Ohne Palmöl“ – super, schon mal
eine Sache weniger, über deren Herkunft, Verarbeitung und Auswirkungen man
sich Gedanken machen muss. Gehörte das Mit zur Überflussgesellschaft, ist
das Ohne der verzweifelte Versuch, sich in deren Dickicht zurechtzufinden.
Wer Mit kauft, will viel, noch mehr, die doppelte Portion. Ohne ist
Reduktion. Der Fokus aufs Wesentliche. Einfachheit. So jedenfalls das
Versprechen.
Was wir brauchen, ist also nicht ein Weniger an Ohne, sondern ein Mehr. Ein
auf den ersten Blick sichtbares Bekenntnis dazu, was eigentlich so an
Überflüssigem in Umlauf ist. Die neue Fitness-App? Ohne Privatsphäre. Die
Bahn? Ohne Pünktlichkeit. Die Bundesregierung? Ohne Konzept.
Noch einen Schritt weiter geht Theramed, ein Hersteller von Produkten zur
Mundygiene aus dem Hause Henkel. Der hat eine Zahnpasta im Angebot, für
Kinder ab sechs Jahren. Die Tube in knalligem Magenta, auf dem Etikett
beworben mit einer Art Krokodil mit Turnschuhen. Überraschung eins:
Krokodil ist nicht drin, auch nicht in Spuren. Überraschung zwei: Noch
etwas anderes fehlt, etwas, sonst eigentlich die Standardzutat von
Zahnpasta. Deshalb weist der Hersteller auf der Packung extra darauf hin,
deutlich, in Gelb auf Blau: „Ohne Zucker“.
23 Jan 2015
## AUTOREN
Svenja Bergt
## TAGS
Erdbeeren
Zucker
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Technologie
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Nürnberg
Tierschutz
Grüne Woche
Schwerpunkt TTIP
Gesundheit
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