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# taz.de -- Kolumne Wir retten die Welt: Die Internetheinis spielen Gott
> Sind technische Erfindungen nur kleine Kratzer auf der Oberfläche des
> Lebens? Oder wird die Welt gerade wirklich grundlegend neu erschaffen?
Bild: Schöne neue Welt? Nigel Ackland präsentiert im März seine myoelektrisc…
Empörung beim sonntäglichen Frühstück in unserer Küche. Ich lese im
Spiegel, ein gewisser Ray Kurzweil, Chefingenieur von Google, sehe einen
Moment der Singularität kommen. Mit Singularität meint er eine Situation,
in der die Menschheit durch die Internetrevolution in die Zukunft
geschleudert wird. Der Fortschritt explodiert, plötzlich ist vieles
möglich, was bis dahin illusionär erschien.
Dann kann man 150 Jahre leben, weil global vernetzte Forscher endlich ein
Medikament gegen Krebs gefunden haben. Meine Tochter erscheint als
3-D-Hologramm im Wohnzimmer, wenn sie mit mir telefoniert. Die
Internetentwickler haben so geniale Erfindungen gemacht, dass alle Dämme
brechen.
Moment, denke ich, dieser Althippie hat ein paar Pillen zu viel
eingeworfen. Leider wird mein Ei kalt und der Kaffee auch. Ich brauche
einen Augenblick, bis ich weiß, wo ich suchen muss. Schöpfungsgeschichte,
1. Buch Mose: „Es werde Licht. Und es ward Licht. Und Gott sah, dass das
Licht gut war.“ Der Augenblick der Singularität, in dem alles begann. Man
kann auch die wissenschaftliche Version dieser Story heranziehen, die
Urknall-Theorie. Weil die Materie im All auseinanderstrebt, muss es
irgendwann einen Startpunkt gegeben haben.
Jedenfalls scheinen sich die Internetheinis an dem Glauben zu berauschen,
sie könnten die Welt so komplett, radikal und grundsätzlich verändern, dass
quasi alles neu wird. Ich rege mich auf. Mein Sohn, 15, technikaffin:
„Stimmt doch.“ Ich: „In der Wohnung von Oma und Opa war das
Wählscheiben-Telefon an der Wand festgeschraubt, heute habe ich ein Handy
in der Tasche. Na und?“ Ja, es ist eine Veränderung. Aber wie weitreichend?
Was wichtig ist: Menschen lieben, führen Kriege, gründen Familien, bauen
Nahrungsmittel an, sterben. Was ändert daran das Smartphone? Technische
Erfindungen sind Kratzer auf der Oberfläche des Lebens.
Ich reagiere auch deshalb so empfindlich, weil ich weiß, dass ich unrecht
habe – teilweise. Im Mittelalter starb man mit 35 Jahren. Heute lebt man
bis 80 – dank Medizin, Wissenschaft, Technik. Ein gigantischer Fortschritt,
den ich gerne mitnehme. Warum ärgert mich dann Kurzweils Vision der
abermaligen drastischen Verlängerung des Lebens? Wegen der unglaublichen
Anmaßung, die der Begriff „Singularität“ enthält.
Kurzweil ist nicht der Einzige. Ein gewisser Peter Thiel, Paypal-Gründer
und Facebook-Investor, verkündet: Wirtschaftliche Monopole sind gut für uns
– und kein Übel, wie wir Kleinkrämer immer denken. Im Gegenteil: Konzerne
sollen die Welt beherrschen dürfen, weil sie den Menschen dann viel mehr
Gutes tun können, als wenn sie durch lästigen Wettbewerb behindert werden.
Das scheint mir das Kernziel der Internetvisionäre zu sein: Sie wollen das
Leben auf den Kopf stellen, ohne dass ihnen jemand reinredet. Schon gar
nicht die Politik. Also Vorsicht: Bevor Konzerne wie Amazon, Apple,
Facebook, Google und Uber uns wirklich in Schwierigkeiten bringen, sollten
wir ihnen selbst einen Knall verpassen. Bevor es zu ihrem Urknall kommt.
12 Apr 2015
## AUTOREN
Hannes Koch
## TAGS
Technologie
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