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# taz.de -- Kolumne Wir retten die Welt: Da hilft nicht mal Beten
> Die Weltreligionen wollen die Schöpfung schützen. Da könnten sie doch
> gemeinsam einen Religionskrieg gegen den Kapitalismus führen.
Bild: Mit der Arche auf Missionsreise zu den ungläubigen Kapitalisten
Josef Stalin war ganz groß darin, die falschen Fragen zu stellen: „Wie
viele Divisionen hat der Papst?“, soll der sowjetische Diktator sich
spöttisch über die vermeintliche Machtlosigkeit der katholischen Kirche
mokiert haben. Ein paar Jahrzehnte später zeigte dann ausgerechnet ein
polnischer Papst Stalins Nachfolgern, was eine Harke bzw. ein Kreuz ist,
und wirkte kräftig am Untergang des real existierenden Sozialismus mit. Es
rächt sich, wenn man die Soft Power des Gegners unterschätzt.
Das könnte gerade wieder passieren. Einerseits fassen sich in der Debatte
um die päpstliche Öko-Enzyklika „Laudato si“ manche an den Kopf: Was hat
der Papst schon zu befehlen? Um den Vatikan klimaneutral zu machen, reicht
es doch, einfach die Kerzen im Petersdom auszupusten. Aber der Irrtum
grassiert auch in die andere Richtung: Schließlich verspricht die
katholische Kirche seit 2015 Jahren die Rettung der Welt. Roma locuta,
causa finita, wie es unter Theologen heißt - Rom hat gesprochen, das Ding
ist gelaufen.
Schön wär‘s. Vielleicht überschätzen wir dann doch SEIN oder IHR Interesse
an unserer kleinen blauen Murmel im Universum. Erstaunlich ist etwas
anderes: Wie kann es sein, dass sich weltweit fast 90 Prozent der Menschen
(also praktisch alle bis auf die Ossis) irgendeiner Form von Gottheit
verpflichtet fühlen - und die Erde, die „Schöpfung“ dieses übergeordneten
Wesens, trotzdem wie Dreck behandeln? Warum hält uns der Glaube an den
Großen Manitu nicht davon ab, Seine Ewigen Jagdgründe in den nächsten
Toom-Baumarkt zu verwandeln?
## Marktwirtschaft als Religion
Gläubige Menschen in aller Welt arbeiten ja durchaus an der Rettung des
Himmels in Form der Ozonschicht oder am Überleben der „Grünen Hölle“. In
den heiligen Schriften von Christentum, Islam und Judentum finden sich
viele Texte, die zur Schonung von Wasser und Boden aufrufen, Gerechtigkeit
fordern und Ökoparadiese beschreiben. Nicht umsonst ist Grün die Farbe des
Propheten. Buddhistische Mönche leben vor, wie man jenseits des Konsumwahns
glücklich ist, Hindus erlangen inneren Frieden, wenn sie alle Begierden
aufgeben, und im Taoismus heißt es: Wer sich zu genügen weiß, hat ewig
genug.
Auch das „buen vivir“ in Lateinamerika stützt sich auf Harmonie mit der
„Pacha Mama“, der Mutter Erde. Für viele ursprüngliche Religionen ist
völlig klar, dass die Welt ein lebendiges Wesen ist und weder
Selbstbedienungsladen noch Müllhalde. Für das Worldwatch-Institut können
Religionen deshalb als „Gegenentwurf zum Konsumismus“ ein „Hort der
Nachhaltigkeit“ sein.
## Kreuzzug und Dschihad
Aber offenbar hilft nicht mal Beten gegen den großen Satan Kapitalismus.
Vielleicht, weil die Marktwirtschaft selbst eine Religion ist, mit ihrer
Ideologie des persönlichen Reichtums, ihrem Glauben an den Kredit der
Gläubiger und ihren Kathedralen des Geldes? Dann wäre es mal wieder Zeit
für einen ordentlichen Religionskrieg, in dem sich die gläubigen Ökos mit
den Mächten der Finsternis anlegen müssten.
Die christlichen Kirchen könnten neue Umweltorden gründen und „grüne
Brüder“ und „Schwestern des göttlichen Lichts“ auf Missionsreise zu den
Ungläubigen schicken. Wenn diese dann immer noch auf Weißwürste und
Braunkohle bestehen, könnten die frommen Grünen in Rom oder Mekka mal über
einen ordentlichen Kreuzzug, wahlweise einen Dschihad, nachdenken – aber
natürlich, ohne jemandem dabei ins Gesicht zu schlagen. Die Welt wäre
gerettet. Gott wäre zufrieden. Und Stalin wäre beeindruckt.
26 Jun 2015
## AUTOREN
Bernhard Pötter
## TAGS
Religion
Kapitalismus
Naturschutz
Bolivien
Glaube, Religion, Kirchenaustritte
Tiere
Klima
Schwerpunkt Klimawandel
Biodiversität
USA
Technologie
taz.gazete
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