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# taz.de -- Kolumne Wir retten die Welt: Auf dem Friedhof tobt das Leben
> Wo lässt sich der Tag der Biodiversität besser begehen als zwischen
> Grabsteinen? Denn wo die Toten liegen, feiert das Leben pralle Feste.
Bild: Tod und Leben sind hier nahe beieinander.
Elegant legt sich das Sommergoldhähnchen in die Kurve, der Zilpzalp zilpt
und der Rotfuchs gähnt. Eidechsen huschen über sonnenbeschienene Mäuerchen,
Wanzen munkeln im Dunkeln, während Frühlingsfingerkraut und Knäuelgras sich
sacht im Winde wiegen. Und zwischen all den Blumen und Gräsern gaukeln
sanft die Schmetterlinge.
Nein, wir sind nicht im Zoo, sondern auf dem Friedhof. Denn dort, wo die
Toten begraben sind, feiert das Leben pralle Feste. Mitten in der Stadt.
Friedhöfe, jene feinen stillen Orte der Andacht, haben sich an vielen
Standorten zu wahren Hotspots der Biodiversität entwickelt.
Hier sagen sich nicht nur Fuchs und Hase gute Nacht, hier gibt’s auch
reichlich Eulen, Molche, Marder, Kröten, Fledermäuse, Heuschrecken und
manchmal sogar Waschbären. Allein 63 Brutvogelarten hat man in Bäumen,
Hecken und dichten Büschen auf Berliner Friedhöfen gezählt. Auch das Insekt
fühlt sich pudelwohl bei so viel Friedhofsruhe. Auf Bonner Gottesackern
registrierte man ein Fünftel aller in Nordrhein-Westfalen lebenden
Wanzenarten.
Und nicht nur für die Tierwelt ist der Friedhof ein Paradies. Auf den
Berliner Friedhöfen fand man rund 700 Spezies wilder Farn- und
Blütenpflanzen, von denen zehn Prozent zu den gefährdeten Arten gehören.
## „Reduzierte Eingriffsdichte“
Ergo: Wo man die Natur weitgehend ungestört sich selbst überlässt, da kann
sie triumphieren. Hat diese Vielfalt womöglich auch mit dem Dünger von
unten zu tun? Nicht unbedingt, denn auch und gerade auf den schon lange
stillgelegten Friedhöfen, auf denen nicht mehr bestattet wird, zeigt die
Natur, was sie zu bieten hat.
Entscheidend ist die „reduzierte Eingriffsdichte“ durch den Menschen. Auf
Deutsch: Friedhöfe lässt man in Ruhe. Das gilt natürlich nicht für die öden
Kirchhöfe, wo sich die eingefassten Gräber neben akkurat geschotterten
Wegen streng geometrisch aneinanderreihen.
Aber die vielen großzügig angelegten Garten- und Parkfriedhöfe sind
biologisch umso interessantere Rückzugsgebiete der Natur. Sie sind
pestizidfrei und sie sind gar nicht so klein: Die 196 derzeit genutzten
Friedhöfe Berlins haben eine Fläche, die etwa 1.400 Fußballfeldern
entspricht – reichlich Platz für Gelbspötter, Habichtskraut und
Klappergrasmücke.
Auch die veränderte Bestattungskultur kommt der Natur entgegen. In Berlin
machen Urnenbestattungen inzwischen schon 75 Prozent aus. Und weil ohnehin
weniger gestorben wird, werden auf den Friedhöfen immer mehr Flächen frei –
für die Natur.
## Friedhöfe zu Streuobstwiesen!
In Deutschland haben wir nicht nur freie Arztwahl. Die logische Fortsetzung
ist die freie Friedhofswahl. Und auch im Tod mag es der Mensch gern
idyllisch. Deshalb der Boom für die beliebten Bestattungswälder. Die
Konkurrenz um die Toten wächst jedenfalls, es ist „ein Kampf um jede
einzelne Leiche“, wie kürzlich bei einem Vortrag in der Evangelischen
Akademie Loccum zu hören war. Da muss man schon was zu bieten haben. Mehr
und mehr Friedhöfe werden jetzt wie Bauerngärten angelegt oder auch mal als
schlichte Streuobstwiese. Beliebt sind auch Grabfelder inmitten bunter
Wiese. Alles gut, solange der Sensenmann nicht in der Person des
Friedhofswärters erscheint und ständig niedermäht, was wächst und wuchert.
Natürlich haben auch die Naturschützer den Friedhof entdeckt. Aber noch ist
die biologische Vielfalt zwischen den Gräbern nicht annähernd gelistet und
erforscht. Auch der Besuch von Schulklassen während des Biologieunterrichts
hält sich noch in Grenzen.
Damit das auch so bleibt: Sagen Sie’s bitte nicht weiter, was da alles auf
den Trauerflächen kreucht und fleucht. Denn jede Form von
Biodiversitätstourismus – wandre auch Du dem Grabe zu – wäre eher
kontraproduktiv.
22 May 2015
## AUTOREN
Manfred Kriener
## TAGS
Biodiversität
Friedhof
Unterbringung von Geflüchteten
Religion
Bundesamt für Naturschutz
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