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# taz.de -- Bedrohte Arten in Deutschland: Multikulti auf absterbendem Ast
> Die Biodiversität in Deutschland ist stark gefährdet. Ein Drittel aller
> Tier- und Pflanzenarten ist bedroht. Aber es gibt auch positive
> Entwicklungen.
Bild: Die gute Nachricht: Biber vermehren sich wieder stärker
BERLIN taz | Deutschland schafft es nicht, seine Tiere, Pflanzen und
Ökosysteme wirksam zu schützen. „Der Zustand der Artenvielfalt in
Deutschland ist alarmierend“, lautet das Fazit des ersten umfassenden
Berichts zur Lage der Natur aus dem Bundesamt für Naturschutz (BfN).
Ein Drittel der heimischen Arten „steht auf der Roten Liste und hat damit
als gefährdet zu gelten“, heißt es im „Artenschutz-Report 2015“, der an
diesem Mittwoch der Öffentlichkeit präsentiert wird und der taz vorab
vorliegt. Mit den Daten werde „deutlich, dass das nationale Ziel, den
Verlust der biologischen Vielfalt zu begrenzen, bisher verfehlt worden
ist“, schreibt die Behörde. „Es besteht dringender Handlungsbedarf.“
Auf 61 Seiten hat das BfN zum ersten Mal Informationen aus verschiedenen
Quellen zusammengetragen: aus den Roten Listen der Naturschutzorganisation
IUCN (International Union for Conservation of Nature) zur Gefährdung der
Arten und aus offiziellen Berichten zu Biodiversität, Vogelschutz oder
Pflanzen. Damit soll ein umfassendes Bild zum Zustand des Naturschutzes
entstehen. Denn obwohl ein Drittel der Fläche Deutschlands von Wald bedeckt
ist und es überall grünt und blüht, verschwinden immer mehr Tiere und
Pflanzen.
Das Bild ist düster: Jeweils etwa ein Drittel der Pflanzen- oder Tierarten
sind bereits ausgestorben oder ernsthaft bedroht; es gibt zu wenige
naturnahe Wälder und Flussauen, kein einheitliches Management für
Schutzgebiete und zu wenige Biotope, die miteinander verbunden sind.
Hauptamtliche und ehrenamtliche Umweltschützer werden laut Bericht zu wenig
unterstützt.
## Wolf und Kegelrobbe wieder heimisch
Insgesamt zählt das Bundesamt in Deutschland etwa 71.500 Arten von
Lebewesen, davon 48.000 Spezies wild lebender Tiere. Vom „schleichenden
Verlust der Artenvielfalt“ sind alle Gruppen betroffen: Bei den
Wirbeltieren sind allein im 20. Jahrhundert 22 Arten – darunter die
Langflügelfledermaus – ausgestorben. Von 131 nach EU-Recht besonders
geschützten Spezies weisen laut Bericht „nur 20 Prozent einen günstigen
Erhaltungszustand auf“. Die Lage bei Bienen, Ameisen und einigen Faltern
sei „dramatisch“.
Der „Artenschutz-Report 2015“ verweist auch auf Erfolge: So ist der Wolf
wieder heimisch geworden, die Biber vermehren sich, die Kegelrobbe ist
zurückgekehrt. Auch bei Schwarzstorch, Seeadler und Äskulapnatter melden
die Naturschützer Fortschritte. Geholfen hätten umfangreiche
Schutzprogramme und warme Winter, sauberes Wasser, geringerer „Jagddruck“.
Das Bundesamt betont, es gehe bei der Artenvielfalt nicht um isolierten
Schutz, sondern um eine Betrachtung der „biologischen Vielfalt“, die auch
Lebensräume, Ökosystem und genetische Vielfalt einschließe. Auch da
allerdings liegt vieles im Argen: Im Wald wird nur etwa drei Viertel der
angestrebten Vielfalt des Lebens erreicht; statt wie gefordert 5 Prozent
der Wälder wild zu lassen, sind es im Schnitt gerade 1,9 Prozent.
Auch der Zustand der Flussauen sei „besorgniserregend“, heißt es. Die
Fläche an Flussniederungen, die Hochwasser auffangen und ein Ort der
Artenvielfalt sind, habe sich „trotz aller politischen Willensbekundungen
seit 20 Jahren nur um 1 Prozent erhöht“. In den deutschen Meeresgebieten
gebe es bis 200 Seemeilen vor der Küste „praktisch keine Bereiche“, die
nicht genutzt oder verplant würden.
## Klimawandel als Bedrohung
Wer ist schuld am Verschwinden der Arten? Der BfN-Report ist deutlich: Vor
allem Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Wasserbau und Bautätigkeit bedrohen
die Natur. Und oben drauf kommt erschwerend noch der Klimawandel, der
langfristig 5 bis 30 Prozent der Arten aus Deutschland vertreiben werde.
Die behördlichen Naturschützer fühlen die Mehrheit der Deutschen hinter
sich: Bis zu 95 Prozent der Bevölkerung unterstütze den Artenschutz, heißt
es in dem Report. Für mehr Naturschutz in Deutschland sprächen nicht nur
gesetzliche und ethische, sondern auch wirtschaftliche Gründe (jedes Jahr
würde in Deutschland mit pflanzlichen Arzneimitteln ein Umsatz von 1,3
Milliarden Euro gemacht) – und letztlich „Glücksargumente“: „Die Natur…
für viele Menschen ein Ort der Erholung, der Regeneration und für viele
Glücksmomente“, heißt es in dem nüchternen Behördenreport.
Um so viel Natur wie möglich zu retten, fordern die Experten mehr
Engagement und Geld von der Politik: Mehr Schutzflächen und Hilfen zur
Umstellung der Landwirtschaft. Vor allem müsse die EU-Agrarpolitik
ökologischer werden, aus Wiesen sollten keine Äcker mehr werden. Auch die
Energiewende mit ihrem Bedarf an Holz und Biomasse enge die Spielräume des
Naturschutzes ein. Als kleinen Dank an die Tausenden von freiwilligen
Helfern, die in diesem Frühling wieder ausschwärmen, um Tiere und Pflanzen
zu registrieren, fordert die Behörde auch, die „unersetzlichen Leistungen
des Ehrenamts höher zu wertschätzen und professionell zu begleiten“.
20 May 2015
## AUTOREN
Bernhard Pötter
## TAGS
Bundesamt für Naturschutz
Landwirtschaft
Schwerpunkt Klimawandel
Artensterben
Artenvielfalt
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Wisent
Biodiversität
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Gefährdete Tierarten
Biodiversität
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