# taz.de -- Pumpspeicherwerk im Naturschutzgebiet: Pech für Molch und Katze | |
> Ein geplantes Pumpspeicherwerk im Kreis Lippe sorgt für Ärger. Ist | |
> sauberer Strom wichtiger als intakter Wald und wilde Tiere? | |
Bild: 15 Wildkatzen leben in dem Gebiet, wo das Pumpspeicherwerk entstehen soll. | |
LÜDGE/ DETMOLD taz | Auf dem Luftbild von Frau Dr. Röder erscheint das | |
Pumpspeicherwerk als Halbkreis mit Delle. Daumengroß, mit Leuchtstift | |
hervorgehoben in einem weiten Feld von Grün, fast unscheinbar auf der | |
tischdeckengroßen Karte, die Ute Röder auf dem Besprechungstisch | |
ausbreitet. Das Grüne ist der Schwalenberger Wald, der unter dem Schutz der | |
europäischen FFH-Richtlinie steht. Früher hat Röder da mal für die | |
Erhaltung der Natur gearbeitet. Jetzt leitet sie den Fachbereich Umwelt und | |
Energie der Kreisverwaltung Lippe in Detmold und muss „eine Abwägung | |
vornehmen“, wie sie sagt. | |
Sie muss in einem möglichen Planfeststellungsverfahren entscheiden, ob sie | |
die wirtschaftlich-politischen Ziele der Kreisverwaltung für eine | |
Energiewende wichtiger findet als europäisches Naturschutzrecht, Wald und | |
wilde Tiere. „Kammmolch gegen Kilowatt“, fasst Berthold Lockstedt den | |
Konflikt zusammen, für den er als Abteilungsleiter Energie, Boden, Wasser | |
in der Kreisverwaltung zuständig ist. | |
Röder glaubt, dass geschützte Tierarten im Schwalenberger Wald wie der | |
Kammmolch und seltene Libellen wie die Nordische Moosjungfer umgesiedelt | |
werden können. Die Natur wäre in dem Planspiel technisch beherrschbar, der | |
Konflikt gelöst, und Landrat Friedel Heuwinkel könnte seinem Kurs „Mit | |
Hochtief auf der Energiespur“ folgen. | |
Ute Röder sitzt auch im Krisenstab des Kreises Lippe, das AKW Grohnde steht | |
hinterm Hügel. Sie fürchtet, dass „das Licht ausgehen könnte“, und will | |
vorsorgen für eine Zeit ohne Atom. „Früher habe ich gegen den AKW-Bau | |
demonstriert“, sagt Röder und lächelt. Heute muss sie die Atomkraft | |
abwickeln. | |
Ihr Kollege Lockstedt war früher für Kernkraft. Nun managt er das Ziel, den | |
Kreis 2020 zu 30 Prozent mit Strom aus Windenergie zu versorgen. Bei 14 | |
Prozent sind sie bereits. Damit die erneuerbaren Energien vorankommen, hat | |
der Kreis mit den Stadtwerken Detmold, Lemgo und Bad Salzuflen die Lippe | |
Energie Verwaltungs GmbH gegründet. „Zu unserem strategischen Ziel gehört | |
das PSW als Speichertechnik dazu“, sagt Lockstedt. | |
## Buchen und Eichen | |
Das „PSW“ ist das Pumpspeicherwerk auf dem Mörth, wie die Menschen von | |
Lügde den Höhenzug im Schwalenberger Wald nennen. 440 Meter hoch, an den | |
Hängen mit Buchen und Eichen bestanden. „Geschützte Lebensraumtypen“, sagt | |
Röder. Die gibt es in dem Modell-Pumpspeicherwerk im Flur der | |
Kreisverwaltung nicht. | |
Auf dem hellgrün getupften Teppich steht dort unter Plexiglas ein Hügel, in | |
den ein waschbeckengroßes Loch eingelassen ist. In Wirklichkeit wären darin | |
2,7 Millionen Kubikmeter Wasser aus der Emmer, das durch Rohre den Hügel | |
hinabrauscht, durch Generatoren sprudelt, Strom erzeugt und im unteren | |
Becken aufgefangen wird. Im Lipper Land sind dort Felder und Weiden. Jedes | |
Becken wäre samt Betriebsgelände 30 Hektar groß. | |
320 Megawatt soll das PSW Lippe erzeugen, indem das Wasser mit billigem | |
oder gerade überschüssigem Strom der Energiewende den Berg hinaufgepumpt | |
wird und dann bei Bedarf wieder abwärts durch die Generatoren schießt. Rauf | |
und runter – umgekehrt zum Preis an der Strombörse. Theoretisch ist ein PSW | |
der kostengünstige Partner der erneuerbaren Energien, denn ist es einmal | |
gebaut, hält es 100 Jahre oder länger. | |
Praktisch produziert Deutschland so viel Strom aus Wind, Kohle, Atom, | |
Sonne, dass der Preis für eine Kilowattstunde im Keller liegt. „Jetzt ein | |
Pumpspeicherwerk zu bauen kommt ökonomischem Harakiri gleich“, sagt | |
deswegen ein Manager der Erneuerbare-Energien-Branche. In den nächsten 20 | |
bis 30 Jahren brauche niemand Pumpspeicherwerke. Die Energiewirtschaft | |
setze gerade auf kleine Speicher und große Batterien, deren Entwicklung das | |
Bundeswirtschaftsministerium fördert. | |
Das Pumpspeicherwerk werde zu „nahezu keiner visuellen Beeinträchtigung“ | |
führen, steht auf einem Kärtchen am Modell in der Kreisverwaltung. Andere | |
erklären, dass die „Triebwasserleitung unterflur“ liegen werde und die | |
„Energieableitung“ mittels Erdkabel geschehe. Und über allen prangt: „Mit | |
Hochtief auf der Energiespur“. | |
## Komplizierte Eigentumsverhältnisse | |
Das ist die Hochtief Solutions AG in Essen, die über ihre Töchter Hochtief | |
Infrastructure GmbH und Hochtief PPP Solutions GmbH die PSW Lippe GmbH im | |
Handelsregister beim Amtsgericht Lemgo eingetragen hat. „Wir haben | |
Optionsverträge mit privaten Grundstückseignern in Lügde für die | |
Kerngrundstücke“, sagt Peter René Jamin, Geschäftsführer der PSW Lippe | |
GmbH, die „on hold“ sei. Die Projektgesellschaft ruht. Dass sich | |
Pumpspeicherwerke gerade nicht lohnen, weiß auch Jamin, er leitet den | |
Bereich Entwicklung Energieprojekte On-Shore der Hochtief PPP Solutions | |
GmbH. | |
Mit der Hochtief Solutions AG hat Landrat Friedel Heuwinkel im Juli 2013 | |
eine „Partnerschaftsvereinbarung Pumpspeicherwerk Lippe“ geschlossen. Darin | |
verpflichtet sich der Kreis, die „umweltrechtlichen Fragestellungen“ zu | |
bearbeiten. Konkret: „Ziel ist insbesondere die Herauslösung des | |
Oberbeckenstandortes aus bzw. die Zulassung in dem FFH-Gebiet.“ | |
In Paragraf 6 verpflichtet sich der Kreis Lippe zu „jede[r] ihm mögliche[n] | |
Hilfestellung“, um die gesicherten Grundstücke „auf die Projektgesellschaft | |
zu übertragen, soweit dies zur Errichtung des Pumpspeicherwerks notwendig | |
ist“. Die Hochtief Solutions AG übernimmt die „Gründung und Administration | |
der Projektgesellschaft“ und die „wirtschaftliche Planung des Projektes“. | |
Kreis und Unternehmen vereinbaren beide das „Einwerben von Partnern und | |
Investoren“. Alle Rechte aus der Vereinbarung gehen auf die | |
Projektgesellschaft über. | |
„Eine Unverschämtheit ist das, wenn uns nun ein PPP unterstellt wird“, | |
erregt sich Berthold Lockstedt. „Wirklicher Quatsch“, brüllt er im Büro v… | |
Frau Dr. Röder. Eine „Kooperationsvereinbarung“ hätten sie getroffen, | |
nachdem Hochtief 2012/2013 auf den Kreis zugekommen sei. „Sie haben uns | |
gefragt, ob wir sie als Verwaltung unterstützen“, sagt Lockstedt, wieder | |
gefasst. „Kontakte schaffen“, ergänzt Röder, die schon damals den | |
FFH-Status als eine „nicht unüberwindbare Hürde“ angesehen hat. | |
## Umstrittene öffentlich-private Partnerschaft | |
PPP heißt Public-private-Partnership und bedeutet, dass öffentliche Hand | |
und ein privates Unternehmen einen Vertrag schließen, das Unternehmen dann | |
etwas baut, ein Krankenhaus oder ein Freizeitbad etwa, das die öffentliche | |
Hand nutzt und dafür an das Unternehmen zahlt. Die rechtlichen | |
Konstruktionen von PPP sind schwer zu durchschauen und nicht eindeutig | |
definiert. | |
Theoretisch soll die öffentliche Hand damit Geld sparen, doch laut Landes- | |
und Bundesrechnungshöfen zahlen die Steuerzahler meistens drauf. PPP | |
rechnet sich vor allem für den privaten Partner. In Nordrhein-Westfalen ist | |
Lippe eine PPP-Modellregion, hat doch Landrat Heuwinkel schon die | |
Lipperlandhalle des Handball-Profivereins Lemgo in öffentlich-privater | |
Partnerschaft ausgebaut und die Instandhaltung von 435 Kilometer Straße an | |
eine Privatfirma übertragen. Dafür bekam er den „Innovationspreis PPP 2010�… | |
vom Verwaltungskongress „Effizienter Staat“. | |
Für Kammmolch, Schwarzstorch und die 15 Wildkatzen auf dem Mörth spielt die | |
Rechtskonstruktion gar keine Rolle. Wenn es nach Ilona und Uwe Kock aus | |
Lügde geht, wird das Pumpspeicherwerk daher nie in das Naturschutzgebiet | |
hinter ihrem Haus gebaut. Sie gehören zum „sozio-ökologischen Störfaktor“ | |
wie Peter René Jamin von der PSW Lippe GmbH den potenziellen Widerstand | |
nennt. In Lügde schätzte Jamin ihn einst gering genug ein, um zu planen. | |
Denn die Region veraltet. Kürzlich haben zwei Baufirmen geschlossen, | |
Holländer haben am Fuße des Mörth Dauer-Campingplätze, im Gasthaus „Zum | |
Forst“ schenkt der „Swinger-Club 59“ aus. | |
## Ein unbequemes Ehepaar | |
Das Ehepaar Kock ist allerdings unbequem, denn nach den Recherchen von Uwe | |
Kock kam die Partnerschaftsvereinbarung zwischen Kreis und Hochtief ans | |
Licht. Beharrlich, das freundliche Gesicht von grauen schulterlangen Locken | |
umspielt, löcherte Kock die Kreisverwaltung so lange, bis er die | |
Vereinbarung, von der er gehört hatte, unter Aufsicht einsehen durfte. | |
Notizen durfte er sich machen. Uwe Kock hat die sechs Seiten abgeschrieben. | |
„Wir haben dann so lange Krach geschlagen, bis sie die Vereinbarung ins | |
Netz gestellt haben“, sagt Ilona Kock. | |
Bevor die Lügder auf die Barrikaden gehen, muss was passieren“, sagt Heinz | |
Reker, mit 93 Prozent wiedergewählter Bürgermeister von Lügde. Gegen die | |
Hochspannungstrasse Südlink gehen die Leute auf die Barrikaden, wie Reker | |
das noch nie erlebt habe. | |
Das PSW ist nur eines von vier Großprojekten, das Sorgen bereitet. Südlink | |
soll die Gemeinde überspannen, 97 Windräder sollen für Lippes Energiewende | |
gebaut werden, die Bahngleise zur Haupttrasse für Güterverkehr werden. Alle | |
neun Minuten würden dann Güterzüge durch Lügde donnern. „Dann kann mein | |
Nachfolger den Ort abwickeln“, sagt Reker. Das alles sind auch Gründe, | |
weshalb Grundstücksbesitzer ihre Flurstücke gern verkaufen könnten. Man | |
hört, dass Hochtief das Sechs- bis Achtfache der üblichen Preise zahlen | |
will. | |
## Renitenter Bürgermeister | |
„Geld ist für mich der allerletzte Aspekt“, sagt Reker, der auf dem Mörth | |
gern mit dem Mountainbike herumfährt. Seine Gemeinde müsste im noch | |
ausstehenden Planfeststellungsverfahren dem Bau zustimmen. „Da will ich | |
erst mal den Nachweis, dass wir in Zukunft ein PSW brauchen und warum | |
hier.“ | |
Vor Kurzem hat Reker die Lügder schon einmal hinter den Barrikaden | |
zusammengebracht. Sie standen vor der Frage, ob sie den Ortskern sanieren | |
oder aufgeben, durch den bis zur Untertunnelung täglich 14.000 Laster und | |
Autos gebraust waren. Sie haben diskutiert, gerechnet, abgewogen. „Da kam | |
so ein Wir-Gefühl auf“ sagt Reker. „Die Leute finden jetzt, dass es richtig | |
war, es nochmal zu versuchen.“ Auf dem Marktplatz sprudelt nun Wasser, | |
Stadtmauer und Fachwerk zeugen von Lügdes alter Größe, im neuen Park an der | |
Emmer können die Leute Beach-Volleyball spielen und Schulklassen machen | |
Ausflüge nach Lügde. | |
11 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Fokken | |
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