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# taz.de -- Großvögel in Deutschland: Wie sich das „normale Bild“ veränd…
> Eine Straußenart wird nach Deutschland eingeschleppt, eine heimische
> Großvogelart stirbt aus. Von Trappen und Nandus.
Bild: Breitet sich aus: der Nandu.
Sie müssen hier irgendwo sein. Vorgestern hat Ranger Mario Axel mehrere
gesehen, heute Morgen noch keinen Einzigen. Der Raps steht hoch und blüht
gelb, da müssen sie nur die Köpfe einziehen.
Abrupt hält Axel den Wagen an, seine Augen werden schmal. „Da ist einer.“
Auf einem Hügelkamm, über einem grünen Meer aus jungem Weizen, leuchtet
etwas Hellgraues in der Sonne: ein langer Hals auf einem gedrungenen
Körper, der Kopf zuckt nach links und rechts. Axel setzt seinen Rangerhut
auf und stapft den Hügel hinauf.
Und da steht er: Rhea americana, der Nandu. Ein Laufvogel, kleiner als ein
Strauß, heimisch in Südamerika und inzwischen auch im Biosphärenreservat
Schaalsee in Nordwestmecklenburg, zwischen Utecht und Schattin, seit um die
Jahrtausendwende ein paar Tiere aus einer Zuchtfarm in Schleswig-Holstein
ausgebüxt sind und gleich über die Wakenitz nach Mecklenburg rübergemacht
haben.
## Kommen
Zu DDR-Zeiten hätte es das nicht gegeben, da ist sich Axel sicher. Ein Tier
dieser Größe wäre niemals über die Grenze gekommen. Nandus können nicht
fliegen.
Der Nandu auf dem Acker dreht Axel kokett halb den Rücken zu, äugt immer
wieder zurück. Er würde dem Ranger bis an die Schulter reichen, doch näher
als 20 Meter lässt er ihn nicht heran. Dann stakst er durch die Fahrrinne
eines Traktors davon.
Vermutlich ist es ein Weibchen. „Die Schwingen der Hähne hängen etwas
tiefer über die Keulen“, erklärt Axel. Außerdem brüten die Hähne jetzt.
Ein Nandu-Hahn begattet fünf bis sieben Hennen, die er alle zu seinem
Nistplatz mitnimmt. Axel hat schon Gelege auf Feldern, im Wald, auf Wiesen
und im Moor gefunden.
Sobald das erste Ei in der Mulde liegt, beginnt der Hahn zu brüten und
lässt keine Henne mehr heran. Die legen die Eier dann entweder in die Nähe
und der Hahn rollt sie sich unter – oder sie legen sie dem nächsten Hahn
hin. So ziehen im Herbst Patchworkfamilien mit bis zu 20 Küken über
Mecklenburgs Felder.
Dass der Nandu in Mecklenburg überlebt, hätten ihm nur wenige zugetraut.
Tatsächlich sind im Winter 2009/2010 die meisten Küken verhungert. Da hatte
es schon im November heftig geschneit. Der Nandu ist das Scharren nicht
gewohnt.
## Erste „Nandu-Opfer“
Davon abgesehen haben sie sich in den 14 Jahren, die Axel hier Ranger ist,
kontinuierlich vermehrt. Die jüngste Zählung vom 27. März ergab 122 Nandus.
Sogar jenseits der bisherigen Nordgrenze, der A 20, sind welche
aufgetaucht.
Weil der Nandu sich seit über zehn Jahren in freier Wildbahn fortpflanzt,
hat er sich ein Bleiberecht erkämpft: Er ist jetzt eine heimische,
besonders geschützte Art nach Paragraf 7 des Bundesnaturschutzgesetzes.
Abschuss verboten.
Das freut die Touristen und ärgert die Bauern. Die klagen, der Nandu mache
ihnen den Raps kaputt. Ranger Axel bezweifelt das. „Der Nandu frisst wie
ein Reh: er knapst mal hier was ab und mal da.“
Trotzdem hat ein Landwirt beim Umweltministerium in Schwerin Schadenersatz
beantragt. Bekommen hat er nichts, die Presse aber bekam ihre Geschichte
vom „Nandu-Opfer“.
Wer heute bei ihm anruft, seine Frau an den Apparat bekommt und sich als
Journalist vorstellt, erntet ein genervtes „Von welcher Zeitung?“. Der NDR,
das ZDF, Spiegel TV, alle seien da gewesen, sie hätten es langsam über.
„Kommen Sie einfach vorbei, die rennen hier überall rum“, sagt sie und
lässt offen, ob sie Nandus meint oder Reporter.
Mario Axel fährt rechts ran, er hat noch einen Nandu gesichtet. „Der wird
gleich die Straße überqueren.“ Hat der Nandu eine Laufrichtung
eingeschlagen, ist er kaum davon abzubringen.
In der Gegenrichtung hält ein Auto aus Hamburg, ein hagerer Herr mit Bart
baut ein Fotostativ auf.
## Teilkasko deckt nur Haarwild ab
An der Straße zögert der Vogel, dann läuft er rüber und springt über den
Straßengraben mit der Eleganz eines Sofas, das man aus dem Fenster wirft.
Es sind schon Nandus bei Verkehrsunfällen umgekommen. „Für die Autofahrer
war das ärgerlich“, erzählt Axel, „weil die Teilkasko nur Haarwild
abdeckte“.
Ein paar angenagte Rapspflanzen und ein paar verbeulte Motorhauben –
größere Schäden hat der Nandu in Mecklenburg bisher nicht angerichtet. Es
sei „relativ eindeutig nachgewiesen“, sagt Axel, „dass die Tiere keinen
wesentlichen Einfluss auf bestehende Populationen und Arten haben“.
Und was hält er selbst vom Nandu in seinem Revier?
Da windet er sich, sagt zweimal: „Meine private Meinung spielt keine
Rolle.“ Und dann, diplomatisch: „Ich habe einen dienstlichen Auftrag, diese
Tiere zu beobachten. Bleibt natürlich die Frage, ob sie inzwischen zum
normalen Bild gehören oder ein Störfaktor sind.“
## Bleiben
Während manch einer im Norden die robusten Nandus zum Teufel wünscht, wird
170 Kilometer weiter südöstlich ein Riesenaufwand betrieben, um ähnlich
große Vögel zu retten. Die Großtrappe gehörte jahrhundertelang zum
„normalen Bild“ in Brandenburg. Heute jedoch ist sie fast ausgestorben.
Dabei hat sie, der größte Vogel Europas, gegenüber den Nandus zwei
entscheidende Vorteile: Sie kann trotz ihrer 18 Kilo fliegen, und sie hält
Hunderte Meter Abstand zu Menschen. Doch Mähdrescher und Kunstdünger hätten
ihr beinahe den Rest gegeben.
Nach der Wende haben das Land Brandenburg, der Nabu und ein Förderverein
Flächen gekauft und unter Auflagen verpachtet. Sie brüten Trappeneier in
einem Inkubator aus. Sie schützen die Küken mit Zäunen und Netzen vor
Füchsen, Mardern und Adlern.
An einem Sonnabend Anfang Mai sitzt Birgit Block auf einer Holzbank vor der
Vogelschutzwarte in Nennhausen, Ortsteil Buckow, westlich von Berlin. Sie
trägt Sandalen und ein Poloshirt mit Schmetterlingen drauf. In Sichtweite
klappert der Storch, über Birgit Block kreist ein Mäusebussard. „Oh“,
unterbricht sie das Gespräch, „die Waldohreule ruft.“ Dann zückt sie die
Kamera, um eine Schafstelze zu fotografieren.
„Trappenmutti“ nennen die Kollegen sie. Da ist sie verlegen, „ich sammle
noch die wenigsten Eier ein“. Seit 1984 arbeitet sie hier. Eben hat sie
drinnen noch durchgewischt, unter den Augen der ausgestopften Vögel in den
Vitrinen, und die Kaffeetassen der letzten Wandergruppe in die Spülmaschine
gestellt. Für den Nachmittag haben sich noch mal fast 30 Besucher angesagt.
Sie wollen den größten Marketing-Schlager der Vogelschützer sehen: die
Trappenbalz.
## „Dumpfer Blupston“
Dafür lassen sich die Hähne extra einen Bart stehen und entwickeln kräftig
rostbraunes Brustgefieder. Sie stülpen ihre Flügel um und klappen den
Bürzel hoch, sodass strahlend weiße Daunen zum Vorschein kommen. Sie blasen
ihren Kehlsack auf und betören die Hennen mit einem „dumpfen Blupston“ aus
ihrer Kloake. So heißt es in einem Lehrfilm, den die Vogelschutzwarte auf
DVD verkauft.
Ein Furz sei das aber nicht, betont Birgit Block, „es hat ja nichts mit der
Verdauung zu tun“.
Im 18. Jahrhundert gingen noch Tausende Großtrappen den preußischen Bauern
auf die Nerven, weil sie die Saat vom Acker futterten. Friedrich der Große
gab den „märkischen Strauß“ zum Abschuss frei – nicht ohne Schonzeiten
festzulegen. In Planwagen versteckt robbten sich Jäger an die scheuen Vögel
heran. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts fuhr das Berliner Großbürgertum
gern raus zur Trappenjagd.
Das ist längst verboten.
## Gehen
Am späten Nachmittag führt Birgit Blocks Kollege Hans Joachim König einen
Autokorso zu einer zweistöckigen Holzhütte. Die Trappenfans klettern die
Leitern zur Aussichtsplattform hoch, sie lassen sich nicht beirren von den
zeternden Rauchschwalben, die ihnen um die Köpfe schwirren und von den
Dachbalken kacken. Sie richten ihre Feldstecher auf weiße Stecknadelköpfe,
die sich in etwa einem halben Kilometer Entfernung über die Wiese schieben.
Dort hinten balzen die Hähne.
Drei oder vier graubraune Trappendamen begutachten einen Haufen Plüsch in
Weiß und Rostbraun, einen stolzierenden Schneeball.
„Wenn kein Weibchen da ist, balzen sie auch Rehe an“, sagt König.
Eine Kopulation hat er erst ein einziges Mal gesehen. „Das ist der
Jackpot“, sagt er. Allerdings nicht für die Hennen: Der Hahn verbeißt sich
dabei in ihrem Hinterkopf, reißt ihr Federn und Kopfhaut ab.
Exakt 77 Großtrappen leben noch – oder wieder – hier, im Havelländischen
Luch, etwa 200 in ganz Deutschland. „Erst vor ein paar Tagen haben wir
wieder einen schönen alten Hahn eingebüßt“, erzählt Birgit Block. Sie ist
dann rausgefahren und hat die Reste eingesammelt. Die Spurensicherung
ergab: Es war der Seeadler. Birgit Block wäre es lieber, der Adler schlüge
mehr Kraniche oder Gänse.
5 Jul 2015
## AUTOREN
Daniel Kastner
## TAGS
Jagd
invasive Arten
Nabu
Naturschutzgebiet
Bundesamt für Naturschutz
Tiere
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