| # taz.de -- Migranten mit Pfoten: Ausländische Tiere raus? | |
| > Die EU hat Angst vor Einwanderern – wie dem Waschbären und der | |
| > Schwarzkopf-Ruderente. Dahinter scheint mehr als die Furcht vor Schäden | |
| > zu liegen. | |
| Bild: Och, ist der süß! Ja, aber auch: tot. Präparierter Waschbär im Museum. | |
| Er wütet in Vorgärten, klaut Singvögeln die Eier und scheint bei seinen | |
| Übergriffen Gesichtsmasken zu tragen. So sieht er wenigstens aus. Der | |
| Procyon Lotor zu deutsch Waschbär zählt zur Ordnung der Raubtiere. Er | |
| ernährt sich von Fischen, Fröschen, Krebsen, aber auch aus reich gefüllten | |
| Mülleimern der Großstädter, was dem reinlichen Waschbären den Ruf | |
| einbrachte, Krankheiten einzuschleppen. | |
| Das Image des Räubers mit dem schwarzen Zorro-Streifen im Gesicht ist alles | |
| andere als gut. Nun soll einer in der Uckermark sogar einen Hund ertränkt | |
| haben – nach minutenlagem Kampf. Woraufhin der Landesjagdverband | |
| Brandenburg alarmiert reagierte. Die Tieren stellten eine Gefahr dar. | |
| Flora, die ertrunkene Hündin, sei nicht das einzige Opfer eines | |
| Waschbärenangriffs, wird in der Fachzeitung Welt berichtet. Im vergangenen | |
| Jahr hätte der Kleinbär in Brandenburg vier Jagdhunde tot gebissen. | |
| Tierschützer relativieren dies allerdings und werfen dem Verein vor, nach | |
| einem Vorwand zu suchen, um das Tier zu jagen. Waschbären seien keine | |
| Mörder und würden niemals direkt angreifen, nur, wenn sie sich verteidigen | |
| müssten. | |
| Außer Zweifel scheint tatsächlich zu stehen, dass Flora zuerst angriff. Sie | |
| haben den Waschbären gewürgt, berichtet ihr 74 Jahre alter Jäger in | |
| ebenjener Welt. | |
| ## Unruhe in „befriedeten Gebieten“ | |
| Geschätzte 600.000 bis 800.000 Waschbären leben derzeit in Deutschland. | |
| Ökologen und Naturschützer sehen in dem Tier eine echte Bedrohung für das | |
| heimische Ökosystem. Der Waschbär ist, das nehmen sie ihm offenbar | |
| besonders übel: ein Einwanderer. Von Natur aus stammt der Kleinbär – | |
| indianisch Racoon, „der mit den Händen kratzt“ - aus Nordamerika. Er ist | |
| ein Migrant der Natur, eine sogenannte „invasive Art“, wie Biologen ihn | |
| nennen. | |
| Nicht nur, dass er keinen angestammten Platz in Deutschland hat. Er | |
| verdränge heimische Arten und schade Landwirtschaft und Natur, so die | |
| Schützer. Außerdem bringt er mit seinen nächtlichen Beutezügen Unruhe in | |
| sogenannte „befriedete Gebiete“. So bezeichnet die Stadt Berlin | |
| Wohnsiedlungen und Grünanlagen in einer Anleitung zum Umgang mit | |
| Waschbären. Außerhalb dieses befriedeten Gebiets darf der Waschbär | |
| erschossen werden. | |
| ## Unerwünscht, bisweilen sogar potentiell gefährlich | |
| Wie dem Waschbären geht es vielen „invasiven Tierarten“, die die Grenzen | |
| zur Mehrheitsgesellschaft übertreten. Sie werden als Eindringlinge | |
| empfunden. Fremde, die das hiesige Ökosystem nicht hervorgebracht hat. | |
| Tiere mit familiärer Zuwanderungsgeschichte. Unerwünscht, bisweilen sogar | |
| potentiell gefährlich. Das EU-Parlament hat 2014 sogar eine eigene | |
| Verordnung gegen schädliche Tiere und Pflanzen beschlossen - zur Eindämmung | |
| und Bekämpfung invasiver Arten. Die EU-Kommission fertigt dafür gerade eine | |
| Liste solcher Fremdlinge. Warum differenziert sie aber nicht beispielsweise | |
| zwischen nützlich und schädlich, statt zwischen fremd und heimisch? | |
| Auch wenn vielleicht noch nie jemand einen Waschbären gesehen hat, geht von | |
| ihm eine irrationale Angst aus. Der Einwanderer ist eine Last, mehr noch. | |
| Da er sich von dem ernährt, was er findet, gilt er landläufig als | |
| Schmarotzer. Ein Taugenichts. Keine Willkommenskultur bereitet ihn darauf | |
| vor, wie er sich nach deutschem Brauchtum einzugliedern hat. Er gehört | |
| einfach nicht hierher und ist dem Abschuss frei gegeben. Bei anderen | |
| Tierarten kommen ganz andere Sorgen hinzu: Was passiert, wenn sich | |
| Schwarzkopf-Ruderente mit Weißkopf-Ruderente paart? | |
| ## Woher die Angst? | |
| Warum das fremde Tier dem Menschen so viel Angst macht, fragt sich | |
| taz-Autorin Maria Rossbauer in der Titelgeschichte „Ausländer raus!“ der | |
| [1][taz.am wochenende vom 7./8. Februar 2015.] In ihrer Reportage begleitet | |
| sie einen Jäger auf die Waschbärenjagd, beschreibt das Verhalten der | |
| Artenschützer, spricht ihre Kritiker und zieht Verbindungen zur | |
| grundsätzlichen Angst mancher Menschen gegen Überfremdung. | |
| Der Ökologe Josef Reichholf hält es für Unsinn, Tiere und Pflanzen nach den | |
| Kategorien heimisch und fremd einzuteilen. Viele heimische Arten sind | |
| schließlich ebenso schädlich für das Ökosystem wie zugezogene. Das | |
| Wildschwein etwa trampelt Wiesen platt, der Fuchs trägt den für den | |
| Menschen gefährlichen Bandwurm mit sich herum. „In der Natur gibt es keine | |
| festen, keine richtigen Zustände“, sagt Reichholf und warnt vor dem Jargon | |
| mancher Naturschützer, der mitunter in Fremdenfeindlichkeit abgleite. „Nur | |
| allzu leicht lässt sich die 'Ökologie' vorschieben und dazu missbrauchen, | |
| scheinbar natürliche Begründungen für die Ablehnung der Fremden zu | |
| liefern“, argumentiert Reichholf. | |
| Woher kommt diese Angst vor dem Fremden? Was heißt heimisch – bei Tieren, | |
| Pflanzen und überhaupt? | |
| Diskutieren Sie mit! | |
| Die Titelgeschichte „Ausländer raus!“ lesen sich in der [2][taz.am | |
| wochenende vom] 7./8. Februar 2015. | |
| 6 Feb 2015 | |
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| [1] /Ausgabe-vom-7/8-Februar-2015/!154103/ | |
| [2] /Ausgabe-vom-7/8-Februar-2015/!154103/ | |
| ## AUTOREN | |
| Stefanie Schmidt | |
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