| # taz.de -- Fremdenfeindlichkeit in Oranienburg: Bürger gegen Bürger | |
| > In Lehnitz leben 200 Flüchtlinge. Anwohner fühlen sich bedroht. Erstmals | |
| > redeten Gegner und Unterstützer miteinander. | |
| Bild: Anfang Februar spazierten die Neonazis durch Oranienburg – und deren Ge… | |
| ORANIENBURG taz | Gegen halb neun reicht es ihm. Dem Oranienburger geht es | |
| hier viel zu gutmenschlich zu. Seit anderthalb Stunden läuft in der St. | |
| Nikolai Kirche dieses Bürgergespräch, Titel: „Miteinander reden. Sorgen der | |
| Menschen ernst nehmen“. Eingeladen haben der Pfarrer und der | |
| SPD-Bürgermeister der Kreisstadt. Es gibt erheblichen Redebedarf. | |
| Seit Ende letzten Jahres leben 200 Asylbewerber in dem Oranienburger | |
| Ortsteil Lehnitz, berlinnahes Brandenburg. Schon bevor sie ankamen, | |
| formierte sich eine „Nein zum Heim“-Bewegung. Und seit die Flüchtlinge in | |
| der ehemaligen Kaserne leben, zogen fremdenfeindliche Demonstranten durch | |
| die Oranienburger Innenstadt. Ihnen gegenüber standen genauso viele | |
| Gegendemonstranten. Man kann sagen: Hier demonstrieren seit Wochen Bürger | |
| gegen Bürger. | |
| An diesem Abend in der Nikolaikirche sollen sie erstmals miteinander | |
| sprechen. Die Frage ist: Wer fürchtet sich hier vor wem? Und auf welcher | |
| Seite steht die Mehrheit der Bürger – auf der der Flüchtlinge oder der der | |
| Heimgegner? | |
| Der Mann, einer der aktivsten Facebook-Propagandisten von „Nein zum Heim“, | |
| hat nun endlich das Mikrofon. Wegen der „Asylanten“, sagt er, könnten die | |
| Anwesenden hier noch so „gutmenschlich denken“, bezahlt werde das alles | |
| „von unseren Steuergeldern“. In anderen Städten kippten die Zustände, man | |
| möge nur mal auf die „Verhältnismasse“ in Berlin-Neukölln schauen. Der | |
| soziale „Kuchen“ werde nicht größer. „Warum immer Deutschland?“, ende… | |
| Monolog. | |
| ## Flüchtlinge sollten sich gefälligst integrieren | |
| Es sind die Textbausteine des provinziellen Fremdenfeindes, serviert mit | |
| dem Wortbesteck von Pegida, beklatscht von nicht wenigen Besuchern in der | |
| Kirche. Die weitaus größere Mehrheit jedoch ist dafür, dass den ankommenden | |
| Flüchtlingen geholfen wird. Viele sind längst dabei. Ein Rentner bittet die | |
| Anwesenden, den neuen Mitbürgern „die Türen zu öffnen.“ Quittiert wird | |
| seine Bitte von einem Mittdreißiger: Die Flüchtlinge sollten sich | |
| gefälligst integrieren. | |
| Einer der Flüchtlinge, ein syrischer Palästinenser, schildert die Flucht | |
| seiner Familie und bedankt sich für die „sehr herzliche Begrüßung“. Dass… | |
| dieser deutschen Kleinstadt regelmäßig Menschen mit Fackeln gegen ihn und | |
| seine fünf Kinder demonstrieren, scheint er noch nicht mitbekommen zu | |
| haben. | |
| Immer wieder melden sich die Heimgegner zu Wort. Mal geht es um die Frage, | |
| wer die Unterbringung der Flüchtlinge bezahlt, dann wieder, warum „nur | |
| junge Männer“ kommen, schließlich, wie diese angeblich armen Menschen ihre | |
| Fluchthelfer finanzieren konnten. Eine Frau schimpft: „Muslime | |
| funktionieren nicht!“ Manche pöbeln ein bisschen rum, ohne Erfolg – die | |
| Stimmung ist zu sehr auf Dialog ausgerichtet. Die Kleinstädter wollen, dass | |
| wieder Frieden einzieht. Der Bürgermeister meldet sich zu Wort. „Wir | |
| unterhalten uns hier über Menschen in unserer Stadt“, sagt er, Oranienburg | |
| sei „in einer menschlichen Verpflichtung“. | |
| Nach anderthalb Stunden ist das Gespräch beendet. Alle kramen ihre Jacken | |
| und die Autoschlüssel heraus. Die Heimgegner brummeln, keine ihrer Fragen | |
| sei von „der Politik“ beantwortet worden. Die Flüchtlingsunterstützer aber | |
| sind zufrieden: Verhältnisse wie in Tröglitz, wo die Fremdenfeinde den | |
| Bürgermeister zum Rücktritt gezwungen haben, scheinen in ihrer Kleinstadt | |
| unmöglich. Es gab ja das Gespräch. | |
| Gerade hat der Landkreis beschlossen, die Auslastung des Lehnitzer Heims | |
| „auf 100 Prozent zu fahren“. Nicht alle werden es verstehen. Es werden wohl | |
| bald wieder Fackeln durch Oranienburg getragen. | |
| 12 Mar 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Anja Maier | |
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