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# taz.de -- Jagd auf Nandus: Schräge Vögel
> Ein paar Hundert Nandus leben südöstlich von Lübeck auf den Raps- und
> Getreideäckern. Zum Ärger und Schaden der Landwirte.
Bild: Finden nicht alle toll: Nandus auf einem Rapsfeld bei Utecht
Utecht taz | Plötzlich stehen sie da. Drei große, grau-braune Vögel auf
einer Ackerbrache, ein Hahn und zwei kleinere Hennen zupfen genüsslich an
blaublütigen Ochsenzungen. Nandus sind es, diese südamerikanischen kleinen
Verwandten der Strauße, die sich seit zwei Jahrzehnten in Norddeutschland
so wohl fühlen. 362 der flugunfähigen Laufvögel leben nach amtlichen
Zählungen östlich des Ratzeburger Sees im äußersten Westen Mecklenburgs.
Gut leben sie dort offenbar, vor allem von Raps, Mais und Getreide, weshalb
die Landwirte in der Region nicht gut auf sie zu sprechen sind.
So wie der Bauer Reinhard Jahnke aus dem Örtchen Utecht. Er hat sein
Rapsfeld mit einem Elektrozaun zur Straße hin abgesperrt, um die Nandus
abzuhalten. „Nutzt aber nichts“, sagt er. Bisweilen würden 60, 70 Nandus
auf dem Feld futtern. Jahnke hat es mit dem Abspielen von Puma-Knurren
probiert – die Berglöwen sind in Südamerika die Fressfeinde der Nandus. Das
habe die Tiere aber nicht nachhaltig beeindruckt.
„Das einzige, was für ein paar Tage Wirkung zeigt, ist das Quad“, sagt er.
Damit jagt er mit 50, 60 Stundenkilometern laut dröhnend hinter ihnen her
über seine Felder. „Wenn ich es dann ein paar Tage am Feldrand stehen
lasse, laufen sie weg.“
Das sollten sie tunlichst auch, denn seit einigen Wochen wird Jagd auf die
Nandus gemacht. Den Abschuss von 49 „adulten Hähnen“ hat das
Biosphärenreservatsamt Schaalsee-Elbe in Zarrentin genehmigt, 17 wurden
bereits erlegt. Und das, obwohl die Nandus nach dem Washingtoner
Artenschutzabkommen den Status einer „besonders geschützten Art“ haben. Im
Jagdgesetz sind sie nicht als jagdbares Wild aufgelistet ist und
unterliegen somit nicht dem Jagdrecht. Nützt ihnen aber wenig, denn auch
diese Regel kennt Ausnahmen. Laut Bundesnaturschutzgesetz können Abschüsse
genehmigt werden, „wenn erhebliche landwirtschaftliche Schäden abgewendet
werden sollen“.
## Geschützte Art
Die Region an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze rund um Schaalsee und
Ratzeburger See ist eines von 16 deutschen Biosphärenreservaten. Auf
Anregung der Unesco soll in diesen Modellregionen eine „nachhaltige
Entwicklung in ökologischer, ökonomischer und sozialer Hinsicht
exemplarisch verwirklicht werden“, so die offizielle Definition. Dabei
geht es nicht um klassischen Naturschutz im engeren Sinn, der Mensch,
selbst Bestandteil der Biosphäre, steht im Vordergrund.
Schlecht für die Nandus. Vor 18 Jahren flohen einige Tiere von einer
Straußenfarm in Groß Grönau südlich von Lübeck. In den benachbarten dünn
besiedelten Weiten Mecklenburgs vermehrten sie sich mangels natürlicher
Feinde prächtig. Vor einem Jahr wurden dort 205 Tiere gezählt, nach dem
warmen und trockenen Sommer waren es im vorigen Herbst sogar 566, bei der
Frühjahrszählung 2019 aber nur noch 362. Eine schlüssige Erklärung dafür
hat das Landwirtschaftsministerium in Schwerin jedoch nicht. „Die Zählung
erfolgt seit 2006 mit der gleichen Methodik“, teilt es in einer
ausführlichen schriftlichen Antwort auf eine taz-Anfrage mit:
„Tierpopulationen unterliegen natürlichen Schwankungen, warum die
Unterschiede so groß sind, wird noch versucht zu klären.“
Ein paar Hundert Meter nördlich von Utecht knabbern fünf Nandus im Liegen
an Grünzeug. Das Feld liegt etliche Meter hoch über dem Ratzeburger See, an
dessen Westufer bei Rothenhusen schimmern die Jollen des Lübecker
Seglerklubs Hansa in der Sonne. Diese Idylle genießen offensichtlich auch
die Nandus. Bis auf 20 Meter lassen sie Menschen an sich heran, erst dann
ziehen sie sich gemächlich ein paar Meter zurück. „Die wissen genau, das
sie hier keine Feinde haben“, sagt Bauer Jahnke. Und berichtet von Gaffern
aus der Großstadt, die Nandus für einen Schnappschuss zu füttern versuchen.
Galloway-Züchter Thomas Böhm aus dem Nachbarort Schattin findet, die
ausgebrochenen Nandus hätten von Anfang an abgeschossen werden sollen. Der
Großvogel ist aus seiner Sicht ein ökologisches Problem. „Er schadet
einheimischen Arten“, und sei ein Lebensraum-Konkurrent für Störche und
Kraniche.
Das aber verneint das Landwirtschaftsministerium. „Für
Biodiversitätsschäden konnte die Art bislang nicht verantwortlich gemacht
werden“, so dessen Auskunft. „Es konnte bei den zahllosen Beobachtungen in
den zurückliegenden Jahren kein Aggressionsverhalten der Nandus gegenüber
Säugetieren wie dem Rehwild oder Vögeln wie dem Kranich beobachtet werden.
Auch nicht, wenn sie dicht nebeneinander der Nahrungsaufnahme nachgingen.“
Bei den Nandus brütet der Hahn die Eier der Hennen seines Harems aus. Seit
Jahren schon versuchen Ranger des Biosphärenreservats sich in einer
speziellen Form der Geburtenkontrolle. Sie bohren Eier an, 2018 allein
waren es 190, und machen sie damit unfruchtbar. Zunächst hatten sie Eier
mitgenommen, aber dann haben die Hennen flugs nachgelegt. Das Anbohren
indes hält Landwirt Jahnke ebenfalls für sinnlos. Irgendwann würden die
Hähne merken, dass die Eier taub sind. Dann würden sie neue Nester bauen
und die Hennen auch hier nachlegen. Noch im August habe er Nester gefunden,
sagt Jahnke.
Entschädigungen für Ernteausfälle hat Mecklenburg-Vorpommern bislang nicht
an Landwirte gezahlt. „Rechtlich gibt es keinen Anspruch auf
Ausgleichszahlungen, wenn wild lebende Tiere wie Nandus Schäden
verursachen“, so Ministeriumssprecherin Eva Klaußner-Ziebarth. In diesem
Jahr soll wahrscheinlich eine „Ertragsausfallrichtlinie, die für besonders
geschützte Großvogelarten gilt“, flexibel ausgelegt werden. Jahnke
beziffert seine Verluste im Vorjahr auf etwa 7.000 Euro und will beim
Ministerium Entschädigung beantragen.
Auch südlich von Utecht in Richtung Ratzeburg stehen bei Schlagsdorf zwei
Nandus direkt an der Landstraße auf einem Getreideacker. Ohne Scheu mustern
sie das Auto auf der anderen Straßenseite und das Handy, das aus dem
offenen Seitenfenster auf sie gerichtet wird. Als ein anderes Auto mit
hoher Geschwindigkeit vorbeibraust, flattern ihre Federkleider. Sie drehen
sich um und entfernen sich gemächlich, schreiten auf den Traktorspuren
durch das Getreide. Von Angst keine Spur.
Die Nandus erlegen dürfen zwei Bauern aus der Region, die einen Jagdschein
besitzen. Die Kadaver müssen sie „ordnungsgemäß entsorgen“, so das
Ministerium. Eine gewerbliche Nutzung etwa in Gasthöfen sei nicht gestattet
– „auf Grund des Schutzstatus“.
24 May 2019
## AUTOREN
Sven-Michael Veit
## TAGS
Jagd
Mecklenburg-Vorpommern
Abschuss
Schwerpunkt Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern
Störche
invasive Arten
Integration
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