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# taz.de -- Umweltstreit in Österreich: Auenschutz kontra Energiewende
> In Graz kämpfen Befürworter eines Wasserkraftwerks gegen
> Umweltaktivisten. Diese fordern, dass der Fluss Mur sein natürliches Bett
> behalten kann.
Bild: Noch ist alles im Fluss in Graz – auch diese Huche
GRAZ taz | Die Mur besteht darauf, gehört zu werden. Wer auf den waldigen
Wegen an den Ufern des Grazer Flusses spaziert, hört an manchen Stellen
kaum sein eigenes Wort. Das Rauschen der Mur macht das Lebensgefühl von
Graz, der zweitgrößten Stadt Österreichs, aus. Doch drei Kilometer südlich
des Stadtkerns sind in diesen Tagen Baumaschinen dabei, dieses Rauschen zum
Schweigen zu bringen. Dort wird seit Kurzem ein Wasserkraftwerk gebaut, das
die Stadt spaltet.
Ende vergangenen Jahres hatte die Kraftwerksfrage sogar die Grazer
Stadtregierung platzen lassen. Am Tag der Wiederwahl von Bürgermeister
Siegfried Nagl, dem 5. Februar, rollten die Baumaschinen an. Der
ÖVP-Politiker ist einer der stärksten Befürworter des Projekts. Seitdem
finden beinahe täglich Aktionen gegen das Kraftwerk statt. Aktivisten
besetzen Bäume oder entern Baugeräte. Ein Protestcamp dient ihnen als
Rückzugsort, Informationsstelle und Planungszentrale.
Dennoch sind inzwischen bereits tausende Bäume auf einer Strecke von zwei
Kilometern gefällt worden. Zurück bleiben bestenfalls Baumstümpfe. Tausende
weitere Bäume, die grüne Lunge der feinstaubbelasteten Stadt, würden im
Zuge der Bauarbeiten noch entfernt.
Wasserkraft ist seit Jahrzehnten die wichtigste Energiequelle Österreichs.
Darum werden rund 70 Prozent der Flussstrecken aufgestaut und für
Wasserkraft genutzt. Über 5.000 Wasserkraftwerke gibt es laut der
österreichischen Umweltorganisation „Umweltdachverband“ im ganzen Land. Im
flächenmäßig viermal so großen Deutschland sind es etwa 7.700. „Es
verbietet sich, noch weitere Wasserkraftwerke zu bauen“, sagt Ulrich
Eichelmann von der Umweltschutzorganisation Riverwatch, „Fließgewässer und
ihre Auen sind die seltensten Ökosysteme der Welt.“
## Kraftwerk gefährdet Forellenfisch
Die Mur wurde zwar vor über hundert Jahren reguliert, um die
Hochwassergefahr in Graz zu mindern. Trotzdem sei sie sehr naturnah. „Sie
schwillt an, wenn es regnet, an ihren Ufern haben sich Auenlandschaften
gebildet. Das stärkste Zeichen für ihre Natürlichkeit ist der Huchen“, sagt
Eichelmann. Dieser große, bedrohte Forellenfisch lebt in jenem Teil der
Mur, der durch Graz fließt. Er braucht frei fließende Gewässer und ist so
zu einem Symbol für die Zerstörung der Mur und ihrer Auen geworden.
Für das Staudammprojekt spricht die Energiewende: „Der Anteil der
erneuerbaren Energie muss erhöht werden“, sagt Urs Harnik, Sprecher des
Hauptprojektbetreibers Energie Steiermark. Die Protestaktionen der
Aktivisten hält er für „illegal“. Immerhin erfülle das Projekt alle
behördlichen Auflagen. Das stimmt. Aber wenn ökologisch so viel gegen den
Bau des Kraftwerks spricht, warum ist das Projekt dann durch die
Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) gekommen? „Ausnahmeregelungen“ wäre …
schnellste Antwort.
Obwohl die UVP ergeben hat, dass das Projekt eindeutig Verschlechterungen
für die Umwelt bringt, wurde ein „übergeordnetes öffentliches Interesse“
festgestellt, da die Produktion von erneuerbarer Energie im Land weiter
vorangetrieben werden soll. Somit ist das Projekt von mehreren Ökogesetzen
ausgenommen, die Pflanzen, Tiere und Wasserqualität schützen.
## Zu viel Stau für zu wenig Energie
Das ist ein zu hoher Preis für erneuerbare Energien, finden die Gegner.
„Das Kraftwerk würde nur die Strommenge liefern, die in der Steiermark an
nicht einmal vier Tagen benötigt wird“, sagt Clemens Köncöl von Rettet die
Mur, einer Organisation, die seit Jahren gegen das Kraftwerk kämpft, „für
die Produzenten von Atomkraft macht es gar keinen Unterschied, ob das
Kraftwerk gebaut wird oder nicht.“
Im Moment ist die Baustelle noch in ihrer Anfangsphase. Sollte aber
tatsächlich bald begonnen werden, auch die letzten frei fließenden
Kilometer der Mur zurückzustauen, würde das Ökosystem dort sterben, sagt
Flussschützer Eichelmann: „Solange das nicht passiert, gibt es Hoffnung.“
Aus den noch bestehenden Baumstümpfen der Pappeln und Weiden entlang des
Flusses würden im Frühjahr sogar wieder Triebe sprießen, würde der Bau
gestoppt werden.
23 Feb 2017
## AUTOREN
Imre Withalm
## TAGS
Gewässerschutz
Umweltschutz
Flüsse
Grüne Partei Österreich
Bäume
Tadschikistan
Äthiopien
Brasilien
Schwerpunkt Atomkraft
Naturschutzgebiet
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