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# taz.de -- Albanischer Fluss soll zerstört werden: So balzt der Balkanfrosch
> Die albanische Vjosa ist ein intaktes Ökosystem. Olsi Nika will aus ihr
> den ersten Wildfluss-Nationalpark Europas machen – aber Tirana hat andere
> Pläne.
Bild: Ein Bild von einem Fluss: Die Vjosa fließt noch wie sie will
Tirana taz | Die Sonne wirft goldene Lichtpunkte auf das Wasser. Der Fluss,
breit heranströmend, drückt sich hier an einer Engstelle zwischen steilen
Hügeln hindurch wie durch einen Flaschenhals, und nimmt dabei Fahrt auf.
Der Anblick hat etwas Erhabenes. Aber die umliegenden Hänge sehen narbig
aus. Sie sind gerodet worden, den darunterliegenden Kalkstein hat man in
grobe Stufen geschnitten. Eine Betonmauer soll eines Tages die beiden
getreppten Hügel dies- und jenseits des Flusses verbinden, den Flaschenhals
verstopfen und den Fluss: stoppen.
Die Baustelle ist gespenstisch ruhig. Kein Arbeiter ist zu sehen, kein
Hämmern und kein Bohren zu hören. Ein rostiger Bagger, behängt mit
Treibgut, steht flussabwärts auf der Kiesbank. Ein Blick genügt, um zu
sehen, dass das Ding schrottreif ist. „Den hat mal ein Hochwasser
mitgerissen“, sagt Olsi Nika, ein junger Mann mit dunklen Haaren. „Hier ist
schon seit zehn Jahren kein Spatenstich mehr gesetzt worden“, erklärt Nika
und setzt fort: „Die Deutsche Bank hatte in das Projekt 120 Millionen Euro
investiert, aber der italienische Investor hat es nie vollendet. Es sind
kaum 30 Prozent der Arbeit erledigt worden.“
Während Nika das sagt, sieht sein freundliches, rundes Gesicht gar nicht
unzufrieden aus. Der 33-Jährige ist Hydrobiologe, also Wasserexperte, und
Leiter der albanischen Umweltschutzorganisation EcoAlbania. Die hat sich
ein großes Ziel gesetzt: Dieser Fluss, die Vjosa, soll von der Quelle bis
zur Mündung der erste Wildfluss-Nationalpark Europas werden. Und dazu muss
der Kalivac-Damm unbedingt verhindert werden.
Die Vjosa ist einer der letzten wilden Flüsse Europas. Auf einer Länge von
insgesamt 270 Kilometern fließt sie, aus dem griechischen Pindusgebirge
kommend, durch Albanien. Sie gräbt dabei unzugängliche Schluchten in den
Fels und bildet riesige Schotterströme, bis sie schließlich in die Adria
mündet. Auch fast alle Zuflüsse, die sie nähren, sind unverbaut und bilden
mit dem Hauptstrom ein zusammenhängendes Ökosystem. „Wenn man die alle mit
in einen Nationalpark aufnehmen würde, käme man auf rund 100.000 Hektar
Schutzfläche“, sagt Nika.
## Die gezähmte Vjosa soll Strom exportieren
Doch auf der Suche nach erneuerbaren Energiequellen hat die albanische
Regierung nicht weniger als acht große Querbauwerke geplant, die den Fluss
in eine Aneinanderreihung von Stauseen verwandeln würden. Bisher deckt
Albanien fast 80 Prozent seines Energiebedarfs mit drei großen
Wasserkraftwerken im eigenen Land ab, die alle am Fluss Drin liegen. Den
Rest kauft der Staat aus dem Ausland, vorwiegend Kohlestrom aus Serbien.
Mit den neuen Staudämmen will sich Albanien nicht nur aus dieser
Abhängigkeit lösen und den steigenden Bedarf im eigenen Land decken,
sondern auch Überschüsse produzieren, um sie ins Ausland verkaufen. 400
neue Kraftwerke sind in Planung, darunter 20 Kleinkraftwerke an den bislang
unberührten Zuflüssen der Vjosa. Auch das Pleiteprojekt Kalivac ist nicht
vom Tisch. Ein neuer Investor, diesmal ein aus der Türkei, hat sich
gefunden.
Übermütig klettert Olsi Nika auf den Schrottbagger, setzt sich auf den
Greifarm und lässt heiter die Beine baumeln. Seine Hoffnung, dass der
Umweltschutz doch noch triumphiert, liegt darin, dass möglichst viele
Menschen von der Vjosa erfahren, von ihrer Schönheit, aber auch ihrer
Gefährdung.
Was hieße es, wenn die 45 Meter hohe Staumauer bei Kalivac tatsächlich
hochgezogen würde? Das zeigt Nika einige Kilometer stromaufwärts. Vom
Örtchen Memaliaj führt ein Karrenweg durch hohe Ginsterbüsche und
Wildblumenwiesen. Zwischen niedrigen Weiden lenkt eine Trittspur hinaus ins
Flussbett in eine erstaunliche Landschaft. Auf einer Länge von rund 20
Kilometern hat die Vjosa ihr Bett auf fast zwei Kilometern Breite
ausgedehnt.
Aus den Abertonnen an Felsgestein, die sie aus den Bergen anschleppt,
zerkleinert und zermahlt, hat sie ein feingliedriges Mosaik gebildet aus
Kiesinseln, Schotterströmen und Sandlinsen. Da hindurch windet sie sich,
türkisgrün und gletscherblau, verzweigt wie ein großer blauer Baum mit
seinen Ästen.
## Krook, krook…kr, kr, kr
Vielerorts haben sich Teiche und Tümpel gebildet. Die Luft ist erfüllt von
Pfeifen, Quaken und Singen. Ein melodisches Trillern ertönt aus einem der
Pools: „Das sind Wechselkröten!“, erklärt Olsi Nika. Gleich darauf ein
lautes Keckern: „Das ist jetzt der Seefrosch“, so der Biologe. Wenige Meter
weiter ein rhythmisches krook, krook…kr, kr, kr. „So balzt der
Balkanfrosch“, sagt Olsi Nika. Er bläst seine Wangen auf, lässt die Luft
entweichen und imitiert den Ruf des liebeshungrigen Froschs. Jetzt steigt
aus dem Weidengebüsch ein lockendes Crescendo auf: die Nachtigall.
Nika macht eine ausholende Handbewegung und sagt: „Das ist das Herzstück
der Vjosa, diese Unberührtheit, das ist einzigartig in Europa!“ Etliche
Rote-Liste-Arten leben hier, viele aus Westeuropa verschwunden oder extrem
rar geworden. Dieses Naturjuwel, dazu fruchtbare Felder, die an den
Uferterrassen liegen, drohen in einem fast 7.000 Hektar großen Stausee zu
verschwinden. Zum Vergleich: Der Starnberger See, der fünftgrößte See
Deutschlands, ist nur 5.800 Hektar groß.
An der Straße nach Memalija liegt das Restaurant von Arjam Legai. Außen am
Haus kleben Lehmnester der Rauchschwalbe. Eine Schwalbenfamilie lässt der
46-jährige Restaurantbesitzer sogar im Haus nisten, direkt in der Kuppel
seines blitzsauberen Speisesaals. Legai deutet mit der Hand zur Decke.
„Wenn der Damm kommt, dann steht das Wasser fünf Meter über meinem
Restaurant. Dann müssen meine Familie und ich unser Leben, unser Haus,
unser Geschäft aufgeben.“
Von Anfang an sei er gegen den Damm gewesen, so wie die meisten Anwohner.
„Als noch gebaut wurde, haben wir demonstriert, es kam sogar zu
Zusammenstößen mit der Polizei!“ Legai hält kurz inne. „Der Fluss ist
unsere Heimat, wir kennen viele Lieder über die Vjosa, und Eltern nennen
ihre Töchter nach ihr. Wenn das Kraftwerk kommt, macht ein einziges
Unternehmen damit Profit, den Fluss zu zerstören.“
Auch Sotir Zahoaliaj fürchtet die Regierungspläne. Der pensionierte
Elektriker lebt in Brataj, einem Dorf am Hochufer der Shushiza, einem
Zufluss der Vjosa, unweit ihrer Mündung ins Meer. Gelenkig klettert der
ältere Herr den Steig zum Fluss hinunter. Auf einer Steinbrücke aus der
venezianischen Zeit, die sich über eine Schlucht wölbt, macht er Halt. Der
Blick fällt hinunter auf die mintgrüne Shushiza, die zwischen weißen
Kalkfelsblöcken dahinspringt und tiefe Gumpen bildet. Zwei junge Männer aus
dem Ort sind dabei, in einem dieser glasklaren Becken Forellen zu jagen.
Glockengebimmel und Hufgetrappel ertönen, ein Ziegenhirte mit seiner Herde
kommt an den Fluss, um die Tiere zu tränken.
## Pipeline statt Fluss
Mit dieser Harmonie könnte es bald vorbei sein, denn vier Kleinkraftwerke
in Reihe sind hier geplant. Das Ergebnis: Die Shushiza würde auf mehr als
40 Kilometern Länge in Pipelines verschwinden, Fischfang, Viehwirtschaft
wären nicht mehr möglich. Erwartete Gesamtleistung des Projekts: 15
Megawatt. „Diese geringe Leistung rechtfertigt nicht einen solche
Zerstörung“, sagt Hydrobiologe Nika.
Sotir Zahoaliaj holt sein Smartphone hervor und wischt ein Foto herbei. Es
zeigt die Shushiza bei Hochwasser, wie sie als beeindruckender Schwall
unter der Brücken hindurchschießt. „Wenn der Fluss trocken fällt, steht
unsere Brücke nutzlos herum!“, ruft er. Mit der Vergangenheit so umzugehen,
das empört ihn. Vor einiger Zeit, so berichtet er, seien die Investoren ins
Dorf gekommen, um einen Informationsabend abzuhalten. „Viele Bürger haben
Einwände geäußert“, erinnert er sich. „Aber später behaupteten die
Betreiber, es hätte keine Gegenstimmen gegeben. Dabei ist ganz Brataj gegen
das Projekt!“ Alle Versuche der Bürger, den Parlamentsabgeordneten ihres
Wahlkreises zu kontaktieren, seien fehlgeschlagen.
Widerstand kann erfolgreich sein. Das zeigt der Sieg, den Eco-Albania vor
zwei Jahren gemeinsam mit den Bewohnern von Kutë errungen hat. Dort hatten
sie erfolgreich gegen den Bau eines anderen Kraftwerks geklagt. Ein Stausee
hätte Kutë und 3.000 Hektar Ackerfläche unter Wasser gesetzt. Ein
Verwaltungsgericht befand die Bürgerbeteiligung als äußerst mangelhaft,
ebenso die Umweltverträglichkeitsprüfung. „Die war mit copy and paste
zusammengeschustert“, erinnert sich Olsi Nika. Zwar gingen das
Energieministerium und der Investor in die Berufung, doch die albanischen
Gerichte sind überlastet, das Verfahren ist in der Schwebe. So gilt das
vorläufige Bauverbot und verschafft den Umweltschützern Zeit.
## Kein Platz für einen Nationalpark
Zamir Dedej, ein Mitarbeiter des Umweltministeriums, ist als Biologe
zuständig für Naturschutzgebiete. Der große Mann zeigt sich wenig
begeistert von der Vorstellung eines Vjosa-Nationalparks. „Wir haben zu
wenig Platz in Albanien, wir können diesen Platz nicht opfern“, sagt Dedej
und gibt damit die offizielle Auffassung der Regierung wieder. Er sagt
auch: „Ich zweifle den Artenreichtum an, den die Umweltschutzorganisationen
an der Vjosa vermuten.“ Zudem gebe es Menschen in ländlichen Regionen, die
mehrmals am Tag unter Stromausfall litten. „Soll ich denen sagen, wir
müssen die Frösche retten?“, fragt Dedej.
Olsi Nika kennt diesen Diskurs nur zu gut: „Der Artenreichtum der Vjosa ist
noch gar nicht erfasst.“ Erst 2017 seien 30 Artenforscher und Bodenkundler
an den Fluss gereist. „In nur fünf Tagen haben sie dort vierzig Arten
entdeckt, deren Existenz bislang in Albanien unbekannt war, sowie zwei für
die Wissenschaftswelt ganz neue Arten.“ Nika kritisiert, dass das
Elektrizitätsnetz schlecht gewartet werde. „Allein dadurch verlieren wir 27
Prozent des produzierten Stroms.“ Zudem habe die albanische Regierung es
bisher verpasst, in erneuerbaren Quellen wie Sonne und Wind zu investieren.
Das bestätigt eine Studie, die 2017 von IRENA, der Internationale
Organisation für erneuerbare Energien, publiziert wurde und sich dem
Potential von Photovoltaik und Windkraft in Südosteuropa widmet.
Österreichische und slowenische Ökonomen haben darin für Albanien bis zum
Jahr 2030 allein für die Windenergie ein Potential errechnet, das –
verglichen mit Kohleverstromung – dreimal so groß wie das der Wasserkraft
wäre – und dazu kosteneffizient. Doch erstens fehlen in Albanien die
Fachleute für Wind- und Solarenergie.
## Konkurrenzlos lukrativ
Zweitens ist der Bau von Wasserkraftwerken ganz einfach konkurrenzlos
lukrativ. „Die Investoren schließen nämlich immer auch einen Vertrag mit
dem staatlichen Elektrizitätsversorgungsunternehmen über feste
Einspeisetarife ab“, erklärt Olsi Nika. „Und die gelten dann über die
gesamte Laufzeit von gut 30 Jahren, egal wie die Preise auf dem Strommarkt
schwanken.“ Eine solche Sicherheit gibt es für Wind- und Solarenergie
nicht.
Ayen-Alb heißt das Unternehmen, das vor einiger Zeit die Konzession für das
geplante Wasserkraftwerk Kalivac erworben hat. Auf seiner Webseite
verspricht der Investor „die Produktion von grüner und sauberer Energie
durch Wasserkraft, bei maximalem Schutz für die Umwelt“. Gerne würde man
erfahren, wie es der Firma gelingen will, in vier Monaten eine seriöse
Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, wie jüngst angekündigt. Doch
die Pressestelle der Firma ist nicht erreichbar.
Der Wasserexperte Olsi Nika stößt ein sarkastisches Lachen aus und sagt:
„Um die Folgen eines so großen Kraftwerks zu erfassen, braucht man einen
Zeitraum von drei Jahren!“ Das Querbauwerk würde nicht nur die Landschaft
oberhalb unter Wasser setzen, sondern auch den gesamten Fluss abwärts bis
zur Mündung beeinträchtigen. „Allein das Kalivac-Wehr würde pro Jahr fünf
Millionen Tonnen Sedimente aufhalten“, sagt Nika.
„Diese Mengen Kies und Sand fehlen dann unten an der Mündung, wo die Vjosa
in die Narta-Lagune fließt.“ Dieses Feuchtgebiet wiederum ist ein besonders
wichtiger Rast- und Brutplatz für Wasservögel wie Pelikane und Flamingos,
aber auch für viele Zugvögel wie Schwalben. An die 80.000 Vögel leben
zuweilen gleichzeitig an der Narta-Lagune.
## EU-Beitrittsprozess könnte die Vjosa retten
Ist die Vjosa noch zu retten? Ein Hebel läge in der Eröffnung der
EU-Beitrittsverhandlungen mit Albanien, immerhin ist das Land offizieller
Beitrittskandidat. EcoAlbania macht entsprechenden Druck. Denn liefen
einmal konkrete Verhandlungen, könnte die EU-Kommission von der albanischen
Regierung fordern, besonders wertvolle Regionen wie den Lauf der Vjosa als
Schutzgebiet auszuweisen. Damit fielen die Kraftwerksprojekte buchstäblich
ins Wasser. Zudem haben die drei NGOs eine Beschwerde bei der Berner
Konvention eingereicht, ein völkerrechtlicher Vertrag zum Schutz von wild
lebenden Arten, den auch Albanien unterzeichnet hat.
Die größte Chance aber liegt im Widerstand der albanischen Bürger selbst,
die es satt haben, dass ihre Flüsse verbaut und ihre Felder überschwemmt
werden. Deshalb ist Olsi Nika in den letzten Monaten mit einem
Kampagnenfilm durchs Land gezogen. „Denn Stauwehre haben wir
hunderttausende in Europa“, sagt der junge Biologe. „Aber so etwas wie die
Vjosa, das gibt es nur einmal!“
12 Oct 2019
## AUTOREN
Margarete Moulin
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