# taz.de -- Parlamentswahl in Albanien: Die Entzauberung des Edi Rama | |
> Albaniens Premier bewirbt sich am Sonntag um eine dritte Amtszeit. Seine | |
> Bilanz ist „skandalös“. Die Opposition ist aber auch keine Alternative. | |
Bild: Premierminister Edi Rama bei einem Wahlkampfauftritt in Elbasan am 20. Ap… | |
Berlin taz | Ausgerechnet vor der Parlamentswahl am 25. April ging am | |
einzigen Flughafen Albaniens nichts mehr. Die Fluglotsen streikten am 8. | |
April und forderten ihren vollen Lohn, den die Betreiberfirma Albcontroll | |
wegen der Coronapandemie um die Hälfte gekürzt hatte. | |
Premier Edi Rama war außer sich, beschimpfte auf Twitter wahlweise die | |
Streikenden und Präsident Ilir Meta, der deren Forderungen unterstütze. Der | |
Streik bedrohte Ramas Inszenierung als erfolgreicher Pandemiemanager, denn | |
in den 24 Stunden, bis Rama die Streikenden festnehmen ließ, gelangte kein | |
Impfstoff ins Land. | |
Rama und seine Sozialistische Partei (PS) haben die Pandemiebekämpfung zu | |
ihrem wichtigsten Wahlkampfthema erkoren. Gerade zu Beginn der Krise | |
[1][erließ die Regierung besonders harte Regeln] – pro Haushalt durfte nur | |
eine Person für eine Stunde am Tag das Haus verlassen. Diese Regeln wurden | |
so streng genommen, dass ein [2][Mann in Tirana von einem Polizisten | |
erschossen wurde], als er zur Sperrstunde auf der Straße unterwegs war. | |
Aktuell sind die Maßnahmen trotz hoher Infektionszahlen und geringer | |
Impfquote vergleichsweise locker – womit sich die PS im Wahlkampf schmücken | |
will. | |
Rama tritt für eine dritte Amtszeit an – damit wäre er der erste seit Ende | |
des Kommunismus vor 30 Jahren. Als Rama 2013 mit großer Mehrheit ins Amt | |
gewählt wurde, galt er als modern, liberal, unkonventionell – das | |
Gegenmodell zum durch Korruption und Autokratie geprägten System der damals | |
regierenden Demokraten (DP). Als Bürgermeister von Tirana und | |
[3][international agierender Künstler] hatte er ganze Häuserzeilen der | |
Hauptstadt anmalen lassen. Tatsächlich war seine erste Amtszeit von | |
Reformen geprägt, etwa des Justizwesens. | |
## Regieren im Stile Erdoğans | |
Doch nach seiner Wiederwahl 2017 holte ihn ein Skandal nach dem anderen | |
ein. Auch unter Ramas Ministern und Familienmitgliedern wurden Verbindungen | |
zum organisierten Verbrechen öffentlich. 2019 veröffentlichte die Bild | |
Telefonmitschnitte, die Stimmenkäufe durch SP-Minister belegen sollen. Rama | |
klagte gegen die Zeitung, juristische Konsequenzen für die Beschuldigten | |
gab es keine. | |
Im Mai 2020 schickte Rama Bagger, um ohne Vorwarnung [4][das | |
Nationaltheater im Zentrum Tiranas abreißen] zu lassen. Zuvor hatte es | |
monatelang Proteste für den Erhalt des historischen Gebäudes gegeben. Nun | |
soll dort ein weiterer Shoppingkomplex errichtet werden. | |
Diese Episode illustriert, wie Rama mit politischem Gegenwind umgeht. So | |
beschimpfte er Journalist*innen als „Scharlatane“ oder „Mülltonnen“. | |
Den Fernsehsender Agon TV ließ er 2015 schließen. 2019 wollte er ein Gesetz | |
durchbringen, das die [5][Pressefreiheit von Onlinemedien] erheblich | |
eingeschränkt hätte. Seit der Kritik der Venedig-Kommission des Europarates | |
liegt das Vorhaben auf Eis. | |
Ramas Regierungsstil sei „mehr und mehr zu einer kläglichen Nachahmung von | |
Erdoğans autoritärem Stil“ geworden, sagt Afrim Krasniqi, Direktor des | |
Instituts für Politische Studien in Tirana. Dieser Vergleich ist nicht | |
zufällig gewählt, unterhält der albanische Premier doch enge Verbindungen | |
zu seinem türkischen Kollegen, etwa bei der Lieferung und Produktion von | |
Impfstoffen und dem Bau einer Megamoschee im Zentrum der Hauptstadt. | |
„Herr Rama und seine Regierungsmitglieder zeigen sich arrogant gegenüber | |
kritischen Stimmen“, so Krasniqi. „Sie lehnen jede Art von | |
Rechenschaftspflicht ab und haben eine tiefe politische und soziale Kluft | |
zwischen der Regierung und dem Rest der Gesellschaft geschaffen.“ | |
Korruption grassierte unter Rama weiter: So nimmt das Land auf dem | |
[6][Transparency-International-Index] den 104. Rang von 180 Positionen ein. | |
Doch auch die Opposition habe es laut Krasniqi versäumt, sich als echte | |
Alternative zu präsentieren. Die größte Oppositionspartei, die | |
Demokratische Partei (DP) unter der Führung von Lulzim Basha, boykottiert | |
seit 2019 die Parlamentsarbeit, [7][auch an der Lokalwahl] im selben Jahr | |
trat sie aus Protest gegen mutmaßlichen Wahlbetrug der Rama-Regierung nicht | |
an. In der Folge erhielt die Regierungspartei SP in fast allen | |
Lokalregierungen die Mehrheit. | |
## Die junge Generation verlässt Albanien | |
Wofür die Parteien inhaltlich stehen, ist in Albanien ohnehin schwer zu | |
sagen. So setzt die SP, die sich eigentlich sozialistisch nennt, ihren | |
Schwerpunkt beim Privatisieren und Bauen. Kürzlich sagte Rama, albanische | |
Unternehmen sollten lieber Arbeiter*innen aus Asien anstellen, die | |
seien „billiger“ und würden „weniger schwätzen“ als Albaner*innen. | |
Die konservative DP redet von Arbeitnehmer*innenrechten, um der SP | |
Stimmen abzugraben. Seit dem Ende des Kommunismus bekämpfen sich die beiden | |
Lager aufs Härteste. | |
Für die kommende Wahl hat sich die DP mit anderen Oppositionsparteien | |
zusammengetan, um eine weitere Amtszeit Ramas zu verhindern. Dieses | |
Vorhaben wird erschwert durch eine Wahlrechtsreform. Nach der ersten von | |
der EU geforderten und der OSZE begleiteten Reform, setzte Rama im Oktober | |
eine zweite Änderung durch, die vor allem auf die Bildung von | |
Wahlkoalitionen zielt. Das könnte laut Krasniqi dazu führen, dass die | |
Opposition zwar mehr Stimmen erhält, aber trotzdem weniger Mandate bekommt. | |
All diese Vorzeichen lassen Zweifel aufkommen, dass es bei der Abstimmung | |
am Sonntag um einen echten Wandel geht. Bitter ist das vor allem für die | |
junge Generation, die in großer Zahl das Land verlässt. In einer 2018 von | |
der Westminster Foundation for Democracy durchgeführten Studie gaben 40 | |
Prozent der befragten jungen Albaner*innen an, ins Ausland gehen zu | |
wollen. Allein 2019 haben laut dem Instituts für Statistik (Instat) 360.000 | |
Menschen das Land verlassen – fast 13 Prozent der Gesamtbevölkerung. | |
Kein Wunder, die Jugendarbeitslosigkeit beträgt rund 27 Prozent. Der | |
Mindestlohn liegt bei 210 Euro. Der Bildungssektor liegt brach, und selbst | |
nach Protesten Zehntausender Studierender 2018 hat sich in den Unis kaum | |
etwas verbessert. Was sollte junge Albaner*innen da noch halten? | |
24 Apr 2021 | |
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[6] https://www.transparency.org/en/cpi/2020/index/nzl | |
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## AUTOREN | |
Jana Lapper | |
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