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# taz.de -- Riesen-Staudamm in Äthiopien: Das Wunder vom Blauen Nil
> In Äthiopien soll dieses Jahr ein riesiger Staudamm ans Netz gehen. Die
> Regierung will das Land so zum Entwicklungsmotor Ostafrikas machen.
Bild: Die Blue Nile Falls werden wohl weiter fließen, aber wie sieht es mit de…
Asosa taz | Man kann kaum atmen in der Savanne im Westen Äthiopiens, nahe
der Grenze zum Sudan. Die Luft ist voller Staub. In der Trockenzeit steigen
die Temperaturen auf über 40 Grad. Nur wenige Dörfer säumen die Straße aus
der 300 Kilometer entfernten Distrikthauptstadt Asosa. In runden
Strohhütten unter Bäumen leben jeweils ein paar hundert Einwohner am Rande
des Existenzminimums. Äthiopien erscheint hier zeitlos und unverändert.
Doch dann, nach vielen Polizeisperren, stößt man auf geschäftiges Treiben –
die derzeit wohl größte Baustelle des Kontinents: Hier entsteht der
Renaissance-Staudamm am Blauen Nil, das mächtigste Wasserkraftwerk Afrikas.
Rund 10.000 Bauarbeiter werkeln Tag und Nacht. 400 von ihnen sind Ausländer
aus 30 Ländern, manche aus Südamerika, viele aus Italien – die italienische
Baufirma Salini Construttori ist der größte Auftragnehmer. In der Kantine
gibt es italienischen Prosecco und Bismarck-Steaks, zubereitet von einem
italienischen Koch.
Die Arbeit ruht nie. Sogar nachts ist die Baustelle taghell erleuchtet.
Eine endlose Lastwagenflotte bringt Material für das pharaonische Werk:
Über zehn Millionen Kubikmeter Beton wurden bisher verarbeitet, um eine 1,8
Kilometer breite Talsperre zu errichten, dazu einen Satteldamm zur
Regulierung des Wasserstands. Die ersten beiden Turbinen des Kraftwerks
sind jetzt installiert, gab die Regierung am Dienstag bekannt. Sie sollen
dieses Jahr in Betrieb gehen.
## Am Ende 6.000 Megawatt
Wenn einmal alle 16 Turbinen in Betrieb sind, sollen sie 6.000 Megawatt
Strom erzeugen – das ist so viel, wie die drei bisher größten
Wasserkraftwerke Afrikas zusammengenommen produzieren: Assuan am Nil in
Ägypten, Cahora Bassa am Sambesi in Mosambik und Inga am Kongo-Fluss in der
Demokratischen Republik Kongo.
Das Dammprojekt 700 Kilometer nordwestlich der äthiopischen Hauptstadt
Addis Abeba lässt sich höchstens mit den jahrtausendealten Pyramiden von
Axum im Tigray-Hochland vergleichen. Für Äthiopien, das einzige nie von
Europäern eroberte Land Afrikas, ist der „Grand Ethiopian Renaissance Dam“
Symbol seiner Souveränität und seines Aufstiegs zu einer Führungsnation,
die auf eigenen Füßen steht.
So sagt es Baustellenleiter Semegnew Bekele, ein kleiner Mann mit einem
Sinn für das wohlgewählte große Wort: „Dieses Projekt ist ein Symbol, der
Stolz aller Völker unserer Nation.“ Bekele ist heute einer der bekanntesten
und beliebtesten öffentlichen Figuren Äthiopiens, und er empfängt die
ausländischen Besucher am Damm. „Das Projekt geht gut voran. Es wird dazu
beitragen, unseren gemeinsamen Feind, die Armut, zu besiegen. Wir haben es
begonnen und wir werden es zu Ende führen!“
80 Meter tief ist der Stausee bereits; 145 Meter sollen es werden. Auf
1.874 Quadratkilometern – das ist mehr als dreimal so groß wie der
Bodensee – sollen sich dann 74 Milliarden Kubikmeter Gewässer des Blauen
Nils aufstauen. Die Arbeiten seien zu 70 Prozent abgeschlossen, erklärte
Äthiopiens Kommunikationsminister Getachew Reda Ende Mai.
Nicht nur in Äthiopien, sondern im gesamten Nordosten Afrikas bis hin zum
Mittelmeer wird das gigantische Projekt sich auswirken: Denn der Blaue Nil,
der im äthiopischen Hochland entspringt, ist der Hauptarm des Nils, der
sich über mehrere tausend Kilometer durch den Sudan und Ägypten bis ins
Mittelmeer ergießt. Bei der sudanesischen Hauptstadt Khartum vereint er
sich mit dem längeren, aber weniger mächtigen Weißen Nil, dessen Quellen in
Uganda liegen.
Kein Wunder, dass manche Anrainer besorgt sind: Die sudanesische und vor
allem die ägyptische Regierung befürchten, dass der äthiopische
Renaissance-Damm ihnen über Jahre das Nilwasser und damit die
Lebensgrundlage abschneidet – je nachdem, wie lange es dauert, den Stausee
zu füllen. Spezialisten des Eastern Nile Technical Regional Office und der
Universität Oxford rechnen mit fünf bis sieben Jahren. Damit würde die
Wasserzufuhr Ägyptens über 13 Jahre lang um 8 Prozent sinken – auch am
Assuan-Staudamm mitten in Ägypten. Vor Ort antwortet der äthiopische
Chefingenieur Semegnew Kebele ausweichend auf die Schlüsselfrage, in
welchem Tempo sich der Stausee nun eigentlich tatsächlich füllt.
## Ägypten droht nicht mehr mit Krieg
Immerhin sind die Zeiten vorbei, als Ägypten mit Krieg und Sabotage drohte,
um den Dammbau in Äthiopien zu verhindern. Beide – autoritär regiert mit
einem Faible für Großprojekte – haben sich angenähert. Äthiopiens Regieru…
sagt, sie habe volles Verständnis für die lebenswichtige Funktion des Nils
für Ägypten. Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im ägyptischen
Parlament, Oberst Makal Amer, erklärt sich davon überzeugt, dass Ägypten
keine Nachteile erleiden wird. Die Regierungen Ägyptens, Äthiopiens und des
Sudan haben regelmäßige trilaterale Treffen zur gemeinsamen Klärung offener
Fragen im Zusammenhang mit dem Renaissance-Damm begonnen.
Gemeinsam haben sie im vergangenen Jahr ein Konsortium von Beratungsfirmen
beauftragt, die hydrologischen und ökologischen Folgen des Bauwerks zu
untersuchen. Anfangs waren daran die Firmen BRL Ingénierie aus Frankreich
und Dutch Deltares beteiligt. Die Niederländer zogen sich im September
zurück. Begründung: Die Vorgaben gewährleisteten keine ausreichend
unabhängige Prüfung. An ihre Stelle trat zum Jahresende eine weitere
französische Firma, Artelia. Ergebnisse dieser Studien sollen im Mai 2017
vorliegen.
2017 seien die Bauarbeiten an der Talsperre abgeschlossen, sagt Azeb
Anaske, Geschäftsführer der staatlichen äthiopischen Stromgesellschaft EEP
(Ethiopian Electric Power). Die volle Kapazität soll das Kraftwerk bis zum
Jahr 2020 erreichen.
Das ist nur ein Teil der ambitionierten Aufbauprojekte des Landes.
Äthiopien gehört zu den Staaten mit den höchsten Wirtschaftswachstumsraten
der Welt. Es hat rund 100 Millionen Einwohner, und die Zahl steigt
schnell. Jedes Jahr nimmt der Strombedarf des Landes um 30 Prozent zu. Bis
2020 soll sich die Stromerzeugung auf 17.000 Megawatt vervierfachen.
Anfang August sind nicht nur die ersten Turbinen des Renaissance-Staudammes
installiert worden. Auch Äthiopiens anderer großer Staudamm „Gibe 3“ am
Omo-Fluss im Süden des Landes ist nach offiziellen Angaben ans Netz
gegangen, mit vorerst 800 von 1870 geplanten Megawatt. Umweltschützer
kritisieren „Gibe 3“ scharf, weil er in einer sehr trockenen Zone den
Wasserhaushalt empfindlich verändert. Möglicherweise könnte es auch das
ökologische Gleichgewicht des riesigen Turkana-Sees im wüstenhaften Norden
des Nachbarlandes Kenia beeinträchtigen – und damit die Lebensgrundlage
mehrerer Millionen Menschen.
## Einfach allein finanziert
Was Äthiopiens Regierung bewegt: Mit den Staudämmen bestätigt sie ihre
geopolitische Führungsrolle in der Region. Der Renaissance-Damm soll nicht
nur den Stromhunger im eigenen Land lindern, sondern auch Ägypten mit 2.000
Megawatt Strom versorgen und den Sudan mit 1.200 Megawatt. Weitere
Stromexporte an Dschibuti, Kenia, Uganda, Ruanda und Burundi sind bereits
vereinbart, ebenso an Jemen, wenn dort einmal der Bürgerkrieg beendet ist.
Mit Tansania und dem Südsudan gibt es Gespräche, ebenso wie mit der
international nicht anerkannten Republik Somaliland im Nordteil Somalias.
Besonders wichtig aus äthiopischer Sicht: Der Renaissance-Damm ist komplett
eigenfinanziert. Nachdem die Weltbank und andere internationale Geber
zögerten, beschloss der äthiopische Staat, es einfach allein zu machen. Von
den bisher 2,3 Milliarden Dollar Kosten hat Äthiopiens Regierung 85 Prozent
beigesteuert, die restlichen 345 Millionen Dollar haben Äthiopiens Bürger
beigetragen: per verzinste oder zinslose Anleihe, per Sonderziehung der
nationalen Lotterie, per Spende.
Es ist ein Zeichen von Selbstbestimmung und Selbstbehauptung, das in Afrika
auf große Anerkennung stößt.
11 Aug 2016
## AUTOREN
François Misser
## TAGS
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