# taz.de -- Kolumne Wir retten die Welt: Zu doof zum Überleben | |
> Die Fliege rumst immer wieder an die Scheibe, Motten verbrutzeln ständig | |
> an Glühbirnen. Doch der Mensch ist kein Stück schlauer. | |
Bild: Dieser Lemur war leider dumm genug, sich einfangen zu lassen und landete … | |
Bruummmm – bamm. Stille. Bruummmm – bamm. Stille. Brummmm – bamm. | |
Sie begreift es nicht. Auch beim vierten Anflug steht die Fensterscheibe | |
der Fliege im Weg. Bamm. Wieder knallt sie mit dem Kopf gegen das Glas. | |
Kurz krabbelt sie über den Rahmen, träumt von den grünen Bäumen da draußen, | |
dann dreht sie um und fliegt aus dem Zimmer. Zur Scheibe der Balkontür. | |
Brummmm – bamm. | |
Wie soll man denn da arbeiten? Ich stehe vom Schreibtisch auf, wo ich einen | |
Text über die Wunder unserer Natur verfassen soll. Grashalme als | |
architektonische Meisterleistung, Delfine als Weise der Meere, so ’n | |
Zeugs. | |
Nein, ich hole nicht die Fliegenklatsche. Sondern ein Glas. Stülpe es über | |
den dicken schwarzen Brummer, als er benommen am Fensterbrett | |
entlangtaumelt. Ich öffne die Balkontür und entlasse ihn zwischen dem | |
Rosmarin und den komischen roten Blüten daneben. Der Brummer dreht ab. | |
Wahrscheinlich nur, um an der nächsten Windschutzscheibe zu zerschellen. | |
Habe ich dem Tier durch den Rausschmiss unrecht getan? Immerhin ist es eine | |
Stubenfliege, die ich in der Wohnung nicht haben wollte. (Nun gut, ich | |
akzeptiere auch keine Bettwanzen). Oder habe ich der Evolution ins Handwerk | |
gepfuscht, als ich sie rettete? Der Gedanke kommt mir häufig: dass Tiere | |
zum Überleben manchmal einfach zu blöd sind. | |
So wie dieser vertrottelte Rehpinscher letztens im Grunewald. Als ich den | |
Weg entlangjogge, kommt er aus dem Unterholz getrabt, ohne nach rechts oder | |
links zu gucken. Ich bin größer als er, ich nähere mich schnell. Wäre ich | |
ein großes Raubtier, wäre er in höchster Gefahr. Er schnarcht auf den Weg | |
und läuft mir vors Knie. Bamm. | |
Tiere tun häufig Dinge, von denen man schon in der Kita lernt, sie besser | |
zu lassen. Motten flattern so lange um die heiße Lampe herum, bis sie an | |
ihr verbrutzeln. Igel rollen sich zusammen, wenn sie bei Rot über die | |
Straße laufen und ein Auto kommt. Rehe bleiben im Dunkeln stehen, wenn man | |
sie blendet. Fische schwimmen nachts mit Vorliebe zu der Lampe, hinter der | |
der Fischer lauert. Wale schwimmen auf Strände, wo sie von Umweltschützern | |
umständlich gerettet werden – nur, um auf dem nächsten Strand zu sterben. | |
Was soll das? Normalerweise sind Tiere sehr gut an ihre Umgebung angepasst | |
und halten ihre fünf Sinne beisammen. Selbstmord liegt ihnen nicht. Sie | |
vollbringen die erstaunlichsten Leistungen, sie fliegen um die halbe Welt, | |
schleppen sogar riesige Lasten durch die Gegend oder können täuschend echt | |
Handy-Klingeltöne nachmachen. | |
Warum sind sie manchmal so dumm? Sind sie überfordert? Haben sie die | |
falschen Reflexe für das moderne Leben? | |
Das muss man sich mal vorstellen: eine höher entwickelte Lebensform, die im | |
Angesicht der Gefahr nicht reagiert. Oder die genau das tut, was ins | |
Verderben führt. Die immer wieder gegen die Scheibe rennt, mit dem Feuer | |
spielt und die Verbotenes besonders attraktiv findet. Die den Ast absägt, | |
auf dem sie sitzt. Eigentlich unglaublich dämlich, oder? | |
1 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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