# taz.de -- Selektionsfaktor Straßenlaternen: Coole Motten meiden Kunstlicht | |
> Provinzmotten streben wie hypnotisiert zum Kunstlicht. Ihre städtischen | |
> Schwestern hingegen haben sich an die nächtliche Beleuchtung angepasst. | |
Bild: Das Untersuchungsobjekt der Schweizer Forscher: eine Gespinstmotte | |
BERLIN taz | „Männer umschwirr’n mich wie Motten um das Licht. Und wenn sie | |
verbrennen? Ja dafür kann ich nicht“. Marlene Dietrichs Lied aus dem Film | |
„Der Blaue Engel“ (1930) verband persönliche Erfahrung mit einem scheinbar | |
unumstößlichen Naturgesetz. Doch einerseits bewahrten schon damals viele | |
Männer ihren kühlen Kopf unter allen Umständen. Andererseits: Heutzutage | |
bleibt auch eine zunehmende Zahl von Motten gegenüber Kunstlicht cool. | |
Dies zeigt eine soeben in der Fachzeitschrift [1][Biology Letters] | |
veröffentlichte Studie von Zoologen der Universitäten Basel und Zürich. Das | |
Team unter Leitung von [2][Florian Altermatt] und [3][Dieter Ebert] setzte | |
für das Experiment Exemplare der Pfaffenhütchen-Gespinstmotte (Yponomeuta | |
cagnagella) in die Nähe von künstlichen Lichtquellen. Und zwar Tiere aus | |
zentralen Basler Stadtteilen mit starker Lichtverschmutzung ebenso wie | |
solche aus dem nachts im Dunklen liegenden Umland. | |
Dabei kam heraus: Die Landmotten strebten wie hypnotisiert zum Kunstlicht. | |
Ihre städtischen Schwestern wahrten mehr Abstand. Auch wenn die urbanen | |
Motten abgebrüht reagierten – ein individueller Lerneffekt ist hier | |
ausgeschlossen. Denn alle Tiere waren als Puppen gesammelt worden und im | |
Labor geschlüpft. | |
Folglich legen die Schweizer Wissenschaftler den Verhaltensunterschieden | |
einen evolutionären Selektionsprozess zugrunde. Demnach sind von | |
künstlichen Lichtquellen weniger beeindruckbare Motten an das Leben in der | |
City besser angepasst, haben eine größere Chance, sich dort zu vermehren | |
und ihre Eigenschaften an Nachkommen weiterzugeben. | |
## Motten bevorzugen eigentlich das Dunkle | |
Die weißen, schwarz gepunkteten Vorderflügel der | |
Pfaffenhütchen-Gespinstmotte haben eine Spannweite von 18 bis 24 | |
Millimeter. Sie heißt nach der Hauptnahrungsquelle ihrer Raupen, dem | |
gewöhnlichen Spindelstrauch (auch: Pfaffenhütchen). Wie alle Motten ist sie | |
ein Nachtfalter und bevorzugt eigentlich das Dunkel. | |
Weshalb Nachtinsekten trotzdem auf künstliche Lichtquellen fliegen? | |
Weitgehend akzeptiert ist heute die Erklärung, dass sie auf ihrem Weg immer | |
den gleichen Winkel zu dem UV-Anteil des Mondlichts einhalten. Dieser wird | |
zum Beispiel durch eine Straßenleuchte „übertönt“. Durch ihre Facettenau… | |
können Schmetterlinge ihre Sehschärfe nicht dem Objektabstand anpassen. | |
In ihrem Bemühen, trotzdem den gleichen Winkel zur Lichtquelle einzuhalten, | |
umschwirren sie das Licht in der bekannten Spirale, an deren Ende sie meist | |
verschmoren oder zerschellen. Umweltschutzorganisationen appellieren | |
deshalb an alle Stadtverwaltungen, die Lichtverschmutzung zu reduzieren, | |
besonders den UV-Anteil daran, und von weißem auf gelbes Licht umzustellen. | |
Dies könnte Milliarden von Faltern das Leben erhalten und ihre so wichtigen | |
ökologischen Funktionen für die Umwelt. | |
18 Apr 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://rsbl.royalsocietypublishing.org/content/12/4/20160111 | |
[2] http://homepages.eawag.ch/~altermfl/Home.html | |
[3] http://evolution.unibas.ch/ebert/ | |
## AUTOREN | |
Barbara Kerneck | |
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