| # taz.de -- Kolumne Wir retten die Welt: Ohne Türken kein Schweinebraten | |
| > Warum Multikulti auf dem Teller gut ist. Und warum die Pedigisten | |
| > falschliegen – nicht nur, wenn sie „Kartoffel statt Döner“ wollen. | |
| Bild: Weil's schmeckt: Döner, Pizza, Curry mit Schranke | |
| Das Schild war so dämlich, dass es mich den ganzen Tag beschäftigte. | |
| Morgens beim Frühstück hatte ich es in der taz gelesen. Den ganzen | |
| Vormittag am Schreibtisch kroch es dann immer wieder aus meinem Hinterkopf | |
| hervor. Nachmittags fand ich es im Netz. Die Lügenpresse hatte ganze Arbeit | |
| geleistet: Von FAZ bis Focus und n-tv, ziemlich viele schrieben, was ihnen | |
| das Propagandaministerium befohlen hatte: dass bei der | |
| „Kögida“-Demonstration in Köln eine Frau ein Schild hochhielt, auf dem | |
| stand: „Kartoffeln statt Döner“. | |
| Nicht jeder muss „Döner mit scharfe Soße und alles“ mögen, auch wenn zu | |
| Studienzeiten viele Kommilitonen ohne den türkischen Imbiss um die Ecke | |
| schlicht verhungert wären. | |
| Man kann über Geschmack nicht streiten und deshalb ruhig der Meinung sein, | |
| die Immigration von Olivenöl, Hartweizenpasta, Couscous, Rucola, Kalamares, | |
| Tapas, Sushi (obwohl Artenschutzalarm: roter Thunfisch), Guacamole, Khumbi | |
| Panir Masala oder Nr. 47 habe uns nicht aus der Hölle von Schweinebauch mit | |
| brauner Soße erlöst. Aber man braucht schon den IQ einer Bratpfanne, um das | |
| Andengewächs Kartoffel als urdeutsche Pflanze zu betrachten. | |
| Angebräunte Ökos bedienen sich gern bei den Naturwissenschaften, um ihren | |
| Rassismus zu belegen. Vor einigen Wochen versuchte die Schweizer Initiative | |
| „Ecopop“, Einwanderung und Bevölkerungswachstum mit Öko-Begründungen zu | |
| begrenzen. | |
| ## Charles Darwin konnte sich nicht wehren | |
| Der große Charles Darwin konnte sich nicht dagegen wehren, dass seine | |
| Beobachtung vom „Survival of the fittest“ sozialbiologisch zum Recht des | |
| Stärkeren umgebogen wurde. Gern warnen auch erst einmal unverdächtige | |
| Zeitgenossen vor der „Bevölkerungsexplosion“ in den Ländern Afrikas oder | |
| Asiens. Alte und neue Nazis sind schnell dabei, angeblich urdeutsches | |
| Brauchtum und urdeutsche Natur mit Argumenten des Artenschutzes zu | |
| propagieren. | |
| Tatsächlich werden manche eingewanderten Arten von Pflanzen oder Tieren | |
| hartnäckig verfolgt, weil sie bestehende Ökosysteme zerstören. Aber die | |
| Analogie zu Immigranten, die zu uns kommen, ist nicht nur zynisch und | |
| menschenverachtend, sondern schlicht dumm. Ein Land ist ein soziales Gefüge | |
| – und kein Ökosystem. Wir machen unsere Regeln des Zusammenlebens selbst | |
| und unterliegen kaum noch den Launen der Natur. Im Gegenteil: Im | |
| Anthropozän, dem Menschen-Zeitalter, drücken wir der Erde unseren Stempel | |
| auf. | |
| Wir sollten uns nicht auf ein Niveau mit dem biologistischen Quatsch | |
| rechter Dumpfbacken begeben: Selbst wenn die Natur auf sortenreine Trennung | |
| der verschiedenen Gruppen achten würde, wäre es immer noch richtig, mit | |
| Menschen aus anderen Kulturen und Ländern friedlich zusammenzuleben. | |
| Daran ändert auch das mörderische Attentat auf Charlie Hebdo nichts. Aber | |
| das dämliche „Kartoffel statt Döner“-Denken (?) übersieht, dass nicht nur | |
| bei uns Menschen, sondern auch in freier Wildbahn Mulitkulti oft tadellos | |
| funktioniert. Ein- und Auswanderung ist bei Pflanzen und Tieren Alltag. | |
| Inzwischen haben sich 800 „Neobiota“ in Deutschland etabliert, die meisten | |
| im 20. Jahrhundert, die allermeisten ohne Probleme, meldet das Bundesamt | |
| für Naturschutz. | |
| Pegidisten profitieren übrigens wie wir alle von diesen | |
| Grenzüberschreitungen: Je mehr Arten im Wald stehen, desto sicherer ist er | |
| gegen Sturm und Krankheiten. Die angeblich deutsche Eiche ist als | |
| globalisierter Baum praktisch überall zu Hause. Unser geliebter deutscher | |
| Schweinebraten stammt von Tieren, die zuerst in der Osttürkei domestiziert | |
| wurden. Und ohne den Erfindungsreichtum der Brauer aus dem alten Ägypten | |
| und dem Iran gäbe es (schluck!) kein deutsches Bier. | |
| 9 Jan 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Bernhard Pötter | |
| ## TAGS | |
| Ökologie | |
| Schwerpunkt Pegida | |
| Döner | |
| Artenvielfalt | |
| Charles Darwin | |
| Technologie | |
| taz.gazete | |
| taz.gazete | |
| Nürnberg | |
| taz.gazete | |
| Schlaf | |
| taz.gazete | |
| taz.gazete | |
| taz.gazete | |
| Raumfahrt | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kolumne Wir retten die Welt: Die Internetheinis spielen Gott | |
| Sind technische Erfindungen nur kleine Kratzer auf der Oberfläche des | |
| Lebens? Oder wird die Welt gerade wirklich grundlegend neu erschaffen? | |
| Kolumne Wir retten die Welt: Nur die Cebit hört mein Seufzen | |
| In der „digitalen Transformation“ geht jede Verantwortlichkeit flöten. Und | |
| Vodafone taugt nicht mal zu einem ordentlichen Feindbild. | |
| Kolumne Wir retten die Welt: Das Pfui-Wort im Alltagstest | |
| „Subventionierung“ hat in unseren Neolib-Zeiten einen Ekelfaktor wie sonst | |
| nur Tierquälerei mit Todesfolge. Doch die Staatsknete steckt überall. | |
| Kolumne Wir retten die Welt: Warum Monopoly die Welt zerstört | |
| Selten siegt der Schurke Kapitalismus so schamlos wie bei „Monopoly Planet | |
| Earth“. Regenwälder abholzen, Landschaften reihenweise einbetonieren, zack: | |
| Gewonnen! | |
| Kolumne Wir retten die Welt: Der Komplexitätskomplex | |
| Spotify oder CD? Was umweltfreundlicher ist, ist nicht so einfach zu | |
| entscheiden. Unser ökologischer Fußabdruck hängt von vielen Bedingungen ab. | |
| Kolumne Ökobiz: Schlafen für den guten Zweck | |
| Verpennt, weil die Schlummertaste gelockt hat? Eine App ermöglicht nun | |
| nachhaltiges Schlafen dank Snooze-Spende-Funktion. | |
| Kolumne Wir retten die Welt: Online ist's nicht halb so schön | |
| Im Internet Supermarkt-Krams einkaufen? Klingt gut, hat aber auch Tücken. | |
| Zum Beispiel: Lohnt es sich, mit dem Fahrrad zur Waschanlage zu fahren? | |
| Kolumne Fernsehen: Happy World Television Day! | |
| Am Freitag ist Weltfernsehtag. Da soll das Fernsehen mal so richtig | |
| gefeiert werden. Verdient hat es das aber nun wirklich nicht. | |
| Kolumne Wir retten die Welt: Die Maß bleibt rein | |
| In Bayern werden Bierköniginnen und Brauereien frech: Sie wollen das | |
| Reinheitsgebot von 1516 um die Gentechnik erweitern. Die CSU sagt Nein. | |
| Kolumne Wir retten die Welt: Vom Himmel hoch | |
| Das „Wir“ gibt es nur in 400 Kilometern Entfernung zur Erde. Bei der | |
| „Artenschmutzkonferenz“ ist sich jeder selbst der Nächste. |