# taz.de -- Kolumne Wir retten die Welt: Vom Himmel hoch | |
> Das „Wir“ gibt es nur in 400 Kilometern Entfernung zur Erde. Bei der | |
> „Artenschmutzkonferenz“ ist sich jeder selbst der Nächste. | |
Bild: Schöne Aussicht auf den blauen Planeten | |
Da war ein unterbelichtetes grau-schwarzes Flimmern auf der Mattscheibe. | |
Menschen in grotesken Anzügen tauchten auf, die in einer unverständlichen | |
Sprache redeten, und mein Vater, der sagt: „Da wird gerade Geschichte | |
gemacht!“ Wir reden ausnahmsweise mal nicht vom Fall der Berliner Mauer, | |
sondern von einer meiner frühesten Kindheitserinnerungen: Der | |
Apollo-Landung auf dem Mond. Als kleiner Junge war ich ein großer Fan der | |
Raumfahrt, wahrscheinlich wegen der Stapel von Science-Fiction-Büchern aus | |
der Leihbibliothek. Und wegen des riesigen weiß-schwarzen Modells einer | |
Saturn-V-Rakete, das ein Onkel mir schenkte. Es war randvoll mit bunten | |
Kaugummikugeln. | |
Mit ähnlich glänzenden Augen und schmerzenden Zähnen ist jetzt der deutsche | |
Raumfahrer Alexander Gerst aus dem All zurückgekehrt. Aus verständlichen | |
Gründen schwärmt auch er von der Schönheit der Erde: „Von hier oben sieht | |
man keine Grenzen.“ Er ermahnt uns, wir sollten mit der Erde vorsichtig | |
sein. „Es wirkt grotesk, wenn Menschen sich bekriegen oder Wälder | |
abbrennen, die wir zum Überleben brauchen.“ Und auch bei der zweiten | |
Himmelfahrt, die wir dieser Tage feiern, der „Rosetta-Mission“ zum | |
stinkenden Kometen Tschuri, jubeln alle: „Wir waren auf dem Mond, wir waren | |
auf dem Mars, jetzt sind wir auf Tschuri!“ | |
Leider glauben das nur Marsmenschen. Denn mit dem „Wir“ ist es nicht so | |
weit her, wie wir angesichts des blauen Planeten vor dem schwarzen Nichts | |
gern glauben. Zwar hat die Umweltbewegung es geschafft, dass das Foto vom | |
zerbrechlichen „Spaceship Earth“ inzwischen auf jeder Klopapierpackung zu | |
Frieden, Freude, Eierkuchen mahnt. Satellitendaten haben unser Wissen | |
revolutioniert, Vorreiter der Völkerverständigung wie die UNO, GoogleEarth | |
und Easyjet erwecken den Eindruck, zumindest wir Privilegierten in der | |
globalen Business Class seien Weltbürger. | |
Stimmt alles. Ist aber trotzdem falsch. Denn der Blick vom Himmel hoch | |
gaukelt ein „Wir“ vor, das es nicht gibt. Auf jeder noch so popeligen | |
Konferenz zu einem Problem, das mehr als zwei Länder betrifft, ermahnen | |
„wir“ „uns“, mit diesem furchtbar wichtigen Thema müssten „wir“ ga… | |
umgehen. Das stimmt so sehr, dass es wieder falsch ist. Denn wenn „wir | |
alle“ verantwortlich sind, ist es keiner. Den Blick aus der Raumkapsel | |
vergisst auch der schwereloseste Raumfahrer nach der harten Landung im | |
Alltag. Da zählt dann weniger das große Ganze als das ganz Große: für die | |
eigene Karriere, Familie, Firma oder Nation. | |
## Der Blick auf Gemeinsames trügt | |
Auf die „Verantwortung der Weltgemeinschaft“ kann man vielleicht in 400 | |
Kilometer Höhe vertrauen. Auf dem Boden der Tatsachen im | |
UN-Unsicherheitsrat oder bei der Artenschmutzkonferenz ist sich jeder | |
selbst der Allernächste. Und das ist gar nicht mal falsch. Denn nur der | |
harte Ausgleich zwischen verschiedenen Interessen bringt dauerhafte | |
Lösungen. Der abgehobene Blick auf angebliche Gemeinsamkeiten trügt. Die | |
Küste von Bangladesch sieht faszinierend aus, wenn einem nicht die | |
Reisernte wegschwimmt. Ein Blick von ganz oben ins „Auge des Sturms“ ist | |
ästhetisch eine feine Sache, solange einem nicht auf den Philippinen die | |
Nachbarschaft um die Ohren fliegt. | |
Wer gern eng und unbequem sitzt und sich vorzugsweise aus Zahnpastatuben | |
ernährt, für den ist der Raumflug eine tolle Sache. Wer aber glaubt, aus | |
dem All ließen sich die Probleme der Menschheit lösen, hat den Countdown | |
nicht gehört. „Die Menschheit“ ist nur im Science-Fiction-Film in der Lage, | |
gemeinsam zu handeln. Am besten, wenn wir fiese Aliens abmurksen, die uns | |
abmurksen wollen. | |
Ich bin immer noch ein Fan der Raumfahrt. Wir werden die ganzen Raketen | |
noch dringend brauchen: um mehr über unseren Planeten zu erfahren. Um ein | |
paar fiese Aliens zu finden, damit wir endlich mal als Weltbürger handeln. | |
Und um immer mal wieder jemanden – natürlich nur aus Forschungsgründen – | |
auf den Mond zu schießen. | |
14 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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