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# taz.de -- Essay zur Rosetta-Mission: Unser Opa im All
> Erstmals in der Geschichte ist eine Raumsonde auf einem Kometen im
> Weltall gelandet. Tschuri heißt er. Schön, dass es ihn gibt.
Bild: Rosettas Landeroboter Philae heftet sich an Tschuri (Animation).
BERLIN taz | Falls das Universum denken kann, hat es dieser Tage viel zu
schmunzeln. Über eine völlig aus den Fugen geratene Spezies mit der
putzigen Eigenschaft, ganz kirre zu werden, wenn sie darüber nachdenkt,
woher sie stammt und wozu sie wird. Die schiere Existenz des Homo sapiens
ist eine Abfolge unglaublich unwahrscheinlicher Begebenheiten der letzten
4,64 Milliarden Jahre, Evolution und so, ein Haufen Mutationen.
Nun steht er da, der aufrechte Affe, frisst seinen Planeten leer und
bastelt einen übergroßen Kühlschrank. Den klebt er an eine Raumsonde, die
zehn Jahre lang ein paarmal an Erde und Mars vorbei durch das
Planetensystem swingt, um dann auf einem banalen, eiskalten Brocken
Urmaterie zu landen – einem echten Original. Aus der Zeit, in der diese
ganze Geschichte begann: als das Planetensystem selbst entstand.
Die Menschheit landet also zum ersten Mal auf einem Kometen. Im
Kontrollzentrum der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) in Darmstadt
knuddeln sich die Wissenschaftler, als der erste Pieps von Landeroboter
Philae eintrifft; unterwegs mit Lichtgeschwindigkeit, hat das Signal 28
Minuten bis zur Erde gebraucht. Seine Ankunft markiert den dicksten Coup in
der Geschichte der ESA. Allen voran die Deutschen und Franzosen sprudeln
über vor Stolz.
Die Russen hatten Juri Gagarin als Ersten im All, die Amis ihren Neil
Armstrong auf dem Mond, und die Europäer haben Philae. Keinen Helden zum
Feiern, sondern eben einen kühlschrankgroßen Kasten, den die Raumsonde
Rosetta auf einem Gesteinsbrocken mit dem Namen
67P/Tschurjumow-Gerassimenko, für Freunde kurz „Tschuri“, absetzen soll.
So war der Plan: 500 Millionen Kilometer von der Erde entfernt klinkt sich
Philae aus, gleitet 7 Stunden lang parabelförmig durch das eiskalte Vakuum
des Alls, um dann auf einem Untergrund zu landen, von dem niemand weiß, ob
er weich wie Asche oder hart wie Granit ist. Ein paar Düsen drücken Philae
auf Tschuris Oberfläche. Der Komet ist nur ein paar Kilometer groß, hat
also zu wenig Gravitationskraft, um der Raumsonde Halt geben zu können.
Dann bohren sich Harpunen in den Untergrund. The Kühlschrank has landet.
Willkommen in der stinkenden Urzeit, liebe Menschheit.
Ja stinkend, Untersuchungen an Bord von Raumsonde Rosetta haben nämlich
schon eine Menge Stoffe entdeckt, die Tschuri, langsam von der Sonne
erwärmt, ins All respiriert. Darunter befindet sich auch
Schwefelwasserstoff – das Zeug sorgt für den üblen Gestank fauler alter
Eier. In dem Fall ziemlich alt, denn die Materie, aus der
67P/Tschurjumow-Gerassimenko besteht, hat sich seit der Entstehung des
Sonnensystems nicht verändert.
## Stammen wir von einem solchen Brocken?
Philae hat 10 Messinstrumente an Bord, 7 stammen aus Deutschland. Sie
werden Bilder machen, den Kometen mit Radiowellen durchleuchten, 30
Zentimeter tief in den Boden bohren, die genaue chemische Zusammensetzung
analysieren und eine Frage beantworten: Stammen wir von einem solchen
Brocken? Nicht die Menschen, aber vielleicht ein Teil des Wassers auf der
Erde, das möglicherweise aus dem All mit Kometen zu uns gekommen ist –
schließlich war unser Planet kurz nach seiner Geburt so heiß, dass er heute
staubtrocken sein müsste. Stammen gar die Bausteine des Lebens von Tschuri
oder einem seiner Millionen Kumpanen im All? Also von komplexen Molekülen,
die sich auf der Erde so gruppierten, dass sie sich reproduzierten, Energie
erzeugten, sprich: lebten?
Bis heute weiß niemand, wie dieser Prozess der Entstehung des Lebens genau
abgelaufen ist. Und bis heute schweigt uns das Universum gnadenlos darüber
an, ob da draußen noch andere, grüblerische Wesen wie wir sind. Es verhöhnt
uns fast, denn die reine Größe des Kosmos macht uns nicht zu Ameisen,
sondern eher zu Mikroben: Das von unserem Sonnensystem aus nächste
Sternsystem Alpha Centauri ist mehr als achtzigtausendmal so weit entfernt
wie Tschuri, der nun außertschurischen Besuch bekommt. Die nächste
ordentliche Galaxie, Andromeda, selbst ein Haufen von Milliarden von
Sternen, ist rund 460 Milliarden Mal so weit weg. Könnte das Universum
denken, es würde schmunzeln über die kleinen Ausflüge der Menschen ins All.
Das alles macht den armen, eisigen Tschuri zu einem Seelenverwandten von
uns. Winzig und witzlos kreist und kreist er um die Sonne, und wir kreisen
und kreisen um die Sonne, gemeinsam einsam durch die Ewigkeit.
Schön, dass wir auf Tschuri landen und nicht andersrum. Der Wums würde uns
ausrotten wie so viele Bewohner unseres Planeten vor uns. So aber gibt uns
Tschuri wieder ein Stück Mystik zurück. Ja, genau, Mystik. Momente des
Triumphs des menschlichen Fortschritts sind mystisch. Was auch sonst? All
die Aufklärung lässt uns trotz Wikipedia als Gläubige zurück. Mehr als
Kapitulation bleibt da kaum. Denn mal ehrlich: Wer kann noch
nachvollziehen, was die Wissenschaft da oben treibt? Moderne Schamanen
fuchteln, statt mit Weihrauch und Myrrhe, mit Spektralanalysen von
Wasserstoff und Kohlenstoffisotopen herum, mit der kühlen, sachlichen
Sprache der Wissenschaft, die ihnen Autorität verleiht.
Die Landung von Philae ist demnach ein Gottesdienst der Moderne. Was nicht
heißt, dass alle Wissenschaft beliebig wäre. Der signifikante Unterschied
zur Religion ist simpel: Früher fürchteten sich die Menschen vor dem
Höllenfeuer, heute erschaffen sie es selbst. Aber mehr als ein wohliges
Gefühl vermag uns die Wissenschaft nicht zu geben. Erst reißt die Moderne
den Menschen aus seinem Irrglauben, im Mittelpunkt des Seins zu stehen.
Schrumpft ihn zu einem Zwerg. Entzaubert die Welt so lange bis ins
Kleinste, bis niemand mehr das große Ganze versteht, und all das Wissen
kulminiert mal wieder in einem Triumph der Wissenschaft: Philae setzt auf
dem pockennarbigen Tschuri auf.
## Manche sehen in dem Kometen einen Embryo
Der Komet ist unser verschrobener Opa im All. Manche sehen in ihm auch
einen Embryo, manche ein Ente wie Donald Duck – als wäre Wissenschaft
Entertainment. Früher schließlich hätte Tschuris Schweif einen Heiland oder
eine Hungersnot angekündigt. Das Mysterium Komet findet in jeder Zeit seine
passende Metapher.
Jetzt werden sich der Komet und sein irdischer Besucher, von der Sonne
angezogen, Richtung ebendiese fliegen, umkreist und beäugt von der
Raumsonde Rosetta. Sie wird die Ergebnisse automatischer Versuche, zerlegt
in elektromagnetische Wellen, zu uns senden. Am Ende sind sie so schwach
und leise, dass nur Parabolschüsseln mit 35 Meter Durchmesser sie noch
empfangen können.
Und auch der Tod von Philae ist vorprogrammiert: Die Elektronik an Bord
wird der Hitze der Sonne wahrscheinlich nicht standhalten, wenn der Komet
auf unser höllisches Zentralgestirn zusteuert. Nach sechs Monaten soll
Philae aufhören zu arbeiten. Tschuri wird, wieder allein, seinen ewigen
Parabelflug um die Sonne bis ans Ende der Zeit fortsetzen. Und das
Universum wird sich denken: Na gut, ein paar Geheimnisse verrate ich euch
Menschlein, wenn ihr euch schon so viel Mühe gebt.
12 Nov 2014
## AUTOREN
Ingo Arzt
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