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# taz.de -- Wenn die Sonne verglüht: Oh, wow, Weltuntergang
> Ständig wird über sie geredet. Wie viel sie scheint oder wie wenig. Dabei
> ist die Sonne in ein paar Milliarden Jahren ohnehin hinüber. Schade.
Bild: Keine Panik, ein paar Milliarden Jahre scheint sie noch – wahrscheinlich
Wir sitzen vor einem vietnamesischen Restaurant. Es ist für die Jahreszeit
zu frisch. Wenn die Sonne nicht schiene, wäre es sogar richtig unangenehm,
doch zum Glück steht sie hoch am Himmel und stemmt sich tapfer gegen die
einfließende Polarluft. Ein braver, ein sympathischer Stern – so ist
zumindest ihr Ruf.
Doch die mitgeführte Süddeutsche Zeitung bezweifelt die Zuverlässigkeit
unseres Zentralgestirns. Unter dem Titel [1][„Traurige Planeten“] zeichnet
sie das Bild einer unberechenbaren Scheißsonne, die in zwei Milliarden
Jahren zunächst kräftig den Regler hochdreht, um nach weiteren vier
Milliarden Jahren zum Roten Riesen zu mutieren, der die Erdkruste zu einem
einzigen Ozean aus Lava zusammenschmilzt, bevor sie am Ende „zu einem
Weißen Zwerg kollabiert“. Dann wird es kalt.
Komm mal runter, Sonne, möchte man der wild gewordenen Gaskugel zurufen,
chill mal! Eine Forderung wie sie ja auch schon in einem bekannten
Kinderlied laut wird: „Liebe, liebe Sonne, komm ein bisschen runter (lass
den Regen oben, dann wollen wir dich loben).“
Doch keine Panik. Dann ziehen wir eben einfach auf einen anderen Planeten
um. Wenn das dann überhaupt noch nötig sein wird, denn in sechs Milliarden
Jahren kann sowieso noch eine Menge passieren. Schließlich deutet zurzeit
ja wirklich alles darauf hin, dass wir den blauen Karren noch innerhalb der
nächsten hundert Jahre aber so was von gründlich an die Wand gefahren haben
werden – vom Klimawandel über Kernenergie bis hin zu irren, depressiven
oder gemeingefährlichen Staatschefs von Atommächten.
Nicht zu vergessen auch allerlei weitere kosmische Unwägbarkeiten, die
Mutter Erde jederzeit zu einem lächerlichen Spielball der Kräfte machen
könnten. Da braucht doch bloß irgendein drittklassiger Komet unerwartet ins
Schleudern zu geraten, oder die Koordinaten x-beliebiger
Planetenkonstellationen verschieben sich um eine Winkelsekunde, und schon
wird es sich anfühlen, als schmissen galaktische Riesen mit unserer „Blue
Marble“ auf dem Schulhof der „Sigmund-Jähn-Sonderschule“ für schwer
erziehbare galaktische Riesen nach den anderen Murmeln.
Ob wir Menschlein hier vorm Vietnamesen das dann überhaupt noch
mitkriegen? In seiner ganzen Tragweite? Dass man dasitzt und sich sagt: Oh,
wow, das ist jetzt der Weltuntergang, und ich bin live dabei – wie geil ist
das denn! Dagegen kann so eine partielle Sonnenfinsternis echt nicht
anstinken – im Vergleich zu den richtig coolen, astronomischen Phänomenen
ist die nur ein umgefallener Reissack.
## „Wumms, bumms, aus die Maus“
Aber erstens kann man in der Situation wahrscheinlich keinen Piep mehr
denken, geschweige denn sagen. Auch für ein Selfie, „wir zwei mit
Apokalypse“, wird es selbst mit noch so kühlem Blut nicht reichen. Wer
könnte das überhaupt noch liken? Und zweitens werden alle anderen acht
Milliarden Erdenbürger ja ebenfalls zu Zeugen des Naturwunders. Von
exklusiver Erfahrung kann da beim besten Willen nicht die Rede sein, was
wiederum am Distinktionsdünkel von urbanen Trendsettern, wie wir es sind,
kratzt.
Und doch werfen mich Gedankenspiele wie dieses mit ihrer unbarmherzigen
Wucht immer wieder schier zu Boden: „Wumms, bumms, aus die Maus“, wie es im
Jargon der Weltraumforscher heißt. Ich weiß ja, dass ich unbedeutend und
klein bin, doch ich verdränge das permanent, aus Selbstschutz und weil man
ja irgendwie leben muss. Wie nachrangig es im Angesicht des Infernos
erscheint, ob ich je Müll getrennt habe.
Auch was die Liebe oder der Sinn des Lebens ist, wird so relevant wie der
Furz einer sterbenden Ratte – also noch weniger als sowieso schon. Wen oder
was interessiert es angesichts des Weltuntergangs, ob ich marinierte
Schweinerippchen bestelle oder lieber was mit Tofu. Wegen der Tiere und der
Umwelt und so. Ist doch alles wumpe, wenn nicht jetzt, dann in sechzig oder
sechs Milliarden Jahren. Andererseits kann jedes Essen schon die
Henkersmahlzeit sein. Also, ich nehme die Rippchen, bitte, danke, gern.
## Mutti schmiert Brote für alle
Der verantwortungsvolle Teil der Menschheit plant derweil den Umzug. Was
nehmen wir mit, und welches Umzugsunternehmen wählen wir, die Firma Zapf
oder die spottbilligen Amphetaminjunkies aus dem Internet, die immer so
viel kaputt machen? Zahlen wir zusätzlich für mobile Halteverbotsschilder,
falls der Mann im Mond am gleichen Tag umzieht, oder riskieren wir das so?
Vielleicht erledigen wir das auch selber mit einem gigantischen Mietlaster?
Wenn acht Milliarden Leute eine saubere Kette bilden, klappt das schon.
Mutti schmiert Brote für alle, der Papst segnet uns, und kaum sind die
Sachen vollständig auf dem neuen Planeten, werden auch schon die ersten
Regale zusammengeschraubt. Schlussendlich noch die Frage nach dem
günstigsten Termin: Wollen wir bis zum letzten Moment warten oder lieber
früher umziehen?
Denn schon in zwei Milliarden Jahren wird die Sonne alles Leben hier auf
Erden komplett versengen. Ehe sie ein für alle Mal abkackt, legt sie
nämlich erst noch einmal richtig los. Wir werden sehr, sehr große
Sonnenhüte brauchen, und der ideale Lichtschutzfaktor – nicht nur für
Kleinkinder! – beträgt 666, was zugleich der Anzahl der Tage im Jahr
entspricht, an denen auch die Inuit hitzefrei haben. Da möchte man sich in
puncto Lebensqualität eventuell gern rechtzeitig umorientieren.
Ein bisschen fragt sich allerdings, wohin genau die Menschheit denn dann
umziehen soll. Die in zwei Milliarden Jahren erwartete Hitze hätte immerhin
den Vorteil, dass es in dieser Phase auf dem Mars ganz mollig sein dürfte.
Gerade richtig. Badetemperatur. Und gar nicht mal so weit weg. Das Blöde
ist, dass man nach weiteren vier Milliarden Jahren erneut umziehen muss. Da
lohnt es sich ja kaum, die Kisten auszupacken.
## Autsch, es regnet Glas
Natürlich muss das zukünftige Zuhause der Erde ähneln, damit das Heimweh
nicht zu groß wird. Einen Kandidaten hat die Website [2][Exoplanets Data
Explorer] bereits für uns abgecheckt: Der nur den Katzensprung (einer sehr
großen und überaus sportlichen Katze) von dreiundsechzig Lichtjahren
entfernte Planet HD 189733 b ist sogar blau.
Schade, dass man auch dort bei 900 Grad Tagestemperatur (über die
nächtlichen Werte schweigt sich die Quelle aus) mächtig ins Schwitzen
gerät. Außerdem regnet es Glas, was für Leute, die nicht direkt an der
Warschauer Brücke in Berlin aufgewachsen sind, gewöhnungsbedürftig sein
wird. Und den Regenschirm lässt man angesichts der ortsüblichen
Windgeschwindigkeit von 9.000 km/h besser zugeklappt.
Auf einmal erscheint einem das Wetter dieser Tage vergleichsweise
gemütlich. Anstatt immer gleich loszujammern, sollten die Leute ruhig öfter
mal dran denken, wie viel schlimmer alles sein könnte.
In diesem Augenblick verschwindet die Sonne hinter den Wolken, und auf
Anhieb wird es unheimlich kühl. Die zur Minute servierten Schweinerippchen
unter dem ohnehin nur lauen Salat erkalten auf der Stelle. Ein erster
Vorgeschmack.
1 Jul 2016
## LINKS
[1] http://www.sueddeutsche.de/wissen/astronomie-traurige-planeten-1.2961444
[2] http://exoplanets.org/
## AUTOREN
Uli Hannemann
## TAGS
Sonne
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