| # taz.de -- Besuch beim Deutschen Wetterdienst: Beständig wechselhaft | |
| > Vorhersage Sturzfluten, Sommergewitter, Ostwinde. Das Wetter ist unsere | |
| > letzte große Ungewissheit. Deswegen reden wir soviel darüber. | |
| Bild: Windsack im Offenbacher Wetterpark | |
| Das Wetter wird in Offenbach gemacht. Es ist sogar der größte Arbeitgeber | |
| am Ort. 900 Menschen arbeiten in der Zentrale des Deutschen Wetterdienstes | |
| am Wetter. Sie arbeiten am Wetter von gestern, seiner historischen | |
| Einordnung in Bibliothek und Archiv. Sie arbeiten am Wetter von heute, | |
| seiner weltweiten elektronischen Erfassung in Echtzeit. Und sie arbeiten am | |
| Wetter von morgen, daran, es vorherzusagen. Das ist der schwierigste Teil. | |
| Für diesen Teil ist die Cray XC30 zuständig. In einem abgedunkelten Raum | |
| thront sie wie eine futuristische Göttin in Gestalt mehrerer Wandschränke, | |
| illuminiert nur von den blinzelnden Lämpchen ihrer zahlreichen Server und | |
| umweht vom ohrenbetäubenden Gebläse ihrer Kühlsysteme. | |
| Im Raum nebenan arbeitet ihre Zwillingsschwester – zu Forschungszwecken und | |
| als Ersatz für den Notfall. Das Stockwerk darunter gehört alleine der | |
| Verkabelung des Ungetüms. Als Notstromaggregat steht im Keller ein | |
| U-Boot-Schiffsdiesel bereit. | |
| Denn die Cray muss rechnen, rund um die Uhr. Pro Sekunde kann sie mehr als | |
| 100 Billiarden Rechenoperationen bewältigen. Es erreicht sie ein | |
| kontinuierlicher Strom an Daten, geliefert von 11.000 offiziellen | |
| Bodenstationen, von Bojen auf dem Atlantik, Handelsschiffen in Sturm und | |
| Flaute, Verkehrsflugzeugen auf Reiseflughöhe über der Arktis und bei der | |
| Landung in den Tropen, von 1.400 Wetterballons. Daraus errechnet die Cray | |
| in maximal einer Stunde, wie das Wetter an rund 256 Millionen verschiedenen | |
| Punkten rund um den Globus ist. Und wie es wird. | |
| Trotzdem kann uns Gerhard Lux noch am Vortrag unseres Besuches nur | |
| annähernd sagen, ob wir trockenen Fußes in Offenbach ankommen werden: „Zu | |
| ungefähr 80 Prozent wird es keinen Regen geben!“ | |
| ## Und? Wie ist das Wetter? | |
| Wir sind verabredet, um zu reden. Über das Wetter. Bei oberflächlicher | |
| Betrachtung ist das natürlich Smalltalk. Wetter ist etwas, über das jeder | |
| Mensch eine Meinung hat, in das jeder Mensch seine Hoffnungen setzt, | |
| worüber ich selbst mit einem Fremden auf dem Bahnsteig ansatzlos | |
| Konversation betreiben kann. | |
| Wie ist das Wetter? Wie war es? Und wie wird es sein? So beiläufig es | |
| klingt, ist ein solches Gespräch doch immer eine Verständigung über die | |
| wechselhafte atmosphärische Grundlage unserer Existenz. Wir müssen über das | |
| Wetter reden. Und wir wollen wissen, wie es wird. | |
| Das wollten wir schon immer. Menschen fürchten Veränderung, und nichts ist | |
| so verlässlich veränderlich, so launisch wechselhaft und buchstäblich | |
| wetterwendisch wie das Wetter. Was draußen vor der Höhle sich so abspielte, | |
| war früh schon Motiv der Malereien an ihren Wänden. In Lascaux werden | |
| Vulkanausbrüche thematisiert, und in einer Höhle im algerischen Gebirge von | |
| Ahaggar finden wir die erste Darstellung eines Regenbogens überhaupt – | |
| 3.500 Jahre vor unserer Zeit. | |
| Wetter ist ein Thema im „Gilgamesch-Epos“, im alten Ägypten und im Alten | |
| Testament, in der „Meteorologica“ des Aristoteles und bei Autoren der | |
| römischen Spätantike, die sich über das schlechte Wetter in Gallien | |
| echauffierten. Gemälde flämischer Maler wie Jacob van Ruisdael illustrieren | |
| uns noch heute die Auswirkungen der „kleinen Eiszeit“ auf die beginnende | |
| Neuzeit. | |
| ## Werden statt sein | |
| Zu allen Zeiten wurde also festgehalten, wie es ist. Wichtiger war immer, | |
| wie es werden sollte. Und das war über Jahrtausende höchstens Gegenstand | |
| von Gebeten und Opferritualen. Erst mit der Aufklärung wurde das Unwägbare | |
| zaghaften Messungen unterworfen. | |
| Instrumente wie Thermometer und Barometer, Druck und Feuchtigkeit der Luft, | |
| erste Wetterstationen toskanischer Adeliger, bald darauf kurfürstliche | |
| Beobachtungsnetzwerke in der Pfalz – jede weitere tastende Annäherung an | |
| das Wetter ergab präzisere Näherungswerte für seine Vorhersage, blieb aber | |
| stets eine Annäherung und wird es gemäß physikalischen Grundgesetzen immer | |
| bleiben. | |
| Denn als chaotisches System unterliegt das Wetter, wie alle unbelebte | |
| Natur, einer Tendenz zu immer größerer Unordnung. Dem ist nicht | |
| beizukommen, aber doch vorzusorgen. „Daseinsvorsorge“ ist denn auch das | |
| schöne offizielle Wort, mit dem Lux die Aufgabe seiner Anstalt auf den | |
| Punkt bringt. Sie ist uns einen jährlichen Etat von mehr als 300 Millionen | |
| Euro wert. Zahllose Bereiche des öffentlichen Lebens, von der Wirtschaft | |
| über den Verkehr oder die Energie bis zur Pflege, richten sich nach dem | |
| Wetter. | |
| Bringe ich auf meinen Feldern die Ernte ein? Lichte ich an meinem | |
| Containerschiff den Anker? Gehe ich mit meiner Boeing gleich nach dem Start | |
| scharf auf nördlichen Kurs? Sage ich mein Open-Air-Festival ab? Halte ich | |
| Schneeräumdienste auf meinen Straßen bereit? Disponiere ich für meinen | |
| Getränkeladen mehr Mineralwasser? Lege ich für eine Sommerpause die | |
| Produktion meiner Überraschungseier lahm? Nehme ich meine Windkraftanlagen | |
| für ein paar Tage vom Netz? | |
| ## Immer mehr Wissen | |
| Wie katastrophal das Wetter dabei auch in unseren „gemäßigten“ Breiten se… | |
| kann, haben zuletzt die Bewohner von Breisgau oder Schwarzwald erfahren. | |
| Andernorts zertrümmert Hagel ganze Fuhrparks, erschlagen Blitze | |
| unvorsichtige Konzertbesucher, gefährden dauerhafter Regen oder anhaltende | |
| Trockenheit die Existenz von Landwirten. Gemeinden in Vorpommern werden | |
| unterdessen nicht von Hochwasser, sondern von Windhosen heimgesucht. | |
| Es gibt nicht mehr Tornados, sagt Lux: „Die Dunkelziffer wird nur kleiner“, | |
| weil Messungen und Prognosen des Wetters engmaschiger werden. Dennoch wird | |
| für schlechtes Wetter wie für schlechte Nachrichten gerne der Bote | |
| verantwortlich gemacht. So wies etwa der Betreiber des um ein Haar | |
| havarierten Welt-Ballons in Berlin jede Schuld von sich, bis ihm der | |
| Deutsche Wetterdienst minutiös nachweisen konnte: Er war vor den Böen | |
| minutiös gewarnt worden. | |
| Es liegt aber in ihrem eigenen Ermessen, was Landratsämter, Feuerwehr, | |
| Kapitäne, Ballonfahrer, Altersheimleiter oder Medien mit diesen | |
| Informationen anstellen. Der öffentlich-rechtliche Wetterdienst liefert das | |
| reine Quellwasser der nötigen Daten für jeden Bedarf, inzwischen sogar mit | |
| einer kostenlosen App. | |
| Für die öffentlich-rechtlichen Sender dagegen ist Wetter, auch Unwetter, | |
| offenbar noch immer etwas, dem man sich am Ende der Nachrichten mit einem | |
| Schmunzeln zuwendet: „Zum Wetter …“ | |
| Anstatt etwa vor dem verheerenden Hochwasser vom 29. Mai in | |
| Baden-Württemberg ausdrücklich zu warnen, hieß es in der „Tagesschau“ am | |
| Abend nur vage: „Es gelten die entsprechenden Warnungen des Deutschen | |
| Wetterdienstes“. Während in der Nacht die ersten konkreten Keller voll | |
| Wasser liefen, wiederholte der SWR Fußballspiele von 1980. | |
| ## Let me meteotain you | |
| Statt also ambulant auf eine Sonderberichterstattung umzuschalten und den | |
| Verlauf des Wetters und der Pegelstände zu begleiten, bringt das Fernsehen | |
| anderntags: Meteotainment. | |
| Jörg Kachelmann, der per Tweet schon am Nachmittag gewarnt hatte („Weg von | |
| Flüssen und Bächen, in kurzer Zeit Monatsmengen gefallen!“), kann sich die | |
| „systemische Weigerung“ gerade der dritten Programme nicht erklären. | |
| Kachelmann zur taz: „Die haben so viele Leute und so viel Kohle. Aber ihre | |
| Hubschrauber schicken sie erst los, wenn alles abgesoffen ist.“ | |
| Man könnte meinen, auch 2016 würden manche Verantwortlichen noch immer | |
| beherzigen, was Otto von Bismarck 1883 gegen amtliche | |
| „Wetterprophezeiungen“ vorgebracht hatte. Die solle man, so der | |
| Reichskanzler, besser ganz bleiben lassen. Um nicht „böswilliger Kritik“ | |
| das Feld zu bereiten. | |
| 16 Jul 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Arno Frank | |
| ## TAGS | |
| Wetter | |
| Deutscher Wetterdienst | |
| Forschung | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Wetter | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| Wetter | |
| Sonne | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Die Deutsche Seewarte in Hamburg: Der Schatz der Seeleute | |
| Die Deutsche Seewarte wertete ab 1875 die Logbücher von Seeleuten aus, um | |
| Wissen über das Meer und das Wetter zu gewinnen. 1945 wurde sie zerbombt. | |
| Gewitter und Klimaveränderung: Die Blitze-Zähler in Karlsruhe | |
| Knallt es häufiger? Oder doch weniger? Was hat die Bildung von Gewittern | |
| mit dem Klimawandel zu tun? 2016 war ein besonders blitzarmes Jahr. | |
| Jahrhundertregen in Berlin: Nach der Sintflut | |
| Der Traum ist aus, das Wasser verschwindet. Was bleibt? Die Stadt wird noch | |
| etwas brauchen, um den Regen zu verkraften. | |
| Studie zur Schmelze der Arktis: Warnsignal aus dem Norden | |
| Das Meereis am Nordpol schmilzt in rasantem Tempo. Eine neue Studie warnt | |
| vor den Folgen für die gesamte Region – und über diese hinaus. | |
| Feldforschung zum Klimawandel: Das Freiluftlabor | |
| Sensoren erfassen Nährstoffe und senden Daten. In Sachsen-Anhalt | |
| untersuchen Forscher Klimaänderungen auf landwirtschaftlichen Flächen. | |
| Unwetterwarnungen für Gemeinden: Hyperlocal Warning | |
| Der Deutsche Wetterdienst warnt nun jede Gemeinde vor Unwettern – bisher | |
| war das nur auf Kreisebene so. Ungenauigkeiten bleiben. | |
| Wenn die Sonne verglüht: Oh, wow, Weltuntergang | |
| Ständig wird über sie geredet. Wie viel sie scheint oder wie wenig. Dabei | |
| ist die Sonne in ein paar Milliarden Jahren ohnehin hinüber. Schade. |