# taz.de -- Feldforschung zum Klimawandel: Das Freiluftlabor | |
> Sensoren erfassen Nährstoffe und senden Daten. In Sachsen-Anhalt | |
> untersuchen Forscher Klimaänderungen auf landwirtschaftlichen Flächen. | |
Bild: Im Global Change Experimental Facility in Sachsen-Anhalt erforschen Wisse… | |
BAD LAUCHSTÄDT taz | Auf den Landstraßen im Saalekreis duftet es nach | |
frisch gemähtem Gras und Blüten, die Sommersonne wärmt die Haut. Ein | |
Traktor rumpelt den Feldweg entlang, der Fahrer hat es nicht eilig. Schwer | |
vorstellbar, dass gerade hier ein Team von Wissenschaftlern über die | |
Zukunft des Planeten forscht. Das Gelände erstreckt sich auf eine Fläche | |
von rund zehn Fußballfeldern. „Ich habe keine Angst vor Größe“, sagt Mar… | |
Schädler und lacht. Der wissenschaftliche Koordinator der Forschungsanlage | |
erscheint in kurzer Arbeitshose und T-Shirt zum Treffen. Er marschiert an | |
einer Fläche mit fünf verschiedenen Feldern vorbei, die von fünf Meter | |
hohen Stahlgerüsten umzäunt sind. Hier experimentieren die Forscher mit | |
unterschiedlichen Arten der Landnutzung. | |
In den Hightechkonstruktionen simulieren Schädler und sein Team den | |
Klimawandel. „Das ist eine Wahnsinnstechnik!“, sagt Schädler und staunt | |
auch noch zwei Jahre nach Versuchsbeginn. Sein Kollege und Technikexperte | |
Konrad Kirsch drückt einen Knopf, und schon umschließen vier Folienwände | |
und ein Dach das Stahlgerüst: Fertig ist das Gewächshaus. | |
Dass der Klimawandel bereits weltweit in vollem Gange ist, darauf deuten | |
Tsunamis, Dürren und das Steigen der Meeresspiegel – oder auch die heftigen | |
Unwetter, die jüngst etwa in Deutschland wüteten. In der Forschungsanlage, | |
die den futuristischen Namen Global Change Experimental Facilty (GCEF) | |
trägt, arbeiten rund 60 Mitarbeiter daran, herauszufinden, wie die Umwelt | |
auf die Folgen reagiert. | |
Wie verändern sich unterschiedliche Ökosysteme? Was passiert in den Böden, | |
mit den Pflanzen und Tieren? | |
Martin Schädler deutet auf eine dicht bewachsene Parzelle. Die Gerste steht | |
hüfthoch. Mohnblüten ragen zwischen den Gräsern hervor. Es summt und | |
wimmelt vor Insekten. Dies ist eine der fünf Landnutzungsarten, die hier | |
erforscht werden: der ökologische Ackerbau. | |
Anders sieht es auf der benachbarten Parzelle aus, beim konventionellen | |
Ackerbau. „Hier ist nichts dem Zufall überlassen“, sagt Schädler. Das | |
Getreide wächst nicht so hoch, dafür aber zentimetergenau in Reih und | |
Glied. Unkraut gibt es kaum. Dafür sorgen Pestizide und künstlicher Dünger. | |
Schädler kniet am Rand des Feldes nieder und zerbröselt etwas Erde mit der | |
Hand. Der Boden ist staubtrocken. Erste sichtbare Folgen des simulierten | |
Klimawandels. Die Ökovariante von nebenan verträgt die Veränderungen besser | |
– die Erde ist weniger stark ausgetrocknet. | |
## Man möchte sich reinlegen | |
Neben den beiden Ackerbauvarianten gibt es auf den übrigen drei Parzellen | |
eine intensiv und zwei extensiv genutzte Grasflächen. Bei der intensiven | |
Landnutzung pflanzen Bauern Wiesen aus homogenen Futtergräsern, die sie oft | |
mähen und bewässern. Typisch für die extensive Landnutzung hingegen ist | |
eine vielfältige Pflanzenstruktur. Gemäht wird nur ein- bis zweimal im | |
Jahr. In alle Richtungen sprießen die Gräser, durchzogen von weißen | |
Wildblumen. Man möchte sich am liebsten hineinlegen. | |
Auf einer der extensiven Grasflächen mähen die Forscher gar nicht: Hier | |
steht eine kleine Herde von Schafen, es sind die Lieblinge der Station. Die | |
Tiere sind bereits an die Menschen gewöhnt und grasen auf der Wiese, bis | |
der Schäfer sie zur nächsten bringt. Die Wissenschaftler untersuchen dann, | |
wie sich der beweidete Boden verändert hat. | |
## Auf 15 Jahre angelegt | |
Heute suchen die Schafe in der Mittagssonne nach Schatten. Dumpfe Schläge | |
lassen sie aufhorchen. Forscher schlagen mit einem Holzhammer flache Löcher | |
ins Gras. Sie sammeln Bodenproben für das Labor. Einige Jungtiere hüpfen | |
aufgeregt umher. Die belgische Studentin Zoë De Corte und der chinesische | |
Doktorand Rui Yin hocken neben der Schafparzelle und nehmen ebenfalls | |
Proben. Hier auf der intensiven Fläche ist das Gras bereits gemäht. „Ein | |
Traumversuchsplatz, auch für Studenten“, sagt Zoë De Corte. Unbezahlbar für | |
die meisten Universitäten. Dafür ermöglicht die Kooperation mit der GCEF | |
vielen Studenten der Universitäten in Leipzig, Halle und Köln, hier zu | |
forschen. Das GCEF ist wiederum ein Projekt des Helmholtz Zentrums für | |
Umweltforschung, das auch den Betrieb finanziert. | |
Seitdem er 2009 die Koordination der GCEF übernommen hat, ist Martin | |
Schädler Feuer und Flamme für das Mammutprojekt und stolz, daran mitwirken | |
zu können. Es ist heiß unter der knallenden Mittagssonne, der Biologe hat | |
sich gerade erst warm geredet. Da sei zum einen die zeitliche und räumliche | |
Dimension. Er wischt sich den Schweiß von der Stirn. Das Projekt ist auf 15 | |
Jahre angelegt, denn Bodenprozesse zeigen oft erst nach drei bis vier | |
Jahren Ergebnisse, sagt er. Zudem ist das Versuchsdesign neu, weil die fünf | |
Landnutzungsarten gleichzeitig untersucht werden – fünfmal unter | |
unveränderten Bedingungen, fünfmal unter Simulation des Klimawandels. „Für | |
einen experimentellen Ökologen wie mich ist das das Nonplusultra!“, sagt | |
er. Bei Einbruch der Dunkelheit und bei Regen schließen die Wände und | |
Dächer automatisch. So ahmt die Anlage das in fünfzig Jahren zu erwartende | |
Klima nach: trockene Luft, heiße Temperaturen und weniger Niederschlag – | |
rund zwanzig Prozent des Regenwassers fangen die Dächer ab, woraufhin | |
unterirdische Leitungen es in ein Auffangbecken transportieren. | |
## Der Regenmacher | |
„Und immer wenn Martin sagt, dass er Regen haben will, lasse ich es | |
regnen“, sagt Konrad Kirsch. Per Knopfdruck setzt der Technikprofi in | |
seiner Schaltzentrale die automatische Bewässerungsanlage in Gang. Hier, in | |
einem blauen Container am Rande der Anlage, hat er Zugriff auf alle Daten, | |
die in den Parzellen angebrachte Sensoren aufnehmen und per WLAN | |
übermitteln. | |
Dass die Versuche bislang weitgehend reibungslos ablaufen, überrascht den | |
45-Jährigen. „Unser einziger Feind ist der Wind“, sagt er und pfeift den | |
Schafen zu, die unruhig werden – er ist mit der Zeit zum Ziehvater der | |
Tiere geworden. „Versuch mal, so eine riesige Plane allein zu halten, wenn | |
sie sich löst. Das ist Selbstmord! Die ist so groß wie ein Segel, da ist | |
ordentlich was dahinter.“ Von den bundesweiten Unwettern der vergangenen | |
Wochen wurde Bad Lauchstädt glücklicherweise verschont. Die Wissenschaftler | |
um Martin Schädler sind sich aber einig, dass sie künftig mit starken | |
Stürmen rechnen müssen, auch infolge des Klimawandels. | |
Forscher, Studenten und Doktoranden verrichten zum Teil Bauernhofarbeit – | |
Schafe hüten, Rasen mähen, säen und Feldfrüchte ernten. Techniker warten | |
die Anlage mit großen Hebebühnen. In einem Beet vor den Experimentalflächen | |
hocken Masterstudenten und pflanzen Gemüse. „Wir haben aber auch einen | |
enormen Organisationsaufwand“, sagt Martin Schädler und öffnet die Tür zum | |
Hauptgebäude. Zu Hunderten liegen ordentlich beschriftete Papiertüten auf | |
langen Tischen; bereit für die Bestückung mit unterschiedlichen Pflanzen | |
und die anschließende Untersuchung. Ein Großteil der Proben landet danach | |
im Archiv. | |
„Das, was ich hier mache, ist nur zur Hälfte Wissenschaft“, erklärt | |
Schädler. Als Koordinator muss er seine eigentliche Leidenschaft, das | |
Forschen, für die Organisationsarbeit zurückstellen. Der Chef von rund 50 | |
Wissenschaftlern und 13 Technikern weiß genau Bescheid, wer gerade wo | |
welches Projekt macht und ob es gerade gut läuft oder nicht. Mit der | |
gleichen Begeisterung wie auf der Anlage, steckt der Biologe auch zu Hause | |
mit beiden Händen in der Erde: Beim Arbeiten im eigenen Garten. | |
## Rhythmus der Natur | |
„Man muss hier bei allem, was man macht, leidenschaftlich bei der Sache | |
sein, das geht gar nicht anders.“ Die Anlage soll schließlich noch viele | |
Jahre laufen und schlüssige Ergebnisse liefern. | |
„Ihr Journalisten wollt ja immer wissen, ob wir der Politik oder | |
Landwirtschaft Handlungsempfehlungen geben können. Doch darauf zielt unsere | |
Arbeit erst in zweiter Linie ab“, erklärt Schädler und wandert durch die | |
Gänge, vorbei an Maschinen und Laboren. „Hier betreiben wir | |
Grundlagenforschung.“ Wie sich die Nährstoffdynamik im Boden verändert und | |
wie verschiedene Lebewesen, zum Beispiel Pflanzen und Pilze interagieren, | |
wenn sich das Klima ändert, das wollen die Forscher herausfinden. | |
Dass die Experimente früher oder später Ergebnisse abwerfen, die auch für | |
Politik und Wirtschaft interessant sein dürften, ist eher ein Nebenprodukt | |
der Arbeit. Denn bereits nach dem ersten Versuchsjahr zeichnet sich ab, was | |
Theorien längst prognostizieren: Ökologischer Landbau ist weniger | |
empfindlich für Klimaveränderungen als konventioneller Landbau. Je mehr der | |
Mensch eingreift, desto weniger Möglichkeiten hat das Ökosystem selbst, | |
sich an Veränderungen anzupassen. Dies ist zwar keine neue Hypothese, der | |
wissenschaftliche Beweis dafür dürfte aber in gut 15 Jahren gefestigt sein, | |
wenn sich die Ergebnisse aus dem ersten Versuchsjahr wiederholen. | |
Beunruhigende Nachrichten für Pestizidhersteller, konventionelle Landwirte | |
und all die, die von der Branche profitieren. „Eine ganz finstere | |
Geschichte ist das“, sagt Schädler und meint den Umgang mit dem Pestizid | |
Glyphosat. Es ist das erste Mal im Gespräch, dass er ansatzweise politisch | |
wird. Doch müsse man die Ergebnisse wegen der langen Laufzeit des Projekts | |
zunächst mit Vorsicht interpretieren, fügt er vorsichtshalber hinzu. Die | |
Natur folgt schließlich ihrem eigenen Rhythmus. | |
23 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Jasmin Sarwoko | |
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