| # taz.de -- Besuch bei einer Milchbäuerin: „Kühe können Arschlöcher sein�… | |
| > Die Milchquote ist weg, die Probleme sind geblieben: ein Besuch bei | |
| > Milchviehhalterin Kirsten Wosnitza im nordfriesischen Löwenstedt. | |
| Bild: Einmal abzapfen, bitte: Kühe im Melkstand | |
| Löwenstedt taz | Bei der Arbeit versteht Kitty nur Englisch. Mit gespitzten | |
| Ohren wartet sie auf den Befehl ihrer Herrin: „Walk on!“ Als die grazile | |
| Kelpie-Hündin losflitzt, stehen die Kühe, die bisher im Sonnenschein auf | |
| der Weide gelegen haben, gemächlich auf und trotten in Richtung Stall. | |
| Kirsten Wosnitza schlendert hinterher, die Hände in den Taschen der Jeans. | |
| Bloß keine Hektik: Kühe mögen es ruhig, und so groß sie sind, so freundlich | |
| sind sie auch. Obwohl: „Untereinander können Kühe ganz schöne Arschlöcher | |
| sein“, sagt Wosnitza. | |
| Die 51-Jährige stammt aus Niedersachsen, hat in Kiel Landwirtschaft | |
| studiert, war in Frankreich und Australien - woher sie die Kelpies | |
| mitgebracht hat - und ist 2004 in Löwenstedt gelandet, einem Dorf im Kreis | |
| Nordfriesland, wo sie und ihr Mann einen Bauernhof betreiben. Natürlich mit | |
| Milchkühen, „das wollte ich schon immer“, sagt Wosnitza. | |
| Neben der Arbeit auf dem Hof ist sie Landesvorsitzende für | |
| Schleswig-Holstein im [1][Bundesverband Deutscher Milchviehhalter]. Dass | |
| der sich wie eine Jugendorganisation im „Dritten Reich“ als BDM abkürzt, | |
| findet Wosnitza schauerlich - aber sie ist froh, in ihrem Verband ein | |
| Sprachrohr zu haben, das sich für die Belange der Milchbauern einsetzt. | |
| Denn die Branche rutscht mal wieder auf eine Krise zu, ist vielleicht schon | |
| wieder mittendrin: Die Milchquote ist weg, die Probleme sind geblieben. | |
| An diesem Tag erhält Kirsten Wosnitza einen letzten Gruß der Quote: Ein | |
| amtliches Schreiben teilt ihr mit, dass Deutschlands Kühe im vergangenen | |
| Jahr zu viel Milch gaben. Die Strafe für die Überproduktion, die | |
| „Superabgabe“, wird auf alle umgelegt, die ihre persönliche Quote | |
| übertroffen haben - das gilt auch für Kirsten Wosnitza und ihren Mann Gerd | |
| Albertsen. Wosnitza verzieht das Gesicht, rechnet und schüttelt den Kopf: | |
| „Ziemlich happig.“ | |
| Der Hof in Löwenstedt mit 120 erwachsenen Tieren und rund 80 weiblichen | |
| Kälbern, der nächsten Generation Milchkühe, ist für Schleswig-Holstein | |
| guter Durchschnitt. Das Landwirtspaar hat einiges modernisiert, nur der | |
| Melkstand ist etwas veraltet - dennoch, zu zweit ist die Arbeit, auch dank | |
| der Hüte-Kelpies, gut zu schaffen, die Lage wirtschaftlich solide. | |
| 30 Schafe hält Wosnitza nebenbei, „der Mensch muss ein Hobby haben“. Sie | |
| und ihr Mann haben beide studiert und sich aus voller Überzeugung dafür | |
| entschieden, einen Hof zu betreiben. Einen Teil der Ländereien und das | |
| Gebäude selbst haben sie von den Vorgängern gekauft. Das Weideland wird | |
| dazugepachtet. | |
| Aber reich werden Milchbauern nicht - obwohl sie eigentlich als | |
| Anteilseigner der Molkereien die ganze Wirtschaftskette in der Hand haben. | |
| Aber eben nur eigentlich: „Wir sind an eine bestimmte Molkerei gebunden, | |
| und wir verkaufen nicht, sondern liefern die Milch ab - was wir dafür | |
| erhalten, erfahren wir erst Wochen später.“ | |
| Denn die Preise machen Molkereien und Abnehmer, die die Molkereien | |
| gegeneinander ausspielen, untereinander aus. Und am Ende steht ein Liter | |
| Milch für Cent-Preise im Discounter. | |
| Doch auf die zu schimpfen, brächte gar nichts, meint Wosnitza pragmatisch, | |
| ebenso wenig wie Konsumenten-Bashing: „Man kann ewig warten, dass alle Welt | |
| Biomilch kauft oder auf Ökostrom umschaltet.“ Wer die Schultern zucke und | |
| die Schuld dem Markt und dem Verbraucher gebe, mache es sich zu einfach, | |
| sagt die Landwirtin: „Die Politik muss steuernd eingreifen.“ | |
| Eben das versuchte die Politik vor Jahrzehnten mit der Quote. Sie war als | |
| Instrument gegen die Milchseen und Butterberge, die ungesteuerte | |
| Überproduktion, gedacht. | |
| Jeder EU-Staat erhielt eine Höchstmenge, jeder Betrieb eine Vorgabe. Wer | |
| mehr Milch ins Systems pumpen wollte, musste mehr Quote kaufen. „Oder | |
| risikobereit sein“, sagt Wosnitza: Denn solange das Land insgesamt seine | |
| Höchstmenge unterschritt, prüfte niemand, welcher Bauer zu viel geliefert | |
| hatte. | |
| Richtig glücklich waren die Bauern mit der Quote dennoch nicht: Denn große | |
| Betriebe hätten gern mehr eingespeist, kleine kamen wegen der niedrigen | |
| Preise nur schwer über die Runden. Aber der niedrige Preis sei ein Zeichen, | |
| dass der Markt übersättigt sei, sagt Wosnitza. | |
| „In solchen Zeiten noch mehr zu produzieren, ist Unsinn. Wozu Zeit, | |
| Arbeitskraft, ökologische und tierische Ressourcen in ein Produkt stecken, | |
| das niemand will?“ | |
| Aber die Bauern allein schafften es nicht, aus der Klemme zu kommen, gibt | |
| sie zu. Der Bauernverband rufe inzwischen nach staatlicher Lagerhaltung - | |
| und „wenn der Bauernverband schon jammert, ist die Lage wirklich schlimm“. | |
| Tatsächlich wird Überproduktion in Form von Butter und Milchpulver in | |
| Kühlhäusern zwischengeparkt. Die Preise steigen dadurch nicht, schließlich | |
| wissen die Einkäufer der Großhändler genau, dass die verderbliche Ware | |
| früher oder später auf den Markt muss. | |
| Der BDM wolle weder eine neue Quote noch mehr EU-Subventionen: „Wir wollen | |
| unternehmerisch auf dem Markt handeln. Nur müssen wir die Möglichkeiten | |
| haben.“ Dafür sollten die Bauern weniger abhängig von den Molkereien sein, | |
| zum Beispiel schneller den Abnehmer wechseln dürfen. | |
| Auch dürfe nicht zu viel Milch aus dem außereuropäischen Ausland den Markt | |
| überfluten: TTIP, das transatlantische Freihandelsabkommen, macht Kirsten | |
| Wosnitza in ihrer sonnigen Küche in Löwenstedt Sorgen. | |
| Denn Milch aus Übersee ist technisch gesehen kein Problem: „Milchpulver zu | |
| verschiffen, kostet so gut wie nichts.“ Und Fertigprodukten von Schokolade | |
| bis zur Quarkspeise ist nicht anzusehen, ob die Ursprungsmilch von | |
| glücklichen Weidekühen aus dem Norden oder Großvieheinheiten aus einem | |
| Massenstall in Texas stammt. | |
| Generell müsse die Milchmenge, die auf den Markt drängt, verknappt werden - | |
| zumindest wenn sich eine Überproduktion abzeichnet. Am besten freiwillig, | |
| sagt Wosnitza, und verrät, wie es geht: „Die Kühe kriegen weniger Futter, | |
| dann geben sie weniger Milch. Und die Kälber dürfen mehr trinken.“ | |
| Das klappte im vergangenen Jahr ganz gut, als sich eine niedrige Nachfrage | |
| und damit Strafzahlungen abzeichneten: Die meisten Bauern reduzierten | |
| freiwillig die Produktion. Da habe die starre alte Quote noch einmal | |
| gegriffen: „Sie hat sich mit einem Lächeln verabschiedet.“ | |
| Und dann hat Kirsten Wosnitza es eilig: Der Lieferwagen der Molkerei aus | |
| Viöl trifft gleich ein, und vorher muss sie Milch aus dem Tank holen - für | |
| den eigenen Küchentisch und für die Lämmchen, die sie per Flasche aufzieht, | |
| weil das Muttertier gestorben ist. Diese wenigen abgeschöpften Liter aus | |
| dem großen Tank ist die einzige Milch der 120 Kühe auf dem Hof, die | |
| tatsächlich getrunken wird. Der Rest wird zu Pulver verarbeitet. | |
| Lesen Sie mehr über unseren Schwerpunkt Dorfdiskos in der taz.amWochenende | |
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| 13 Jun 2015 | |
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| ## AUTOREN | |
| Esther Geißlinger | |
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