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# taz.de -- Stadtumbau in Berlin: Die Altstadt-Aktivistin
> Seit mehr als einem Jahr ist Petra Kahlfeldt Senatsbaudirektorin. Statt
> Berlin zukunftsfähig zu machen, greift sie in die Retro-Kiste. Eine
> Bilanz.
Bild: Polarisiert: Berlins Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt
Berlin taz | Vielleicht ist Petra Kahlfeldt eine Meisterin der Hintertür.
Vor ziemlich genau einem Jahr hatte Berlins Senatsbaudirektorin [1][in
einem Zeitungsinterview] versichert, dass das Thema eines Wiederaufbaus der
Berliner Altstadt zwischen Rotem Rathaus und Marienkirche für sie erledigt
sei. „Man könnte dort sehr wohl bauen, als Rückgewinnung des historischen
Grundrisses der Stadtmitte“, so Kahlfeldt damals. Allerdings sei in einem
aufwändigen Beteiligungsprozess entschieden worden, dass diese Fläche
unbebaut bleiben solle. „Es bleibt also dabei: Hier entsteht eine
Grünfläche.“
Was geht mich mein Geschwätz von gestern an? So ließe sich ein Antrag
kommentieren, den Kahlfeldt jüngst in den Hauptausschuss des
Abgeordnetenhauses eingebracht hat. Darin forderte sie 50.000 Euro für
„vorbereitende Untersuchungen“ zur „weiteren Entwicklung der Historischen
Mitte“.
Die Begründung macht hellhörig. „In diesem zentralen innerstädtischen
Bereich ist die städtebauliche Entwicklung in weiten Teilen noch nicht
abgeschlossen, liegt aber vor allem wegen der Qualitäten und Brüche in
großem öffentlichen Interesse.“
Fast scheint es, als hätte sich damit ein Bonmot der ehemaligen
Bausenatorin Katrin Lompscher bewahrheitet. Die hatte den Streit um die
Entwicklung des Molkenmarkts mit den Worten kommentiert: „Ein
Altstadt-Aktivismus ist das Letzte, was Berlin braucht.“
Doch die Altstadt-Aktivistin gibt es bereits, und mit ihrem radikalen
Aktivismus scheint sie nicht einmal Halt vor Beschlüssen des
Abgeordnetenhauses zu machen. Das hatte 2016 nach einem mehrjährigen
Beteiligungsprozess sogenannte Bürgerleitlinien zur Historischen Mitte
verabschiedet. 2021 hatte das Landschaftsarchitekturbüro RMP Stephan Lenzen
einen Freiraumwettbewerb gewonnen, der die vorhandenen Grünflächen
aufwertet. Und noch im Oktober vergangenen Jahres hatte eine Sprecherin der
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen der taz versichert:
„Sowohl die Bürgerleitlinien als auch die Entscheidung des Wettbewerbs
gelten.“
## Interview dreimal verschoben
Ein Interview mit der taz vermeidet Petra Kahlfeldt bisher. Nach einer
ersten Zusage für Ende Oktober wurde es bislang drei Mal verschoben, das
letzte Mal auf einen Termin nach der Wiederholungswahl am 12. Februar.
Stattdessen spricht die taz nun nicht mit, sondern über Petra Kahlfeldt.
Zum Beispiel mit Julian Schwarze, dem Sprecher für Stadtentwicklung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. „Auch für uns
ist es schwer, Termine mit Frau Kahlfeldt zu finden“, sagt er. „Die
Abstimmungen mit ihr sind sehr mühsam.“ Deshalb falle auch die Bilanz ihrer
inzwischen 13 Monate dauernden Amtszeit „sehr kritisch aus“. Und das, so
schiebt Schwarze hinterher, sei noch sehr diplomatisch formuliert.
Es sind vor allem die Geschehnisse rund um den [2][Wettbewerb zum
Molkenmarkt], die Schwarze bis heute ärgern. „Am Molkenmarkt hat Kahlfeldt
gezeigt, dass es ihr darum geht, die Linien im Städtebau zu verschieben“,
sagt er. „Ihr geht es darum, von oben herab zu entscheiden, und zwar nach
ihrem Gusto.“
Tatsächlich waren die Wellen hochgeschlagen, als die Senatsbaudirektorin im
September bekannt gegeben hatte, dass die Jury des Wettbewerbs sich auf
keinen Siegerentwurf verständigt habe. Das sei auch gar nicht verabredet
gewesen, versuchte sie die Nichtentscheidung im Nachhinein zu begründen.
Tatsächlich aber hieß es in der Auslobung des Werkstattverfahrens, dass
„die Empfehlung eines der beiden Entwürfe als Grundlage einer Charta für
die Entwicklung am Molkenmarkt“ dienen soll.
## Grüne und Linke sind sauer
Entsprechend sauer waren Linke und Grüne gewesen. Es wäre „ein Skandal,
wenn Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt entgegen dem Votum der
Jurymehrheit eine eindeutige Empfehlung verhindert hat“, sagt die
Linken-Abgeordnete Katalin Gennburg. Sie forderte eine Entscheidung des
Abgeordnetenhauses über die geplante „Charta Molkenmarkt“. Das aber will
die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung verhindern. Stattdessen solle die
Charta dem Parlament lediglich zur Kenntnis vorgelegt werden. Eine von
Grünen und Linken geforderte zweite Jurysitzung lehnte Kahlfeldt ab.
Hintergrund des Streits um den Molkenmarkt waren die beiden Entwürfe, über
die die Jury zu entscheiden hatte. Der Entwurf des dänischen Teams von OS
Arkitekter aus Kopenhagen und der Czyborra Klingbeil Architekturwerkstatt
aus Berlin atmet den Geist der Zeit: viel Grün, flexibles Bauen, Erhalt von
möglichst viel Bestand. Klimagerechter Städtebau also, den der zweite
Entwurf nicht vorweisen kann. Stattdessen orientiert sich das Büro
Albers/Malcovati an der Idee einer städtebaulichen Rekonstruktion.
Zukunftsweisend oder rückwärtsgewandt – das war die Frage, vor der die Jury
stand.
Julian Schwarze sagt dazu: „Man kann nicht die Stadt des 19. Jahrhunderts
wiederhaben wollen, man muss der Stadt gerecht werden bei den Themen
Nachhaltigkeit und Klimaschutz.“ Auch die soziale Mischung treibt ihn um.
Denn am Molkenmarkt sollen von der Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) auch
Sozialwohnungen gebaut werden. „Für die WBM ist die Kleinteiligkeit, die
Kahlfeldt möchte, schwierig, weil sie den Bau verteuert.“ Damit stelle sich
also auch die Frage: „Für wen wird die Stadt entwickelt?“
## Ein neuer Architekturstreit?
Auch Theresa Keilhacker, die Präsidentin der Berliner Architektenkammer,
will nach dem Eklat am Molkenmarkt nicht einfach zur Tagesordnung
übergehen. „Ich persönlich habe so etwas noch nie erlebt“, sagt sie der
taz. Von einem „Scherbenhaufen“ spricht Keilhacker, berichtet von den
Anrufen vieler Kolleginnen und Kollegen, die sich überlegen, überhaupt noch
einmal an einem Wettbewerb in Berlin teilzunehmen.
„Scherbenhaufen“ in Stadtentwicklungsdebatten hatte es in Berlin zuletzt in
den neunziger Jahren gegeben. Hans Stimmann war damals zum
Senatsbaudirektor ernannt worden, er war der Vorvorgänger von Petra
Kahlfeldt. Der Berliner Architekturstreit über die Rückgewinnung des
Stadtgrundrisses des 19. Jahrhunderts hatte damals auch überregional
Schlagzeilen gemacht.
„So etwas braucht eigentlich heute keiner mehr“, sagt Keilhacker. „Wir
haben jetzt völlig andere Herausforderungen und wollen nach vorne.“ Wie
Schwarze nennt Keilhacker die Themen Klima, Umgang mit dem Regenwasser,
Coworking, Coliving, Digitalisierung. „Das alles steht auch am Molkenmarkt
für eine Entwicklung in Richtung Zukunft.“
Eines aber hält Keilhacker der Senatsbaudirektorin zugute. Es ist ihr
Einsatz für den Erhalt der bestehenden Bausubstanz. Selbst am Molkenmarkt
hatte sie sich dafür ausgesprochen, dass die [3][Klosterstraße 44], die
ehemalige „Verstärkerstelle West“ der Post der DDR aus dem Jahr 1968, nicht
abgerissen wird. Die Berliner Architektenkammer geht sogar noch einen
Schritt weiter und fordert ein Abrissmoratorium.
Aber auch in dieser Frage geht es Kahlfeldt nicht nur um Inhalte, sondern
auch um Aktivismus. Zuletzt ließ sie sogar die Pläne für den Neubau der
Zentral- und Landesbibliothek am Blücherplatz anhalten. Nach Informationen
der taz setzt sich Kahlfeldt für eine Unterbringung der ZLB in den Hangars
des ehemaligen Flughafens Tempelhof ein.
Nachvollziehbar findet das Theresa Keilhacker. Einerseits. Andererseits
sagt sie aber auch: „Man kann natürlich nicht alle paar Jahre die
politischen Prozesse stoppen.“
## Das Aktivisten-Netzwerk
Einen Fürsprecher findet Kahlfeldt in Tobias Nöfer. Mit dem Büro
Kahlfeldt-Architekten, das Petra Kahlfeldt nach ihrer Ernennung zur
Senatsbaudirektorin verlassen hat, hat Tobias Nöfer zum Beispiel die
[4][Beuth-Höfe am Spittelmarkt] gebaut. Kleinteilig geht es auch da nicht
zu, die meisten Gebäude haben nicht einmal Gewerbeflächen in den
Erdgeschossen, sondern Funktionsgeschosse, etwa zum Abstellen von
Fahrrädern.
Über die Beuth-Höfe war Nöfer selbst nicht ganz glücklich, verwies als
Erklärung auf den Investor, die Groth-Gruppe. Dennoch ist Tobias Nöfer, der
auch Vorsitzender des Architekten- und Ingenieurvereins ist, ein Verfechter
der kritischen Rekonstruktion. Als Hans Stimmann 1995 sein „Planwerk
Innenstadt“ vorlegte, sorgte er für die Feinplanung. Statt der DDR-Moderne
sollte nun wieder der historische Stadtgrundriss gelten. Nöfers damaliger
Chef war Bernd Albers, dessen Entwurf für den Molkenmarkt Petra Kahlfeldt
im Rennen halten wollte.
Gegen Vorwürfe, Kahlfeldt wolle am Molkenmarkt landeseigene Grundstücke
privatisieren, nimmt Nöfer die Senatsbaudirektorin in Schutz. „Die Flächen
bleiben in öffentlicher Hand“ sagte er Ende Dezember in einem [5][Interview
mit dem Tagesspiegel.] „Aber Erbbaurechtsverträge, zum Beispiel an
Stiftungen oder Genossenschaften, sind nicht ausgeschlossen, sogar
wünschenswert.“
Und dann lässt Nöfer die Katze aus dem Sack. „Warum quält man die
Wohnungsbaugesellschaften, hier für zu wenig Geld Häuser zu bauen, statt
viele Parzellen auch in Erbpacht an Genossenschaften, Baugruppen oder
gemeinnützige Stiftungen zu geben?“„Ideologie“ nennt Nöfer das, dabei i…
gerade er der Ideologe, wenn er fordert, landeseigene
Wohnungsbaugesellschaften sollten nicht in der Mitte, sondern am Stadtrand
bauen. „Wenn man für 6,50 Euro vermieten will, kann man nur ganz wenig Geld
ausgeben, und das tut man am besten auf der grünen Wiese.“
Nicht nur eine ästhetische Rückkehr zur Stadt der Vorkriegszeit steckt in
Sätzen wie diesen, sondern auch eine soziale Distinktion. „Stadtbürger“ h…
Hans Stimmann in den Neunzigern die „Urbaniten“ genannt, die er sich in
Townhouses wie an der Werderschen Kirche wünschte. Solchen gut betuchten
Bürgerinnen und Bürgern wollen Nöfer und Kahlfeldt nun offenbar auch am
Molkenmarkt den Weg frei machen.
Und zwischen Rotem Rathaus und Marienkirche? Den Antrag auf 50.000 Euro hat
der Haushaltsausschuss vorerst abgelehnt. Doch vom Tisch ist der Versuch,
auch hier in die Retro-Kiste zu greifen, nicht.
Denn neben Petra Kahlfeldt und Tobias Nöfer gibt es weitere
Altstadt-Aktivisten. Einige von ihnen haben im Sommer die [6][Stiftung
Mitte Berlin] gegründet. Ein „dichtes Stadtquartier“ anstelle des Freiraums
am Roten Rathaus ist ihr Ziel: „Anstelle des jetzigen Lochs in der Berliner
Mitte befürworten wir neue Häuser auf dem Stadtgrundriss der 1920er Jahre.“
Im Vorstand der Stiftung sitzt auch Benedikt Goebel. Mit Tobias Nöfer
wiederum gehört er zum [7][Vorstand des Architekten- und Ingenieurvereins].
Was kommt als Nächstes? An der Bauakademie hat sich Petra Kahlfeldt schon
in Stellung gebracht, berichtet der grüne Stadtentwicklungsexperte Julian
Schwarze. „Im Koalitionsvertrag steht, dass dort ein innovativer Bau im
Geiste Schinkels entstehen soll. Eine Rekonstruktion der Fassade habe man
dagegen abgelehnt.
Nun aber habe Kahlfeldt mit einer Gestaltungssatzung genau diese
Rekonstruktion in die Debatte gebracht. Das, so Schwarze, „ist ein Bruch
des Koalitionsvertrags“.
25 Jan 2023
## LINKS
[1] https://www.morgenpost.de/berlin/article234520075/Mir-geht-es-nicht-darum-a…
[2] https://molkenmarkt.berlin.de/
[3] https://basd-berlin.de/projekt/verwaltung-und-gewerbe/k44-buerohaus-kloster…
[4] /Reich-aber-nicht-sexy/!222068/
[5] https://www.tagesspiegel.de/kultur/berlins-historische-mitte-da-platzt-mir-…
[6] https://stiftung-mitte-berlin.de/
[7] https://www.aiv-berlin-brandenburg.de/der-verein/vorstand/
## AUTOREN
Uwe Rada
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