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# taz.de -- Rechtsruck und Städtebau: „Rechte stoßen in die Mitte vor“
> Braucht auch die Architektur eine Brandmauer? Der Kritiker Philipp Oswalt
> über identitäres Bauen und welche Bedeutung der Molkenmarkt in Berlin
> hat.
Bild: Konservativer Traum: der Molkenmarkt, wie ihn sich die Stiftung Mitte Ber…
taz: Herr Oswalt, viele Diskussionen hierzulande rutschen derzeit ins offen
Populistische ab. Gilt das auch für die Debatten um Architektur?
Philipp Oswalt: Das kann man schon länger beobachten. Zum einen gibt es
dieses radikale Bashing moderner Architektur. Dazu kommt noch das
unreflektierte Propagieren historischer Bauformen.
In der [1][Facebook-Gruppe Architektur-Rebellion Berlin] werden auf eine
sehr aggressive Art und Weise Architektinnen und Architekten, die modern
bauen, an den Pranger gestellt.
Dahinter steckt die generelle Behauptung, die Moderne sei gescheitert.
Deshalb dürfe nur noch traditionell gebaut werden. Das hatten wir schon
beim Weimarer Dächerstreit 1930.
Worum ging es da?
Um den Bau von Siedlungen wie [2][Onkel Toms Hütte]. Die Modernisten haben
gesagt, wir brauchen das flache Dach, nur das sei modern und funktional.
Die Konservativen haben gesagt, wir dürfen die Seele unseres Volkes nicht
verkaufen und brauchen das Satteldach. Die eine Position war ideologisch so
aufgeladen wie die andere.
Auch der Wunsch nach Schönheit spielt heute immer wieder eine Rolle. Das
scheint durchaus einen Nerv zu treffen.
Da bin ich mir nicht so sicher. Als Beispiele werden immer die [3][Neue
Altstadt in Frankfurt am Main] genannt oder der [4][Neumarkt in Dresden].
Oder auch die Bebauung um den [5][Alten Markt in Potsdam].
Gerade in Potsdam scheut man aber auch Bürgerbefragungen. Eine Abstimmung
zum [6][Wiederaufbau der Garnisonkirche] wurde von der Politik abgeblasen,
weil man wusste, dass man sie verloren hätte. Die einzige Befragung, die es
gab, war in Magdeburg zur [7][Wiedererrichtung der Ulrichskirche], und auch
das wurde deutlich abgelehnt. Auch der Wiederaufbau des Berliner Schlosses
war in Umfragen immer umstritten.
Ihr neues Buch heißt [8][„Bauen am nationalen Haus. Architektur als
Identitätspolitik“]. Eine These darin lautet: Hinter der Rückkehr zum
Schönen verbirgt sich ein erinnerungspolitischer Revisionismus. Was genau
soll da revidiert werden?
Man muss da nur die Junge Freiheit lesen. Die Argumentation, wie die
Zeitung Herrn Boddien dankt …
… dem Gründer des [9][Fördervereins Berliner Stadtschloss].
Das zeigt, dass es bei Rekonstruktionen wie dem Berliner Schloss um
Narrative und eine Identitätskonstruktion geht, die auf essenzialistischen
Ideen von Herkunft und Ursprung basieren. Aber natürlich sind das fiktive
Konstrukte.
Weil die Gesellschaft viel diverser und heterogener ist, als es diese eine
Herkunftserzählung glauben machen will.
Und weil es auch sehr auf Preußen beschränkt ist. Als Frankfurter muss ich
lachen, wenn mir das Berliner Schloss als Nationalsymbol verkauft werden
soll. Der Frankfurter Bürgermeister hat sich umgebracht, als die Stadt von
den Preußen besetzt wurde.
Die Vergangenheit wird idealisiert und alle Schattenseiten und Brüche, die
es gab, sollen unter den Teppich gekehrt werden.
Ganz genau. Und die Brüche sollen durch das Wahre, Schöne und Gute ersetzt
werden. Von den ganzen Abgründen, die sich dahinter verbergen, will man
nichts wissen.
Sowohl beim Stadtschloss als auch bei der Garnisonkirche waren auch Spender
aus rechtsextremen Netzwerken beteiligt. Warum spielt das in der Diskussion
keine größere Rolle?
Das finde ich auch erstaunlich. Gerade bei der Garnisonkirche, da wurde das
ganze Projekt von einem Rechtsextremen angeschoben.
Max Klaar, ein ehemaliger Offizier der Bundeswehr.
An dessen Grundkonzeption ist im Grunde nicht viel geändert worden. Da wird
ganz besonders deutlich, wie es am Beispiel von Architekturprojekten der
extremen Rechten gelingt, in die Mitte vorzustoßen.
In der Politik wird gerade wieder sehr intensiv über eine Brandmauer gegen
rechts diskutiert. Bräuchte die Architektur auch eine solche Brandmauer?
Gerade bei einem Staatsbau wie dem Stadtschloss sollte es strenge Regeln
geben. Aber was passiert? Der Förderverein distanziert sich noch nicht
einmal von einem [10][antisemitischen Spender] und behauptet, die Leugnung
des Holocaust sei eine Frage der Meinungsfreiheit.
Nun heißt es immer wieder, das [11][Humboldt Forum] mache aus dem
Stadtschloss allein durch seine Bespielung ein anderes Gebäude.
Tatsächlich ist die Stiftung Humboldt Forum sehr um Political Correctness
bemüht. Das Problem ist, dass das nicht funktioniert. Die Erscheinung des
Gebäudes von außen wird getrennt wahrgenommen von der Programmierung im
Inneren. In Potsdam stören die Pläne zur Bespielung im Inneren die
Identifikation der Rechtsextremen mit diesem Bauwerk überhaupt nicht. Dabei
wäre es gar nicht so schwierig, da den Stecker zu ziehen
Wie hätte der Stecker beim Stadtschloss gezogen werden können? Indem man
vielleicht Teile des Palastes der Republik integriert hätte?
Zum Beispiel. Oder bei der Garnisonkirche die [12][Rettung des
Rechenzentrums]. Und der Verzicht auf die Haube und den militärischen
Bauschmuck. Die Koexistenz von Rechenzentrum und nur zum Teil
wiederaufgebautem Kirchturm wäre eine interessante Lösung, weil sie
deutsche Geschichte sichtbar macht. Noch ist das auch nicht entschieden,
gerade gibt es eine Pattsituation. Aber natürlich gibt es bei dieser
Unvollständigkeit immer das Problem, dass sie vervollständigt werden kann.
In Berlin ist der [13][Molkenmarkt] Schauplatz eines Streits, bei dem es
nicht nur um Städtebau geht, sondern auch die damit verbundenen
Botschaften. Mit Erfolg hat [14][Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt] einen
modernen Entwurf verhindert und setzt mit aller Macht auf historisierende
Lösungen.
Der Molkenmarkt ist ein gutes Beispiel für eine immer weiter
voranschreitende Ideologisierung der Debatte. Teilweise wird das zum
Kulturkampf stilisiert. Jetzt historische Bauten eins zu eins
rekonstruieren zu wollen, geht in Richtung einer rechten Identitätspolitik.
Wie weit reicht denn dieses identitäre Element der Architektur hinein in
die Berliner Landespolitik?
Petra Kahlfeldt gehört zu dem im Architekten- und Ingenieurverein
organisierten Netzwerk, zu dem auch dessen Chef, Tobias Nöfer, gehört. Da
verbinden sich ideologische Positionen mit Politikerinnen und Politikern
aus der SPD und einzelnen Investoren. Das hat sich über Jahre entwickelt
und ist sehr einflussreich.
Zu diesem Netzwerk kommt noch die [15][Stiftung Mitte Berlin], die von
Marie-Luise Schwarz-Schilling gegründet wurde und sich als
Lobbyorganisation für die Rekonstruktion der Berliner Altstadt versteht.
Frau Schwarz-Schilling und Frau Kahlfeldt wohnen im selben Haus.
Zu diesem Klüngel gehört noch Holger Friedrich, der Besitzer der Berliner
Zeitung, für den das Büro Kahlfeldt ein Haus gebaut hat.
Ihr Geld hat Frau Schwarz-Schilling mit der Accumulatorenfabrik
Sonnenschein gemacht.
[16][Dieses Vermögen kommt zum Teil aus der Ausbeutung von Zwangsarbeitern
im NS-Regime], die zur Herstellung von Rüstungsgütern gezwungen wurde.
Darüber hinaus hat die Fabrik den größten Umweltskandal in West-Berlin
verursacht. Und aus Schummeleien ihres werten Gatten Christian
Schwarz-Schilling als skandalumwobenem Postminister in der Ära Helmut Kohl.
Auch da gibt es keinen Aufschrei.
In der Psychologie spricht man von Deckerinnerung. Die Geschichte von der
guten heilen Welt der Vergangenheit wird in den Vordergrund gerückt und
soll alle Abgründe überdecken.
Am Ende, so fürchten es Grüne und Linke, könnte der Molkenmarkt nicht nur
ein Beispiel für historisierende Architektur werden, sondern auch ein
exklusives Quartier. Benedikt Goebel, Vorstand der Stiftung Mitte Berlin
und einer der Administratoren der Facebook-Gruppe Architektur-Rebellion
Berlin, hat gesagt, der Molkenmarkt sei ein Quartier für die Schönen und
Reichen.
Es ist schon bemerkenswert, mit welcher Dreistigkeit solche Dinge
artikuliert werden.
Wird am Molkenmark ausgefochten, in welche Richtung das Bauen in Berlin
geht?
In Berlin stehen an vielen Ecken Entscheidungen an. Im Hinblick auf die
Gestaltung der Stadtmitte ist es aber die bedeutsamste Entscheidung.
Ihr Kollege Stephan Trüby hat den Begriff der [17][„rechten Räume“]
geprägt. Sie selbst sehen das etwas kritisch, weil retrospektive Elemente
schon immer zum Bauen gehört haben. Wo verläuft denn die Grenze zwischen
konservativen und rechten Räumen?
Wir sind eine plurale Gesellschaft mit unterschiedlichen Haltungen und
sollten auch in der Lage sein, mit konservativen Positionen umzugehen,
solange diese keinen liberalen und demokratischen Grundkonsens verlassen.
Ich kann durchaus verstehen, wenn man an bestimmten Stellen in der Stadt
die Rückbeziehung auf Strukturen der Stadtgeschichte nachvollziehbar machen
will. Aber halt nicht im Sinne einer orthodoxen, unreflektierten
Nachbildung des Historischen. Da gibt es eine Radikalisierung, die einen
identitären Dreh bekommt. Erstmals waren wir damit in den 1990er Jahren
unter dem Senatsbaudirektor Hans Stimmann konfrontiert.
Bei Wiederaufbauprojekten gibt es neben der konservativen Wende auch das
Thema Stadtmarketing und den Tourismus, den das alles generieren soll. Was
ist denn der entscheidende Treiber, das Ideologische oder das Ökonomische?
Das Ideologische.
28 Jan 2024
## LINKS
[1] https://www.facebook.com/architekturrebellion.berlin
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Onkel_Toms_H%C3%BCtte_(Berlin)
[3] https://www.frankfurt-tourismus.de/Media/Attraktionen/Bauwerke/Neue-Altstad…
[4] https://www.neumarkt-dresden.de/
[5] https://www.potsdam.de/de/alter-markt
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Garnisonkirche_(Potsdam)
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/St.-Ulrich-und-Levin-Kirche
[8] https://www.berenberg-verlag.de/buecher/bauen-am-nationalen-haus
[9] https://www.berenberg-verlag.de/buecher/bauen-am-nationalen-haus
[10] /Die-Geldgeber-des-Humboldt-Forum/!5811178
[11] https://www.humboldtforum.org/de/
[12] https://rz-potsdam.de/
[13] https://molkenmarkt.berlin.de/
[14] /Stadtumbau-in-Berlin/!5907755
[15] https://stiftung-mitte-berlin.de/
[16] https://berlin-plattform.de/beutegemeinschaft/
[17] https://rechteraeume.net/
## AUTOREN
Uwe Rada
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