# taz.de -- Gefahr durch Rechtsextreme: Fundament der Demokratie | |
> Das Potsdamer Treffen Rechter zeigt, was auf dem Spiel steht. Es ist die | |
> Aufgabe der Politik, menschenfeindlich gesinnten Kräften nicht | |
> hinterherzulaufen. | |
Bild: „Alle zusammen gegen den Faschismus“, Großdemonstration in Rostock a… | |
Es ist nicht lang her, da gab es im höchsten deutschen Parlament eine | |
bemerkenswerte politische Forderung. Der Unionsabgeordnete [1][Alexander | |
Hoffmann erklärte im Herbst 2023] im Bundestag, dass der deutsche Staat | |
Menschen mit einer doppelten Staatsbürgerschaft die deutsche | |
Staatsangehörigkeit im Fall bestimmter Straftaten entziehen müsse. Bayerns | |
Ministerpräsident Markus Söder sekundierte: „Wenn jemand mit einer | |
doppelten Staatsbürgerschaft unsere Verfassungsgrundsätze missachtet, dann | |
sollte er seinen deutschen Pass wieder abgeben.“ Bemerkenswert war nicht | |
nur diese Forderung. Bemerkenswert waren auch die politischen und medialen | |
Reaktionen: Es gab kaum welche. Und das ist ziemlich erstaunlich – oder | |
sollte es sein. | |
Denn hier wurde nicht anderes als eine gesetzliche Unterscheidung von | |
Deutschen und „Passdeutschen“ gefordert. Das bedeutet, dass man einem | |
eingewanderten Menschen die deutsche Staatsangehörigkeit entziehen darf, | |
wenn er etwas falsch macht. Er ist nicht „echt“ deutsch und kann es auch | |
nie werden. Egal, ob dieser Mensch in Deutschland geboren ist oder schon in | |
zweiter oder dritter Generation in diesem Land lebt – er ist deutsch auf | |
Zeit. Bis er einen Fehler macht. | |
In der AfD nimmt man solche „Vorschläge“ freudig auf – denn genau dort w… | |
man hin. Die Bundespartei forderte Ende Januar, man müsse „Hürden zum | |
Entzug der Staatsbürgerschaft senken“, um „Kriminelle, Gefährder, | |
Terroristen und Vergewaltiger“ trotz deutscher Staatsbürgerschaft | |
abzuschieben. Wer „Kriminelle“ sind, was sie verbrochen haben müssen, um | |
nicht mehr als Deutsche zu gelten – das entscheiden am Ende die, die | |
regieren. Diese Unterscheidung zwischen Deutschen und „Passdeutschen“ ist | |
der erste Schritt zu jenen Plänen, wie sie menschenfeindlich gesinnte | |
Personen auf dem inzwischen berüchtigten Treffen in Potsdam schmiedeten. | |
Dass so eine Forderung, wie sie CDU und CSU verkündet haben, kaum auffällt, | |
liegt daran, dass dieses rassistische Narrativ schon lange normal | |
erscheint: Das Narrativ, dass das „Volk“ über dem Staat steht; und zu | |
diesem „Volk“ schließlich kann nur gehören, wer ethnisch deutscher | |
Abstammung ist. So deutlich sagt das natürlich außerhalb menschenfeindlich | |
gesinnter Kreise niemand. Man fordert stattdessen Passentzug bei | |
Gesetzesverstößen; man spricht von Vornamen von Silvesterstraftätern; man | |
spricht von „gescheiterter“ Integration; man spricht von „importiertem“ | |
Antisemitismus; man spricht von „Entwertung“ der deutschen | |
Staatsangehörigkeit. Es gibt viele Wege, etwas zu sagen, ohne es zu sagen. | |
## Menschenfeindlichkeit ist Kern rechter Parteien | |
In einer US-amerikanischen Studie aus dem Jahr 2020 kamen die | |
Wissenschaftler:innen zu dem Schluss, dass Donald Trump seinen Sieg im | |
Jahr 2016 durch Normalisierung ebensolcher menschenfeindlicher Narrative | |
erlangen konnte. Rassistische Denkmuster seien in der US-amerikanischen | |
Gesellschaft in der Zeit zwischen 2012 und 2016 sogar zurückgegangen – | |
durch die Normalisierung aber sei es Trump gelungen, Menschen zu | |
mobilisieren. Nicht durch expliziten Rassismus. Sondern durch einen | |
„verallgemeinernden Ethnozentrismus“, in dem bestimmte Minderheiten als | |
„feindlich“ definiert werden. | |
Dass Menschenfeindlichkeit – Überraschung! – der Kern menschenfeindlicher | |
Parteien ist, verwundert jene nicht, die das Treiben der AfD schon seit | |
Jahren unter genau diesem Gesichtspunkt beobachten. Rassistische Aussagen | |
der AfD, antisemitische Rhetorik, abwertende Sprache gegen Menschen mit | |
Behinderung – viele mögen all das vergessen haben. Anderen hat es sich | |
eingebrannt. Während die AfD für viele Menschen in Politik und Medien nie | |
mehr als ein politischer Störfaktor war, wissen andere schon seit Jahren, | |
was die logische Konsequenz dessen ist, was die AfD seit Jahr und Tag offen | |
ankündigt. [2][Olaf Scholz hat die AfD wiederholt als | |
„Schlechte-Laune-Partei“ bezeichnet]; andere fühlen sich aber existenziell | |
bedroht. Als Correctiv [3][die Recherche über das Treffen in Potsdam] | |
veröffentlichte, dachten viele: Merkt ihr jetzt, worum es hier geht? | |
## AfD in Panik durch Proteste | |
Es geht um das Fundament einer Demokratie. Zu diesem Fundament gehört | |
Vielfalt. Vielfalt bedeutet im besten Sinne: Ich verstehe, dass meine Art | |
zu leben, zu denken, zu fühlen und zu lieben, eine von vielen ist. Dass | |
mein Leben nicht besser, aber auch nicht schlechter als das anderer | |
Menschen ist. Dass es keine Hierarchie menschlichen Lebens gibt. Vielfalt | |
lehrt, Mitgefühl für das Denken und die Perspektive jedes Menschen zu | |
haben, ganz gleich, welche politische Einstellung, welche Meinung, welche | |
Religion, welche Ethnie, welche sexuelle Identität dieser Mensch hat. | |
Vielfalt ist das Gegenteil von Spaltung und Polarisierung. Spaltung | |
hingegen ist der Treibstoff einer jeden autoritären Kraft. | |
Genau deswegen haben [4][die bundesweiten massenhaften Proteste] die AfD in | |
Panik versetzt. Hunderttausende Menschen haben gezeigt, dass sie sich nicht | |
spalten lassen (wollen). Verbundenheit ist das demokratische Gegengift zu | |
antidemokratischen Kräften. Große Teile der Gesellschaft haben das getan, | |
was Aufgabe von Politik und Medien sein sollte: Sie haben darauf aufmerksam | |
gemacht, was diesem Land blüht, wenn es diesen Weg weiter geht. Wenn | |
Politiker:innen nun die Bevölkerung loben, ist es wohlfeil. Es ist | |
zuallererst ihre Aufgabe, die Demokratie zu bewahren. Es ist ihre Aufgabe, | |
nicht menschenfeindlich gesinnten Kräften hinterherzulaufen, ihre Politik, | |
ihre Sprache und ihr Denken zu übernehmen. Es ist ihre Aufgabe, nicht von | |
„schlechter Laune“, sondern von Rassismus zu sprechen. | |
Menschenfeindlichkeit ist die Leiter, auf der autoritäre Kräfte zur Macht | |
emporsteigen. Trump, Le Pen, Orbán, sie alle gehen denselben Weg. Sie | |
wollen der Gesellschaft weismachen, dass Hass gegen Menschen normal sei. | |
Das ist er nicht. Auch nicht, wenn er in Gesetzesvorschläge verpackt wird. | |
Diese Normalisierung macht den autoritären Kräften den Aufstieg | |
federleicht. | |
31 Jan 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.csu-landesgruppe.de/themen/auswaertiges-europa-verteidigung/ale… | |
[2] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/olaf-scholz-und-die-jammerossis-… | |
[3] /Rechtes-Geheimtreffen-in-Potsdam/!5985429 | |
[4] /Demos-gegen-rechts-am-Wochenende/!5988363 | |
## AUTOREN | |
Gilda Sahebi | |
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