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# taz.de -- Reform des Einbürgerungsrechts: Rohe Diskriminierung
> Das neue Staatsbürgerschaftsrecht erleichtert die Einbürgerung, schließt
> aber nicht nur behinderte Menschen aus. Das dürfte verfassungswidrig
> sein.
Bild: Das neue Staatsbürgerschaftsrecht benachteiligt Menschen mit Behinderung
Die Ampelkoalition erleichtert [1][mit einer Gesetzesreform die
Einbürgerung]: In Zukunft ist es [2][bereits nach fünf Jahren Aufenthalt
möglich, den deutschen Pass zu bekommen]; bisher waren es acht Jahre. Und
es ist nicht mehr Voraussetzung, dass ein Mensch seine bisherige
Staatsangehörigkeit aufgibt, um die deutsche erhalten zu können. So positiv
diese Veränderungen sind, so erschreckender sind jene Änderungen, mit denen
etwas passiert, was wohl kaum eine Person mit dem Staatsbürgerschaftsrecht
in Verbindung bringt: die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen.
Das bisherige Staatsbürgerschaftsgesetz sah vor, dass Menschen, die
eingebürgert werden möchten, ihren Lebensunterhalt für sich und ihre
unterhaltsberechtigten Familienangehörigen bestreiten können und dabei
nicht auf Leistungen wie das Bürgergeld oder ähnliche Sozialleistungen
angewiesen sind. War eine Person aber auf Sozialleistungen angewiesen und
hatte „deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten“, führte dies nicht zum
Ausschluss der Einbürgerung.
„Inanspruchnahme nicht zu vertreten“ heißt übersetzt: Man ist auf
Sozialleistungen angewiesen, weil es wegen der Betreuung von Angehörigen
nicht möglich ist, voll zu arbeiten. Das betrifft Alleinerziehende, die
aufgrund der Betreuung ihrer Kinder nicht voll einer Erwerbstätigkeit
nachgehen können, den verwitweten Vater, dessen Kind aufgrund einer
ADHS-Erkrankung nicht den ganzen Tag in der Schule bleiben kann, oder
pflegende Angehörige.
Es betrifft aber auch Menschen mit Behinderungen, die nicht einer
lebensunterhaltssichernden Beschäftigung nachgehen können. Und es betrifft
voll erwerbsfähige Menschen mit Behinderungen, die trotz intensiver
Bemühungen, einen Arbeitsplatz zu finden, wegen ihrer Behinderung keine
oder nur eine Teilzeitbeschäftigung finden und deshalb als sogenannte
Aufstocker*innen Bürgergeld beziehen. Noch immer sind schwerbehinderte
Menschen von Arbeitslosigkeit länger und öfter betroffen.
## Einbürgerung als Härtefall
Mit dem neuen Gesetz der Ampel wird es fortan anders sein. [3][Die
antragstellende Person muss ihren Lebensunterhalt und den ihrer
unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Sozialleistungen]
bestreiten. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sie den Bezug „zu vertreten
hat“ oder nicht. Ausnahmen sind für jene vorgesehen, die aufgrund von
Abkommen bis 1976 in die Bundesrepublik und bis 1990 in die DDR eingereist
waren; außerdem für Vollzeiterwerbstätige, die in den vergangenen 24
Monaten mindestens 20 Monate erwerbstätig waren, und deren
Familienangehörige.
Für alle anderen bleibt einzig und allein die Einbürgerung als Härtefall.
Allerdings steht diese im Ermessen und ist auf „atypische“ Ausnahmen
beschränkt. Wie kann es sein, dass Menschen ein fundamentales Recht, wie
hier auf Dauer und in Sicherheit zu leben, genommen wird aufgrund ihrer
körperlichen und gesundheitlichen Verfasstheit?
Stigmatisieren, Ausgrenzen und Diskriminieren von Menschen, die nicht einer
vermeintlichen Norm entsprechen, gehört zu einem extrem rechten
Gedankengebäude. Zu den ersten Opfern des Nationalsozialismus gehörten mit
dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ Menschen mit
Behinderungen. Wachsam zu sein, wenn Menschen aufgrund ihrer körperlichen
oder gesundheitlichen Disposition Rechte verliehen oder wieder entzogen
bekommen, ist eine der Lehren aus der Geschichte.
## Was ist mit dem Gleichheitsgrundsatz?
Das geschriebene Recht, das uns im Nachkriegsdeutschland in grausiger
Erinnerung an den Nationalsozialismus gegeben wurde, ist eine gute
Orientierung. Einer der Grundpfeiler ist der allgemeine Gleichheitssatz in
Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes und das Verbot der Diskriminierung
aufgrund der dort aufgeführten Merkmale in Artikel 3 Absatz 3 des
Grundgesetzes. Dort heißt es sogar ausdrücklich, dass niemand wegen seiner
Behinderung benachteiligt werden darf. Mit der neuen Regelung findet eine
solche Diskriminierung mittelbar statt.
Auch in demokratietheoretischer Perspektive erscheint es äußerst
problematisch, Zugang zu Wahlen von einem Kriterium wie dem der
Lebensunterhaltssicherung abhängig zu machen und bestimmten
Bevölkerungsgruppen damit diesen zu verwehren. Der Ausschluss von Menschen
mit Behinderungen von der Einbürgerung, weil sie Sozialleistungen beziehen,
dürfte im Widerspruch zum Diskriminierungsverbot wegen einer Behinderung
der UN-Behindertenrechtskonvention stehen.
Nach dieser ist ein Mitgliedsstaat verpflichtet, nicht nur die Rechte von
Menschen mit Behinderungen zu achten, zu gewährleisten und zu schützen,
sondern auch gemäß Artikel 29 sicherzustellen, dass Menschen mit
Behinderungen gleichberechtigt mit anderen wirksam und umfassend am
politischen und öffentlichen Leben teilhaben können. Das umfasst auch das
Recht und die Möglichkeit zu wählen und gewählt zu werden – und hierfür i…
eben eine Einbürgerung erforderlich.
Die Diskriminierung wird insbesondere mit Blick darauf, dass hier dauerhaft
und längerfristig ein Ausschluss demokratischer Teilhabe stattfindet,
deutlich: bei den Ehegatten der Gastarbeiter*innen, die zu alt sind, um
noch ihren Lebensunterhalt selbst zu erwirtschaften, bei den Menschen, die
minderjährige Familienangehörige pflegen, bei Alleinerziehenden, die in
Teilzeit arbeiten, bei Eltern, die sich die Betreuung ihrer Kinder
aufteilen und beide in Teilzeit arbeiten, bei Rentner*innen, die
aufstockend Grundsicherung beziehen, und eben bei Menschen mit
Behinderungen, die Sozialleistungen erhalten.
Es bleibt zu hoffen, dass die Regelung einer verfassungsrechtlichen
Überprüfung nicht standhält und letztlich das Bundesverfassungsgericht
dieser rohen Diskriminierung von Bevölkerungsgruppen ein Ende bereiten
wird.
9 Feb 2024
## LINKS
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[2] /Gesetzesvorhaben-im-Bundestag/!5983182
[3] /Reform-des-Staatsangehoerigkeitsrechts/!5973840
## AUTOREN
Franziska Drohsel
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