# taz.de -- Freiraum in Berlins Mitte: Spandauer Schneise | |
> Den Rückbau autogerechter Hauptstraßen propagiert eine neue Ausstellung. | |
> Die Spandauer Straße kommt darin nicht vor. Was wird aus dem neuen | |
> Freiraum? | |
Bild: Spandauer Schneise heute: Vier Spuren und zwei Standstreifen | |
Berlin taz | „Die Hauptstraße der Zukunft wird die heutige Raumaufteilung | |
umkehren“, ist Friedemann Kunst überzeugt. „Zwei Drittel des Raums werden | |
für Bahn und Bus, Rad- und Fußverkehr zur Verfügung stehen.“ | |
Friedemann Kunst ist Vorsitzender der Landesgruppe Berlin der Deutschen | |
Akademie für Städtebau und Landesplanung und einer der Zitatgeber für die | |
große [1][Freiluftschau über Berlins Straßen], die seit Donnerstag auf dem | |
Mittelstreifen des Boulevards Unter den Linden zu sehen ist. | |
Nicht nur um die Geschichte der Straßen geht es darin, sondern auch um | |
Ideen für den Rückbau großer Verkehrsschneisen wie der Mollstraße oder der | |
Holzmarktstraße in Mitte. Warum aber hat der [2][Architekten- und | |
Ingenieurverein (AIV)], der die Ausstellung verantwortet, nicht die | |
Spandauer Straße mit aufgenommen? | |
„Die Spandauer Straße ist der Lackmustest für den Rückbau der Hauptstraßen | |
in Berlin“, sagt Ephraim Gothe, SPD-Mitglied und Baustadtrat in Mitte. Der | |
Bezirk kann sich die Schneise, die das Rathausforum mit dem Roten Rathaus | |
und dem Fernsehturm vom Marx-Engels-Forum trennt, gern auch ohne Autos | |
vorstellen. Doch verantwortlich für den Rückbau ist nicht der Bezirk, | |
sondern Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU). | |
## Beginn erster Umbaumaßnahmen | |
Inzwischen drängt die Zeit. Noch in diesem Jahr beginnen die vorbereitenden | |
Maßnahmen für den Umbau des Marx-Engels-Forums. „Jetzt geht es los“, freut | |
sich der Landschaftsarchitekt Stephan Lenzen. „Wir starten mit dem | |
Spreeufer bis zur Spandauer Straße.“ Lenzens Büro RMPSL hatte 2021 den | |
[3][Freiraumwettbewerb für die Umgestaltung des mehr als 7 Hektar großen | |
Areals zwischen Fernsehturm und Spree gewonnen]. 33,9 Millionen Euro soll | |
die Gestaltung des neuen grünen Freiraums in der Berliner Mitte kosten. | |
Die Besonderheit von Lenzens Entwurf ist nicht nur eine Öffnung des | |
Marx-Engels-Forums hinunter zur Spree. Der Landschaftsarchitekt möchte auch | |
die beiden Teilräume des Wettbewerbsgebiets zusammenführen. Doch noch | |
durchschneidet die vierspurige Spandauer Straße samt ihren | |
überdimensionierten Standstreifen den neuen Freiraum im Herzen Berlins. | |
Ob und in welchem Maße sie zurückgebaut wird, war nicht Gegenstand des | |
Freiraumwettbewerbs. „Die Spandauer Straße ist nicht unser Planungsbereich, | |
der endet rechts und links der Straße“, sagt Lenzen, der sich selbst ebenso | |
wie der Bezirk Mitte wünschen würde, dass der Verkehr aus der Straße | |
herausgenommen wird. „Das wäre dann ein noch stärkeres Zusammengehen beider | |
Teilräume.“ | |
Vom Vorgängersenat war in der Auslobung für den Wettbewerb der Autoverkehr | |
je Richtung auf eine Spur reduziert worden. Auch eine Straßenbahn soll über | |
die Spandauer Straße führen. „Die Reduzierung auf eine Fahrbahn mit | |
Straßenbahn und grünen Gleisbetten würde eine Anbindung auch möglich | |
machen“, sagt Stephan Lenzen. „Auch mit der bewussten und starken | |
Markierung der Übergänge wäre es eine wesentliche Verbesserung zu heute.“ | |
Am Ende sei dieses Thema aber eine politische Entscheidung. | |
## „Masterplan“ für die Mitte | |
Und die politische Seite verantwortet mit Ute Bonde nun eine CDU-Frau, die | |
bereits deutlich gemacht hat, dass sie die Anti-Fahrrad- und | |
Pro-Autopolitik ihrer zurückgetretenen Vorgängerin Manja Schreiner | |
fortsetzen möchte. Die Reduzierung des Autoverkehrs auf eine Spur, teilt | |
Bondes Sprecherin Petra Nelken auf Nachfrage mit, sei nur im „Ideenteil“ | |
der Auslobung erfolgt. Nun aber gehe es um den „Realisierungsteil“. Und da | |
stehe eine „Überprüfung und Konkretisierung aus verkehrsplanerischer Sicht�… | |
noch aus. Entscheidend sei der „Masterplan“ für die Berliner Mitte, den | |
ihre Verwaltung gerade erarbeite. | |
Damit will sich Theresa Keilhacker nicht abfinden. Sie verweist auf das | |
Ergebnis des Bürgerbeteiligungsverfahrens „Alte Mitte – neue Liebe“ von | |
2015 und die zehn Bürgerleitlinien, die daraus hervorgegangen waren. „In | |
der Bürgerleitlinie 7 steht, dass die Berliner Mitte verkehrsberuhigt und | |
leiser wird“, sagt die Präsidentin der Berliner Architektenkammer. | |
Für Keilhacker ist klar, dass vor allem die Spandauer Straße zurückgebaut | |
werden muss. Sie sei neben der Karl-Liebknecht-Straße hauptverantwortlich | |
für die Lärm- und Feinstaubemissionen in diesem Gebiet. „Zusätzlich wird | |
durch Längsparkstreifen und parkende Reisebusse die Sichtachse zwischen | |
Alexanderplatz und Humboldtforum empfindlich gestört.“ | |
An die Politik richtet Keilhacker deshalb den Appell: „Lasst uns den | |
Autoverkehr dort stark reduzieren, insbesondere die vierspurige Spandauer | |
Straße rückbauen und entsiegeln, die dort geplanten Straßenbahnschienen | |
begrünen und die Mitte Berlins zwischen Fernsehturm und Spree als einen | |
grün geprägten Freiraum mit Aufenthaltsqualität begreifen!“ | |
Mittes Baustadtrat Gothe hofft, dass sich die Vernunft am Ende durchsetzt | |
und es zur „Umkehr bei der Raumaufteilung“ kommt, die in der Ausstellung | |
über Berlins Straßen gefordert wird: „Je enger beide Platzseiten aneinander | |
rücken, desto besser ist es.“ Aber auch der Bezirk Mitte, sagt er, habe vom | |
Senat noch keine endgültige Planung gesehen. | |
9 Sep 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://immermodern.de/ | |
[2] https://www.aiv-berlin-brandenburg.de/ | |
[3] https://www.berlin.de/sen/bauen/wettbewerbe/2021/freiraumgestaltung-rathaus… | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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