# taz.de -- Festival in der Elfenbeinküste: Klapperschlangen und Tränengas | |
> Beim größten afrikanischen Musikfestival ringt der Kontinent um seine | |
> Zukunft. Präsentiert wird zeitgemäße Popmusik. | |
Bild: Die Rapper von Kif No Beat beim Festival FEMUA in Abidjan | |
ABIDJAN taz | Das Crescendo der Hupen, das ausladende Gestikulieren der | |
Fahrer in Taxis, Minibussen und Lastwagen: Stillstand? Niemals, es ist | |
Druck auf dem Kessel, und es ist 35 Grad heiß – bei hoher Luftfeuchtigkeit. | |
Schon am Straßenverkehr in Abidjan, mit rund 4,5 Millionen Einwohnern | |
größte Stadt von Côte d’Ivoire, Drehkreuz des frankophonen Westafrikas und | |
eine der Metropolen auf dem Kontinent, ist ein Zustand bemerkbar, den der | |
Philosoph Achille Mbembe in seinem gleichnamigen Essay als | |
„Afropolitanismus“ beschrieben hat. Ein eigener, geschäftstüchtiger | |
Lebensstil, eine kosmopolitische Ästhetik, „ein In-der-Welt-Sein, das aus | |
Prinzip jegliche Form der Opferidentität ablehnt“. Auf den irren Verkehr | |
bezogen, lässt es sich robust auslegen: Ich will vorwärtskommen. | |
Aller Reisevorbereitungen zum Trotz, [1][Abidjan und das Musikfestival | |
FEMUA] aus der Nähe zu erleben, dafür reicht keine Lektüre in der | |
Komfortzone aus. Zu einfach wird es einem eh nicht gemacht, das Interesse | |
an Côte d’Ivoire in Deutschland ist schwach. | |
FEMUA steht für „Festival Des Musiques Urbaines d’Anoumabo“. Anoumabo he… | |
ein Viertel außerhalb der Innenstadt Plateau und abseits des Viertels | |
Cocody, in dem sich Botschaften, noble Hotels und die Universität befinden. | |
Anoumabo liegt auf einer der Inseln in der Lagune Ebrie, die Abidjan | |
umgibt. Hier leben geschätzt 200.000 Menschen in Wellblechhütten und | |
Rohbauten. Nebenstraßen sind Feldwege, es gibt keine Kanalisation, aber es | |
gibt Salif Traore, den alle A’Salvo nennen, Teil der Band Magic System und | |
Organisator von FEMUA. Es findet 2017 zum zehnten Mal statt. | |
A’Salvo ist in Anoumabo geboren, mit dem Festival hat er eine | |
Bildungsoffensive gestartet, um seinem Viertel zu Aufmerksamkeit zu | |
verhelfen. Ein Mann mit Verbindungen, der ohne Hilfsorganisationen etwas | |
vollbracht hat, was vor ihm noch keiner in Anoumabo geschafft hat. „Ich | |
unterstütze die Kinder“, sagt er der taz, „ich will, dass sie durch Musik | |
ein besseres Leben haben.“ Bis jetzt wurden mit seiner Hilfe neun Schulen | |
im Viertel errichtet, 20 sollen es werden. Durch das Festival wird Geld ins | |
Viertel gespült. | |
## Florierender Arbeitsmarkt statt sinkenden Renten | |
Der Eintritt ist frei, Sponsoren und Medienpartner leisten logistische | |
Unterstützung, wie das französische Kulturinstitut Institut Français, in | |
dem ausgewählte Künstler für ein gesetzteres Publikum Zusatzkonzerte geben, | |
und der französische Radiosender RFI, der FEMUA-Sondersendungen ins | |
Programm genommen hat. Zudem werden die Konzerte im ivorischen TV | |
übertragen, Millionen Zuschauer sind live dabei. Aus Burkina Faso, Kamerun, | |
den USA und Europa sind Journalisten angereist. Man lernt Biografien | |
kennen, die dem entsprechen, was Achille Mbembe in „Afropolitanismus“ | |
gefordert hat: dass Afrika auch über die Verbindung mit der Diaspora, die | |
im Ausland lebt, die kulturelle Kreativität neu belebt. | |
FEMUA ist ein staatstragendes Event, sieben Minister sprechen anlässlich | |
der „Ceremonie D’Ouverture“, Entwicklungsministerin Ann-Désirée Ouloto | |
zitiert Oscar Wilde und seine Liebe zur Musik, aber mahnt auch, dass die | |
Ergebnisse der Klimakonferenz von Paris endlich auf dem Kontinent zur | |
Kenntnis genommen werden. „L’Afrique, face au défi du réchauffement | |
climatique“ ist das Motto dieser FEMUA-Ausgabe. Angesichts von Kloaken, | |
Smog und nachhaltiger Energiewirtschaft: Abidjan und Côte d’Ivoire müssen | |
sich dem dringend stellen. | |
Es würde den Kindern von Anoumabo helfen. Zu Hunderten sind sie gekommen. | |
Nachmittags, vor Konzertbeginn, nehmen sie den Parcours mit Hüpfburgen und | |
Do-it-Youself Workstationen in Beschlag. Stoffreste und Plastikflaschen | |
werden zu Skulpturen umgemodelt. An einem Infostand wird auf die Kampagne | |
gegen häusliche Gewalt hingewiesen. Das Begleitprogramm wirkt glaubwürdiger | |
als bei vergleichbaren Festivals in Europa. Auch weil für junge Erwachsene | |
zeitgleich eine Jobmesse stattfindet. In einem Land, in dem fast die Hälfte | |
der Bevölkerung unter 20 Jahre ist und nur 4 Prozent älter als 64, ist die | |
Angst vor sinkenden Renten kein Thema, ein florierender Arbeitsmarkt | |
dagegen ein Dauerbrenner. | |
Bei der Jugend in Côte d’Ivoire sind Zouglou und Coupe Décalé-Künstler | |
angesagt, ihre Uptempo-Dance-Songs laufen in den Autoradios, poppen auf | |
Bildschirmen auf, lärmen aus Smartphones. Nachmittags absolvieren einige | |
Künstler kurze Playback-Auftritte, Kinder und Jugendliche hüpfen und singen | |
mit. Zouglou entstand als Protestmusik von Studenten, die trotz Abschluss | |
keine Jobs fanden. Beim Zouglou-Duo TNT steckt die deklamatorische Energie | |
in jeder Bewegung, ihr Jump-up-Style hat im karibischen Reggaeton einen | |
entfernten Verwandten, die Beats sind uptempo, dazu wird die Gitarre als | |
Leadinstrument eingesetzt, der Gesang ist ein Mix aus Französisch, Englisch | |
und einheimischen Dialekten. Bald bekommen athletische TänzerInnen den | |
Vortritt. Sie performen Lékiké, eine Art Capoeira mit Breakdance-Elementen | |
in Überschallgeschwindigkeit. Gefeiert wird auch der Coupe Décalé Künstler | |
DJ Kerozen: „I’m a Rockstar“, singt er, ein Kora-Sample scheppert dazu aus | |
den Boxen. | |
## Die Zukunft ist so schnell, dass für Gesichte kein Platz ist | |
Dass das Museum für Zivilisation und seine Sammlung von Musikinstrumenten | |
wegen Renovierung bis auf Weiteres geschlossen ist, ist sinnbildlich. Die | |
Zukunft drängt so sehr, dass für Geschichte momentan kein Platz bleibt. | |
Schon in den Siebzigern war Abidjan Zentrum der Musikindustrie, Künstler | |
aus Mali kamen hierher, um in den Aufnahmestudios Alben einzuspielen. Auch | |
Salif Keita, „le Rossignol“, die Nachtigall, zog damals aus Bamako in die | |
Lagunenstadt, als er es sich mit den Machthabern in der Heimat verscherzt | |
hatte. Der heute in Paris lebende Albino ist einer der Stars des FEMUA. | |
Spät nachts tigert er auf die Bühne, und sofort haben Keita – eine Mischung | |
aus Buddha und Ampelmännchen – und seine sechsköpfige Band die rund 40.000 | |
Zuschauer für sich eingenommen. | |
Das liegt zum einen an seiner knabenhaften Stimme, Gesangsharmonien klingen | |
durch sie wie Girlanden, die sich im Wind drehen. Zum anderen performt | |
seine Band routiniert von Kora bis Rhythmussektion. Unten vor der Bühne | |
schlägt die Stimmung mitunter in Gewalt um, weil immer mehr Zuschauer von | |
hinten drängen und die an den Absperrgittern vorne Stehenden quetschen. | |
Polizisten setzen Schlagstöcke und Tränengas ein, was nicht für Entspannung | |
sorgt. Keita singt regungslos weiter. An diesem Abend spielt er vor allem | |
Hits. Auf seinem Hemd sind die Umrisse des afrikanischen Kontinents | |
gestickt, trotzdem wirkt Keitas Panafrikanismus ein wenig aus der Zeit | |
gefallen, nativistisch nationalistische Ideologien haben ihn längst | |
abgelöst, auch im Westen Afrikas. | |
Nach den Unruhen, die ausbrachen, als Expräsident Ggabo 2011 festgenommen | |
und außer Landes gebracht wurde, gilt Côte d’Ivoire heute als stabil. Es | |
sei Nachkriegszeit heißt es, in der sich die Menschen einfach vergnügen | |
wollen. Viel Militär und Polizei ist auf den Straßen unterwegs, vor allen | |
Hotels sind Poller platziert, Gäste müssen Sicherheitschecks passieren. Im | |
März 2016 gab es im Badeort Grande Bassam einen islamistischen | |
Terroranschlag, bei dem Henrike Grohs, die Leiterin des Goethe-Instituts | |
Abidjan getötet wurde. Ihr zu Ehren wird es an ihrem Geburtstag im Juni in | |
Abidjan eine Gedenkveranstaltung geben. | |
Auch beim FEMUA-Festival gibt es starke Sicherheitsvorkehrungen, trotzdem | |
wird es am Ende haarig. Am letzten Abend ist HipHop aufgeboten in Gestalt | |
des neuen Pariser Rapstars Black M und der Lokalmatadoren Kif No Beat. Das | |
achtköpfige Kollektiv besticht durch die Bühnenshow, die Rapper wechseln | |
sich in Rollenspielen ab und tanzen geschmeidig zu amtlichen Trapbeats, die | |
wie Klapperschlangen rasseln. Irgendwann setzt das Testosteron unten vor | |
der Bühne wieder Gewalt frei. | |
Wieder Schlagstöcke und Tränengas, diesmal gibt es gibt Verletzte. Das | |
Konzert wird unterbrochen. A’Salvo kommt auf die Bühne, appelliert an die | |
Leute. Dann verständigt er den Innenminister, der gegen 1 Uhr nachts mit | |
Polizeiverstärkung anrückt. Seine Anwesenheit auf der Ehrentribüne beruhigt | |
die Zuschauer. A’Salvo ist selbstkritisch, nächstes Jahr will er mehr | |
Künstlerinnen aufbieten. FEMUA braucht zudem mehr Platz. Dann bleibt es | |
hoffentlich friedlich, und vielleicht wagen sich irgendwann auch | |
europäische Festivalfans nach Abidjan. | |
Die Recherche wurde durch FEMUA unterstützt. | |
5 May 2017 | |
## LINKS | |
[1] http://www.femua.com/ | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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