| # taz.de -- Nachruf auf Afrobeat-Legende Tony Allen: Coole Energie | |
| > Tony Allen ist am Donnerstag im Alter von 79 Jahren in Paris gestorben. | |
| > Der nigerianische Schlagzeuger war der Begründer des Afrobeat. | |
| Bild: Tony Allen bei der Arbeit | |
| Was als Erstes bei Tony Allens Drumsound auffällt: seine gegenläufig zum | |
| Groove liegende improvisatorische Betonung der HiHat-Becken. Er bedient | |
| sich dabei der Dramaturgie von Funk-Songs und der harmonischen Prinzipien | |
| des modalen Jazz und überführt diese ins 21. Jahrhundert. Der | |
| US-Musikethnologe Michael E. Veal nennt Allens [1][Rhythmus-Figuren | |
| „]Biegungen“. | |
| Tony Allen hat auch ein kurvenreiches, abenteuerliches Künstlerleben hinter | |
| sich, und dass er es über Jahrzehnte überlebte, grenzt an ein Wunder. Denn | |
| etwas Diabolisches steckte sicher in der Figur Fela Anikulapo Kuti, | |
| genialer Komponist und Allens Nemesis. Kuti, 1997 an Aids gestorben, war | |
| der Bandleader von Africa ’70, einem Ensemble, in dem Tony Allen über 15 | |
| Jahre getrommelt hat. Beflügelt von den positiven Vibrationen der Black | |
| Power war Fela Kuti ursprünglich angetreten, gegen Korruption in Nigeria zu | |
| kämpfen, wurde aber selbst von Erfolg, Geld und Drogen korrumpiert, | |
| verdaddelte alles, was er besaß. | |
| Die Atmosphäre in der nigerianischen Metropole Lagos, Tony Allens Heimat, | |
| spielt eine wichtige Rolle: ihre brodelnde und kosmopolitische Musikszene, | |
| die von der Aufbruchstimmung der Unabhängigkeit Nigerias, 1960, | |
| angetriggert wurde, aber auch vom Austausch mit anderen Metropolen wie | |
| Accra in Ghana lebte. Lagos setzte damals zu künstlerischen Höhenflügen an. | |
| Aber durch Staatsstreiche, Militärdiktaturen und korrupte Eliten in den | |
| späten Sechzigern und frühen Siebzigern wurde die Stadt, so, wie das ganze | |
| Land, gelähmt. Auch die Musikszene zerfiel unter Konkurrenzdruck, parallel | |
| zum allmählichen Niedergang der nigerianischen Musikindustrie. Und weiter | |
| bis hin zur Globalisierung und ihrem verniedlichenden Begriff „World | |
| Music“. | |
| ## Schleichende Trennung von Fela Kuti | |
| Tony Allens Trennung von Afrika 70 verläuft schleichend. Für sein Solodebüt | |
| „Jealousy“, das 1976 entstand, ist Fela noch als ausführender Produzent und | |
| Solist verzeichnet. Der Albumtitel spielt auf Allens Sonderstellung bei | |
| Afrika 70 an, wo er als einziger Musiker neben Fela komponieren darf, nicht | |
| nur zum Gefallen des Chefs. | |
| Allens Nachfolgealbum [2][„No Accomodation for Lagos“] (1978) nennt ihn | |
| selbst bereits als Produzenten und Arrangeur. Die Musik entsteht unter dem | |
| Eindruck einer brutalen Umsiedlungsaktion. Wohnviertel von Lagos waren auf | |
| Land gebaut, unter dem Öl vermutet wurde, die Bewohner hatte man deswegen | |
| zu Obdachlosen gemacht, die nun unter einer Stadtautobahnbrücke campieren | |
| mussten. „Wer Menschen umsiedelt, muss ihnen zumindest Ersatzwohnraum zur | |
| Verfügung stellen. Weil das nicht geschah, haben wir protestiert.“ | |
| Der Titelgebende Song, eine 17-minütige Tour de Force durch | |
| Groove-Parallelwelten und fiebrigen Call-and-Response-Spielen gehört sicher | |
| zu den längsten Protestsongs, die je aufgenommen wurden. Auf alle Fälle ist | |
| er der Treibenste. Aus „No Accomodation for Lagos“ spricht die nackte | |
| Angst, düster und blechern klingt der nigerianische Funk. | |
| ## Mit Power füttern | |
| Die Musik hat alle Signaturen von Tony Allens Schlagzeugstil. Er spielt | |
| elliptisch, taucht unter den Riffs des Fender-Rhodes-Pianos hindurch, | |
| betont ab und an Saxofonmelodien und Gesangslinien, ungerade Doppelschläge | |
| auf Bass- und Snaredrum setzend, immer wieder über alle Trommeln wirbelnd | |
| und so eine Energie erzeugend, die leise vor sich hin brodelt, aber über | |
| Minuten die Spannung am Kochen hält. Als würden vier Tony Allen | |
| gleichzeitig spielen und nicht nur einer. „Cool Energy“ nennt der | |
| Schlagzeuger diese Methode. „Man kann Energie nicht sehen, aber wenn man | |
| mir beim Spielen zusieht, kann man bemerken, wie ich mein Schlagzeug nach | |
| und nach mit Energie füttere.“ | |
| Bevor diese Spielweise zum Markenzeichen wird, ist sie Überlebensstrategie, | |
| um die mehrstündigen Konzerte mit Fela durchzustehen. „Ich verändere meine | |
| Patterns während des Spiels. Trommeln heißt für mich fusionieren. Ob | |
| Marschmusik oder Jazz, alles fließt bei mir direkt in die Musik ein. Ich | |
| wurde schließlich in die Tradition der großen alten Trommeln der Yoruba | |
| hineingeboren. Wenn ich heute etwas mit dem Schlagzeug ausdrücken will, | |
| dann muss ich mich nur an die rhythmische Vielfalt erinnern, mit der ich | |
| aufgewachsen bin. Ich spiele nie zweimal das gleiche Pattern, weil es so | |
| viele unterschiedliche Möglichkeiten gibt.“ Als Vorbilder nennt Allen | |
| afroamerikanische Jazzdrummer: Max Roach, Art Blakey, Elvin Jones. Musiker, | |
| die genau wie Tony Allen in der Lage waren, eigene Combos zu leiten. | |
| In den frühen Sechzigerjahren beginnt Tony Allen in den Clubs von Lagos in | |
| Bands zu spielen. „In Nigeria galt der Beruf des Musikers damals als | |
| schäbig. Mein Vater mochte zwar Musik, aber er wollte nicht, dass ich eine | |
| Karriere aus meiner Leidenschaft mache. Mit Musik habe ich gegen mein | |
| Elternhaus rebelliert. Aber ich war im Zugzwang. Ich hatte etwas zu | |
| beweisen und brauchte Geduld.“ | |
| ## Einstieg über den Umweg Radio | |
| Der Einstieg in die Musik gelingt Allen über den Umweg Radio. Vier Jahre | |
| arbeitet er beim staatlichen Rundfunk als Techniker, dort trifft er 1963 | |
| auch auf Fela, der eine Jazzsendung als DJ gestaltet. Der Traum von der | |
| Jazzband erfüllt sich nicht sofort, stattdessen spielt Allen in Coverbands | |
| und klappert mit Fela die Nachtclubs in Lagos ab, bis sie 1965 unter dem | |
| Namen Koola Lobitos eigene Musik komponieren. Afrobeat aber wird ihre Musik | |
| erst nach einer US-Tour 1969. Dort triggerten die Ideen von Blackpower und | |
| Funk etwas an, was jenseits von nigerianischer Popmusik steht. | |
| Seltsamerweise rücken dann auch die Jazzeinflüsse in den Hintergrund. Statt | |
| des Solos steht auch heute noch bei Allen der Bandklang im Vordergrund, der | |
| Sound des Kollektivs gilt mehr als der Beitrag des Einzelnen. | |
| Entgültig den Rücken kehrt Tony Allen Nigeria 1983. Er geht nach Paris. | |
| Auch die französischen Einwanderungshehörden spielen eine Rolle in Allens | |
| Leben. Sie trieben Tony Allen zwischen 1988 und 1998 mit befristeten | |
| Aufenthaltsgenehmigungen an den Rand der Verzweiflung, bis er dank der | |
| Heirat mit seiner Frau Sylvie endlich die französische Staatsangehörigkeit | |
| und eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung erhalten hat. | |
| Wichtig für seine späte Karriere als Afrobeat-Legende werden mehrere | |
| Ereignisse. Zum Einen werden seine Pionierleistungen auf dem Dancefloor | |
| wiederentdeckt. House-DJs wie der Detroiter [3][Theo Parrish] betten Tony | |
| Allens Songs Ende der Neunziger in ihre Sets ein, neue, junge HörerInnen | |
| entdecken den Afrobeat. In London werden Tony Allens Alben aus den 1970ern | |
| in den Nullerjahren vom Label Strut wiederveröffentlicht. Britpopstar | |
| [4][Damon Albarn] verneigt sich in dem Song „Tony Allen's got me Dancing“ | |
| vor dem Schlagzeuger und lädt ihn zu seinem Projekt The Good, the Bad&the | |
| Queen ein. Endlich erfährt er die künstlerische Anerkennung, die ihm | |
| gebührt. | |
| Am Donnerstag ist Tony Allen in Paris an einem Aneurysma gestorben. Er | |
| wurde 79 Jahre alt. Sein Afrobeat lebt weiter. | |
| 1 May 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.youtube.com/watch?v=Sw6VVXh7HsA | |
| [2] https://www.youtube.com/watch?v=btsgr5MuSyg | |
| [3] https://www.youtube.com/watch?v=yzZQ85hCYsM | |
| [4] https://www.youtube.com/watch?v=8-hMkHkoFrU | |
| ## AUTOREN | |
| Julian Weber | |
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