# taz.de -- Einziger Plattenladen von Benin: Die Herzkammer von Porto Novo | |
> Das „LP House“ in Porto Novo ist der einzige Plattenladen Benins und ein | |
> Eldorado für Digger in ganz Westafrika. Ein Besuch. | |
Bild: Selbst Sammler und Experte für Vinyl: Joseph Ousmane Togbe genannt Jo im… | |
Es ist eine Mischung aus Wohnzimmer, Plattenladen und Treffpunkt für | |
Künstlerinnen und Künstler. Vor dem Fenster steht ein mit bunten Stoffen | |
bezogenes Sofa, im hinteren Teil der große Esstisch der Familie. Vor den | |
blau gestrichenen Wänden sind lange Holzregale mit Hunderten von | |
Schallplatten aufgestellt. | |
Einige Cover von seltenen Exemplaren sind vergilbt, die Ecken verknickt. | |
Andere sind besser erhalten. Wie viele Exemplare auf Vinyl hier genau | |
lagern, kann Joseph Ousmane Togbe nicht sagen, denn auch in den übrigen | |
Zimmern stehen überall Schallpatten. Im „LP House“ mitten in Porto Novo, | |
der Hauptstadt von Benin, hat sich der Musiker, Mastermind einer | |
fünfköpfigen Band sowie leidenschaftlicher Plattensammler seinen Traum | |
verwirklicht. Er betreibt den einzigen Plattenladen im Land. Ein | |
Plattenladen für 13 Millionen Menschen! | |
Ein Leben ohne Musik kann sich Jo, wie er von allen genannt wird, nicht | |
vorstellen. Aufgewachsen ist er in Abomey-Calavi nördlich der | |
Hafenmetropole Cotonou. Im Dezember verkleiden sich Mädchen und Jungen, | |
tragen Masken, ziehen durch die Straßen und bitten um Geld. Vor allem aber | |
singen, trommeln und tanzen sie dabei. | |
## Von der Kaléta zur Musik | |
Die Tradition des Kaléta ist im Süden Benins weit verbreitet. „Damit bin | |
ich groß geworden und habe jedes Jahr mitgemacht. Schnell war klar, dass | |
ich selbst Musik machen und meine eigene Band gründen möchte.“ | |
Daran hat sich bis heute nicht verändert: „Musik oder nichts. Mein Leben | |
dreht sich nur darum.“ Mittlerweile hat er zwei Bands, seine vier Söhne | |
spielen ebenfalls Instrumente, und Jo arbeitet auch als Diskjockey für | |
Familienfeiern. Allerdings legt er nur mit Schallplatten auf. MP-3s aus dem | |
Laptop und die inzwischen in Benin ebenfalls selten gewordenen CDs kommen | |
ihm nicht ins Haus. | |
Ganz oben auf dem Regal steht deshalb sein geliebter Plattenspieler, das | |
Herzstück des Hauses. „Ich bin ein Nostalgiker“, sagt er und lacht. Dann | |
lenkt Jo jedoch ein: „Ich mache eine Ausnahme, wenn ich das neue Album | |
eines Künstlers bekomme oder jemanden, den ich unterstützen möchte, eins | |
verkauft.“ | |
## Die Ausnahme der Regel | |
Dass Musiker*innen auf dem Kontinent noch Langspielplatten herausgeben, | |
ist die absolute Ausnahme. Auch wenn Musik auch in Benin üblicherweise | |
längst per Smartphone gespielt wird, versuchen Händler*innen bis heute | |
an den Straßenrändern selbst gebrannte CDs zu verkaufen. | |
Wann seine Leidenschaft für Schallplatten genau begonnen hat, kann er nicht | |
sagen. Irgendwann fing Jo an, seltene Exemplare in den Händen zu halten. | |
Sie faszinierten ihn und er fing an, sie zu sammeln. Dazu gehörten LPs von | |
Bands, die [1][die für Westafrika typische Polyrhythmik], eine Überlagerung | |
mehrerer Rhythmen in einem mehrstimmigen Stück, nutzen. | |
In Mali gründete beispielsweise der Gitarrist Zani Diabaté 1969 die Super | |
Djata Band. Jo fand auch eine Platte von Black Santiago, einer beninischen | |
Gruppe, die sich 1966 in Ghanas Hauptstadt Accra zusammentat. Über die | |
Kultband ist für den französischen Bezahlsender Canal+ gerade eine | |
Doku-Serie in Cotonou gedreht worden, die ab kommenden Jahr zu sehen sein | |
soll. Und natürlich stieß Jo immer wieder auf Alben des nigerianischen | |
Superstars Fela Kuti, den er so sehr verehrt, dass er sogar einen seiner | |
Söhne nach ihm benannte. | |
## Faszinosum Highlife-Jazz und Afrobeat | |
Der 1997 verstorbene Künstler aus Lagos entwickelte in den frühen 1960er | |
Jahren zunächst mit [2][dem Drummer Tony Allen] Highlife-Jazz, eine | |
Mischung aus US-Jazzelementen und westafrikanischer Tanzmusik. Highlife | |
stammt ursprünglich aus Ghana. Einige Jahre später entstand Afrobeat, | |
[3][ein Amalgam aus Jazz, Funk und Highlife]. Fela Kuti gilt als seine | |
Galionsfigur. | |
Bis heute beliebt ist die Musikrichtung allerdings auch, weil sie deutliche | |
politische Botschaften transportiert: Kuti sang in Pidgin-English, eine auf | |
den Straßen Nigerias sowie in anderen Teilen Westafrikas genutzte | |
Verkehrssprache aus Englisch und afrikanischen Sprachen wie Yoruba. Auch | |
verurteilte er Kolonialismus sowie das nigerianische Militärregime scharf. | |
Er gründete seine eigene Partei sowie die freie Republik Kalakuta, ein | |
Gelände in Lagos, auf dem er, seine Familie und der Tross seiner | |
Musiker*innen wohnten. | |
Bekannte Covergemälde von Felas Alben, erschaffen von dem Künstler Lemi | |
Ghariokwu, spiegeln diese Geisteshaltung. Sie zeigen mit Schlagstöcken | |
prügelnde Polizei, Demonstrant*innen, die für die Einhaltung von | |
Menschenrechten protestieren. Auf der Frontseite des Albums „Beasts of No | |
Nation“ sind Politiker wie Muhammadu Buhari – Nigerias heutiger | |
Präsident war von 1983 bis 1985 Militärherrscher – sowie Großbritanniens | |
einstige Tory-Premierministerin Margaret Thatcher mit aufgesetzten Hörnern | |
abgebildet. Sie wirken lächerlich. Allerdings: Kuti ist immer wieder | |
kritisiert worden, weil er Aids-Leugner – er starb an den Folgen der | |
Krankheit – war. | |
## Spezielle Kundenwünsche | |
Jo ist aufgrund dieser Musiktradition und der schieren Größe – im | |
Nachbarland leben etwa 17 Mal so viele Menschen wie in Benin – häufig in | |
Nigeria unterwegs. Gerade bei speziellen Kundenwünschen frequentiert er | |
Geschäfte, trifft sich mit anderen Sammlern und lagert einen Teil seiner | |
Platten aus logistischen Gründen jenseits der Grenze. | |
Anders als in Benin gibt es in Nigeria mehrere Anlaufstellen. Der | |
bekannteste, der Buch- und Plattenladen „Jazzhole“ in der Hafenmetropole | |
Lagos, ist seit Jahrzehnten der Treffpunkt schlechthin für | |
Vinylliebhaber*innen aus aller Welt und gilt für Reisende als | |
Sehenswürdigkeit. In dem langen, schmalen und etwas dunklen Ladenlokal | |
lässt es sich stundenlang zwischen raren Platten und längst vergriffenen | |
Büchern stöbern und ein Kaffee trinken. Weitere Plattenläden finden sich im | |
Norden der Stadt im Viertel Ikeja. | |
Andere Reisen führten Jo bis nach Äthiopien, aber auch in andere direkte | |
Nachbarländer wie Niger und Togo. Um Raritäten zu finden, sind gute | |
Kontakte notwendig, die sich nur vor Ort aufbauen lassen. „Man muss ständig | |
unterwegs sein, um Schallplatten auszugraben“, sagt er. Seit einem Unfall | |
vor drei Jahren sind Reisen allerdings schwieriger und aufwendiger | |
geworden. Auch die Coronapandemie hat zu einer Zwangspause geführt. | |
## Kontakt mit anderen Sammlern | |
Durch Zufall hat Jo jedoch in Lomé, der Hauptstadt von Togo, einen | |
gleichgesinnten Sammler kennengelernt. „Das hat viel Zeit gebraucht. Egal, | |
wo ich bin: Ich gehe ich in Geschäfte, spreche mit Menschen und frage, ob | |
wer jemanden kennt. Manchmal schalte ich auch Anzeigen.“ In Togo ist dieser | |
Mann bis heute der einzige LP-Liebhaber, mit dem er in Kontakt ist. | |
Bislang ist Begeisterung für Vinyl in Afrika selten. [4][Vielleicht erwacht | |
diese Leidenschaft, wie in Europa geschehen, irgendwann wieder von Neuem]. | |
Gerade erst hat Jo einen Sammler aus Benin kennengelernt. Das Geschäft mit | |
den Platten ist allerdings Glückssache. Um nichts zu vergessen, führt Jo | |
einen Katalog. Ganz oben auf der Wunschliste ein Album aus Äthiopien, das | |
er bis dato nicht aufspüren konnte. „Wenn ich es gefunden habe, werde ich | |
entscheiden, was damit geschieht.“ Nach Möglichkeit kauft er stets zwei | |
Exemplare von jeder Schallplatte, um eine davon für sich zu behalten. | |
Manche Sammlerstücke sind gar nicht so rar wie anfangs gedacht. Dann lässt | |
sich wiederum ein besonderes rares Werk entdecken, das bis zu 2.000 Euro | |
bringt, wenn sein Zustand gut ist. Das sei die absolute Ausnahme und | |
gelinge nur mit Glück. Weniger seltene LPs bringen zwar nicht so viel ein, | |
lassen sich schneller wieder verkaufen. Die Mehrzahl der Anfragen geht | |
online aus Europa ein. Reisende helfen ihm und packen schon mal bis zu 20 | |
Platten in ihre Koffer. | |
Die meisten Käufer*innen interessieren sich für jene Platten, die einst | |
auch Jos Funken entzündet haben: Werke von eigenwilligen afrikanischen | |
Bands, die sich in den 1960ern und 1970ern gründeten und der Musiktradition | |
der Region treu geblieben sind. Und immer wieder Fela Kuti: „Seine Alben | |
sind nach wie vor gut erhältlich, ich verkaufe sie für etwa 25 Euro pro | |
Stück. Fela Kuti ist nach wie vor extrem beliebt.“ | |
22 Oct 2022 | |
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## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
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Michael E.Veal | |
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