# taz.de -- Filmbranche in Westafrika: Der Traum vom Kino | |
> Eine Filmindustrie hat sich bisher nicht im afrikanischen Benin | |
> entwickelt. Dennoch hoffen junge Menschen auf eine Karriere im Kino und | |
> Fernsehen. | |
COTONOU taz | Jean-Paul Ametowoyona zieht die Augenbrauen eng zusammen. | |
Seine Augen werden klein, sein Blick fixiert sein Gegenüber. Mit der | |
rechten Hand greift Ametowoyona dessen T-Shirt. Dann ist es endlich so | |
weit: Seine Schläfen fangen an zu pochen, sein Ärger wird spürbar. Samson | |
Kokou Adjaho klatscht in die Hände und nickt Ametowoyona zufrieden zu. So | |
soll es sein. | |
„Das Publikum muss deine Wut sehen und miterleben“, erklärt der Regisseur. | |
Das sei gar nicht so leicht, sagt er dem jungen Mann: „Du hast ein rundes, | |
freundliches Gesicht.“ Umso wichtiger seien Mimik, Gestik, Technik und | |
viele Proben. | |
In der kurzen Szene verkörpert Ametowoyona jemanden, der festgestellt hat, | |
dass seine Schwester schwanger ist. Er will den Kindsvater zur | |
Verantwortung ziehen. Doch dieser verhöhnt ihn und sagt: „Wer ist deine | |
Schwester? Mit ihr habe ich doch nur drei- oder viermal geschlafen.“ | |
Geprobt wird in einem großen Raum des einstigen Kinos Ciné Vog im Zentrum | |
von Benins Wirtschaftsmetropole Cotonou. An den Wänden sind Graffiti zu | |
sehen, und durch das kaputte Dach fällt Sonnenlicht. | |
Aufgeführt wird der Dialog vermutlich nie werden, weder vor großem Publikum | |
noch vor einer Filmkamera. Jean-Paul Ametowoyona nimmt im Rahmen des | |
Kinofestivals Recico an einem Workshop für | |
Nachwuchsschauspieler:innen teil. Jeder Platz ist besetzt. In der | |
ersten Pause nach zwei Stunden konzentrierter Arbeit stellt er sich als | |
„angehender Schauspieler“ vor. Der 24-jährige Beniner, der lange im | |
Nachbarland Togo gelebt hat, will aus seiner Leidenschaft für Filme und | |
Serien einen Beruf machen. | |
Unter den rund 13 Millionen Einwohner:innen Benins ist der Wunsch, | |
Schauspieler zu werden, bislang eher selten gewesen. In Westafrika wird vor | |
allem Burkina Faso aufgrund [1][des seit 1969 stattfindenden Festivals | |
Fespaco] mit dem Kino in Verbindung gebracht. Senegals Regierung fördert | |
seit einigen Jahren bewusst und erfolgreich Produktionen, die längst in | |
Europa ihr Publikum gefunden haben. Im Nachbarland Nigeria mit rund 220 | |
Millionen Einwohner:innen heißt es, dass die dortige Filmindustrie | |
Nollywood mittlerweile mehr als eine Million Menschen beschäftigt. Jährlich | |
sollen mehr als 2.500 Filme produziert werden. Die Zahlen sind Schätzungen. | |
## Filmindustrie mit enormem Wachstumspotential | |
In Cotonou gibt es seit 2006 das private Höhere Institut für audiovisuelle | |
Berufe (Isma), das beispielsweise Regisseur:innen, Drehbuchautor:innen | |
und Produktionsassistent:innen ausbildet. | |
Nachwuchsschauspieler:innen wie Jean-Paul Ametowoyona müssen ihre | |
Erfahrung allerdings vor allem durch Praktika und Workshops wie diese | |
sammeln. Er ist ständig auf der Suche nach Möglichkeiten. | |
Begonnen hat das eher zufällig nach seinem Abitur. Ametowoyona nahm an | |
einem Casting teil. „Filme habe ich zwar schon als Kind gerne angesehen. | |
Aber ich habe nie darüber nachgedacht, dass ich in dieser Branche arbeiten | |
möchte.“ Nach dem dritten Casting wusste er allerdings: Er will vor der | |
Kamera stehen. Anfangs glich das häufig einer Mutprobe. „Ich bin ein | |
schüchterner Typ. Mit dieser Arbeit wollte ich meine Schüchternheit | |
ablegen.“ | |
In einer vor zwei Jahren veröffentlichten Studie bescheinigte die Unesco | |
Afrikas Filmindustrie ein enormes Wachstumspotenzial. Auch zeichne sich | |
die Branche durch große Kreativität aus. Sie könne jährliche Gewinne von | |
20 Milliarden US-Dollar erzielen und mehr als 20 Millionen Jobs schaffen. | |
In Benin sei das bisher ein zähes Unterfangen, sagt Francky Tohouegnon. Der | |
33-jährige Drehbuchautor und Regisseur hat bereits mehrere Kurzfilme | |
gemacht, die auf Festivals im Ausland gezeigt wurden. Mit „Indélébile“, | |
einem Film über zeitgenössischen Tanz, hat er am Recico teilgenommen und an | |
der anschließenden Debatte mit Zuschauer:innen gemerkt: Das Interesse an | |
Filmen ist groß. „Doch bisher hat die Industrie gefehlt.“ | |
Seit einigen Jahren ändere sich das allerdings, berichtet Tohouegnon. „Die | |
junge Generation möchte der Welt ihre Geschichten erzählen und sie an ihrer | |
Realität teilhaben lassen. Dafür ist das Kino das beste | |
Kommunikationsmittel und das beste Werkzeug, um die Menschen zu | |
sensibilisieren. Dabei ist es egal, ob es sich um eine Dokumentation oder | |
Fiktion handelt.“ Doch unter die Aufbruchstimmung mischt sich bei ihm auch | |
Enttäuschung: „Hier von Filmen zu leben, das ist schwierig. Ehrlicherweise | |
ist es fast unmöglich.“ | |
## Kinosterben macht es schwer | |
Dabei haben vor allem Filmemacher:innen aus Nigeria längst Benins | |
Küste als Drehort entdeckt. Doch von Dreharbeiten erfährt man eher | |
zufällig. Zudem gibt es eine Sprachbarriere. In Nigeria wird Englisch, in | |
Benin Französisch gesprochen. Die wenigen beninischen Produktionen | |
schaffen keine regelmäßigen Jobs. Nach Einschätzung von Tohouegnon fehlt | |
es vielen, die in die Branche drängen, außerdem an Professionalität und | |
Erfahrung. Doch wenn kaum gedreht werde, könne man diese nirgendwo sammeln. | |
„Nur ein gutes Dutzend wird es schaffen, in der Filmbranche zu arbeiten“, | |
prognostiziert er. | |
Das [2][große Kinosterben der vergangenen Jahrzehnte macht es der Branche | |
zusätzlich schwer]. Egal, ob Ciné Vog, Ciné le Bénin oder Cinéma Concorde: | |
Die einstigen Lichtspielhäuser sind längst geschlossen. Jahrelang gab es | |
kein einziges mehr, bis 2017 schließlich das Kino Canal Olympia Wologuèdè | |
eröffnet wurde. Das Unternehmen Canal Olympia gehört zur französischen | |
Bolloré-Gruppe und zeigt überwiegend US-amerikanische Actionstreifen, | |
Komödien und Animationsfilme für das junge Publikum. Daneben existieren | |
kleine Filmclubs, die Cineast:innen in den Stadtteilen organisieren. | |
Gezeigt werden überwiegend Filme aus dem frankophonen Westafrika. | |
Hoffnung machen Streamingdienste wie Netflix, die in Benin aber noch nicht | |
viel genutzt werden. Die Preise für das Internet sind schlichtweg zu hoch. | |
Als möglicher Wendepunkt gilt aber die achtteilige Serie „Black Santiago | |
Club“ über den gleichnamigen 1964 in Cotonou gegründeten legendären | |
Musikclub. Damit hat der französische Pay-TV-Sender Canal+ erstmals eine | |
Serie in Benin gedreht. Seit vergangenen Juli ist sie in der Mediathek zu | |
sehen. | |
„Black Santiago Club“ war auch für Jean-Paul Ametowoyona ein Meilenstein. | |
Zuvor hatte er immer wieder erlebt, dass auf Castings keine Engagements | |
folgen. Doch in dieser Serie stand auch er vor der Kamera, wenn auch nicht | |
in einer der Haupt- oder Nebenrollen. „Ich bin sehr stolz gewesen und habe | |
es sehr geschätzt.“ | |
Ihm hat es geholfen, erfahrenen Schauspieler:innen bei der Arbeit | |
zuzusehen. Und die Mitarbeit in einer großen Produktion zeigt auch seinen | |
Eltern, dass er es mit seinem Berufswunsch ernst meint. Vom Kino wollen | |
diese bisher nichts hören: „Sie sehen es als Zeitverschwendung an und | |
finden, dass es kein Geld bringt.“ Jean-Paul Ametowoyona hält für einen | |
Moment inne: „Teilweise haben sie ja auch recht. Ich erwarte kein großes | |
Gehalt.“ Trotzdem ist er sicher: Er will seinen Traum vom Film | |
verwirklichen. | |
19 Oct 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://fespaco.bf/en/welcome-to-fespaco/ | |
[2] /Mobiles-Freiluftkino-in-Burkina-Faso/!5815661 | |
## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
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