# taz.de -- Filmfestival Fespaco in Burkina Faso: Liebe und Migration | |
> In Ouagadougou steigt gerade das größte Filmfestival Afrikas. Die | |
> afrikanische Filmindustrie wächst, doch es gibt ein Problem: geschlossene | |
> Kinos. | |
Bild: Eröffnung des Fespaco mit Burkina Fasos Präsidenten Roch Marc Christian… | |
Der Film „Atlantique“ kommt bei dem Publikum im Ciné Burkina, einem | |
Traditionskino im Zentrum von Burkina Fasos Hauptstadt Ouagadougou, gut | |
an. Es ist der erste Spielfilm der franko-senegalesischen Filmemacherin und | |
Schauspielerin Mati Diop und erzählt die Liebesgeschichte von Ada und | |
Souleiman. Dass ihre Liebe keine Zukunft hat, wird gleich am Anfang | |
deutlich. Denn die junge Ada soll Oumar heiraten, einen Senegalesen, der | |
als Migrant in Italien zu Wohlstand gekommen ist und dort die meiste Zeit | |
seines Lebens verbringt. Souleiman hingegen ist Bauarbeiter. | |
Auch aus Wut über nicht gezahlte Löhne, vor allem aber aus der Erfahrung | |
der Perspektivlosigkeit heraus entscheidet er sich, per Boot nach Spanien | |
aufzubrechen, um einen Job und ein besseres Leben zu finden. | |
Diese Migrationsroute wird aktuell wieder stark genutzt. Nach Informationen | |
der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind seit Jahresbeginn | |
27.136 Personen auf dem Seeweg in Spanien angekommen, 53 Prozent mehr als | |
im Vergleichszeitraum 2020; mindestens 1025 Menschen starben bei dem | |
Versuch, Europa zu erreichen. | |
## Für die verlorene Jugend | |
„Ich habe mit vielen jungen Menschen im Senegal gesprochen, die davon | |
besessen sind, das Land zu verlassen, weil sie keine Perspektiven haben. | |
Ich, die ich mobil bin, wollte dieser verlorenen Jugend einen Film widmen“, | |
sagt Mati Diop im Gespräch mit der taz. Es bedeute ihr „sehr viel“, dass | |
„Atlantique“ erstmals in Burkina Faso zu sehen ist, und zwar gleich als | |
Auftaktfilm des Fespaco. Es ist das größte Filmfestival des Kontinents, das | |
noch bis Samstag (23. Oktober) zum 27. Mal stattfindet. Aufgrund der | |
Coronapandemie wurde es vom Februar in den Oktober verschoben. | |
Das [1][Festival Fespaco] zeigt 239 Spiel-, Kurz-, Dokumentar- und | |
Animationsfilme. Mit „Atlantique“ einzusteigen ist aber noch aus einem | |
anderen Grund eine klare Aussage. [2][Auf dem Filmfestival von Cannes | |
erhielt er 2019 den Großen Preis der Jury] (und er ist inzwischen auch bei | |
Netflix zu sehen). Das zeigt, dass afrikanische Filme und Koproduktionen | |
längst auf den großen Festivals ihren Platz gefunden haben. | |
Gerade der Senegal ist gut vertreten, sagt Alex Moussa Sawadogo, | |
Fespaco-Direktor, der unter anderem in Berlin das Festival „Afrikamera“ | |
geschaffen hat und in Berlin und Ouagadougou lebt. Der Senegal habe die | |
Bedeutung der Filmindustrie erkannt. „Das ist ein Vorbild für andere | |
Länder.“ | |
Dort gibt es unter anderem einen Fonds zur Förderung der Filmindustrie | |
(Focipa), der ein jährliches Volumen von umgerechnet gut 1,5 Millionen Euro | |
hat. Vor der Coronapandemie entstanden pro Jahr mindestens 150 genehmigte | |
Filme. Wie viele ohne Autorisierung gezeigt werden, ist nicht bekannt. „Das | |
zeigt, wie dynamisch der Sektor ist“, sagt der Focipa-Verantwortliche | |
Abdoul Aziz Cissé. Mehr als hundert junge Filmschaffende würden jährlich | |
auf den Markt drängen. Im ganzen Land gibt es jährlich 25 Filmfestivals. | |
## „Die Kinos sind verschwunden“ | |
Das klinge gut, sei aber nicht ausreichend, sagt Cissé. „Die Kinos sind | |
verschwunden.“ Das habe bereits in den 1980er Jahren mit einem | |
Strukturanpassungsprogramm von Weltbank und Internationalem Währungsfonds | |
(IWF) begonnen. Mit dieser umstrittenen Maßnahme sollten verschuldete | |
afrikanische Staaten zinsgünstige Kredite bekommen, wenn sie ökonomische | |
Reformen durchführen. Im Senegal führte das dazu, dass die Regierung unter | |
anderem die nationale Kinogesellschaft privatisierte, die, so Cissé, | |
durchaus rentabel war. Sie betrieb damals 80 Kinosäle, die verkauft und in | |
Einkaufzentren und Geschäftsgebäude umgewandelt wurden. | |
In neue Kinos wird heute mit einer Ausnahme nicht mehr investiert. Das | |
französische Bezahlfernsehen Canal Plus, das im frankophonen Afrika massiv | |
um Zuschauer*innen wirbt, betreibt unter dem Namen Canal Olympia eigenen | |
Angaben zufolge 18 Kinosäle in 12 Ländern. In Benins Wirtschaftsmetropole | |
Cotonou bietet es beispielsweise die einzige Möglichkeit, überhaupt ins | |
Kino zu gehen. | |
Dabei hat die afrikanische Filmindustrie ein enormes Potenzial, heißt es in | |
einem gerade veröffentlichten Bericht der Unesco. Sie schätzt, dass auf dem | |
Kontinent etwa 5 Millionen Menschen in dem Sektor arbeiten, die ein | |
Bruttoinlandsprodukt in Höhe von 5 Milliarden US-Dollar erwirtschaften. | |
Verbessern sich die Bedingungen, könnten sich die Zahlen vervierfachen. | |
Im Ciné Nerwaya, dem anderen der beiden Traditionskinos in Ouagadougou, | |
läuft die erste Vorstellung von „Oliver Black“. Der Film des Marokkaners | |
Tawfik Baba ist einer von 17, die im Wettbewerb um den Étalon de Yennenga, | |
den großen Filmpreis des Fespaco, stehen. Er wird am Samstag vergeben. | |
## Die Suche nach einem besseren Leben | |
Wieder geht es – erst einmal – um Migration und die Suche nach einem | |
besseren Leben. Der Junge mit dem Namen „Vendredi“ – Freitag – will die | |
Sahara durchqueren und träumt davon, in Marokko Karriere in einem Zirkus zu | |
machen. Im algerischen Grenzgebiet trifft er auf den „weißen Mann“, wie er | |
ihn nennt. Der ist auf dem Weg zur Hochzeit seiner Enkeltochter, für die | |
er weißen Stoff und Henna als Geschenke im Gepäck hat. Es ist ein mühsamer | |
Weg, hat er doch sein Kamel verloren. | |
Sind die ersten Szenen von Misstrauen und dem Fehlen einer gemeinsamen | |
Sprache geprägt, entscheiden die beiden Männer letztendlich schnell, | |
gemeinsam in Richtung Nordwesten zu gehen. „Oliver Black“ kommt mit | |
sparsamen Dialogen aus. Die Einstellungen – Bilder aus einer Steinwüste – | |
lassen erahnen, wie gefährlich die Route durch die Sahara ist. Wasser ist | |
das kostbarste Gut. Bewaffnete Banditen und Soldaten sorgen für Angst. Am | |
Ende der Reise landet „Vendredi“ als Oliver Black tatsächlich im Zirkus, | |
aber nicht in jenem, von dem er geträumt hat. | |
Schon bei früheren Fespaco-Ausgaben gab es vor allem aus Nordafrika Filme | |
zum Thema Terrorismus. Doch dieses Mal ist der Terrorismus nicht Thema auf | |
der Leinwand, sondern überschattet mit seiner Präsenz das Festival. | |
## Gegenwart des Terrorismus | |
[3][In Burkina Faso sind mehr als 1,4 Millionen Menschen aufgrund von | |
Gewalt und Anschlägen durch Terrorgruppen und Banditen auf der Flucht]. Am | |
Sonntag starben in der Region Tillabéry auf nigrischer Seite, unweit der | |
burkinischen Grenze, bei einem Anschlag auf eine Polizeistation drei | |
Menschen. | |
Aufgrund der Sicherheitslage seien nicht alle geladenen Gäste gekommen, | |
sagt auch Direktor Sawadogo. Hotels, die früher schon Wochen vor Beginn | |
ausgebucht waren, haben leere Zimmer. Längst nicht jede Vorstellung ist | |
voll besetzt. | |
Dabei ist das [4][Fespaco, das alle zwei Jahre] stattfindet, das | |
Aushängeschild des Landes und Ouagadougou „Afrikas Kinohauptstadt“. | |
Deshalb war die Priorität lange vor Beginn der Veranstaltung klar: Sie | |
muss, so gut es geht, gesichert werden, denn es hat schließlich auch im | |
Zentrum von Ouagadougou bereits Anschläge gegeben. Aufführungsorte wie das | |
Institut français sind weiträumig abgesperrt. Taschenkontrollen sind | |
selbstverständlich. | |
Wie in anderen Jahren auch sind Filme aus anglophonen Ländern in der | |
Minderheit. Sie werden verstärkt auf dem Festival im südafrikanischen | |
Durban gezeigt. Im Hauptwettbewerb läuft allerdings „The White Line“ der | |
namibischen Regisseurin und Produzentin Desiree Kahikopo-Meiffret. | |
Auch dieser Film ist eine Liebesgeschichte, die nicht geschehen darf. | |
Polizist Pieter de Wit verliebt sich 1963 – Namibia stand damals unter | |
Verwaltung des südafrikanischen Apartheidsstaates – in die schwarze | |
Hausangestellte Sylvia Kamutjemo. De Wits Schwester Anna-Marie van der | |
Merwe – hervorragend gespielt von Sunet Van Wyk – schikaniert diese, wo es | |
nur geht. Dass die Geschichte kaum gut ausgehen kann, wird schnell klar. | |
Trotzdem nimmt sie überraschende Wendungen und ist eine Entdeckung des | |
Festivals. | |
19 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://fespaco.org/en/welcome-to-fespaco/ | |
[2] /Filmfestspiele-in-Cannes/!5593282 | |
[3] /47-Tote-in-Burkina-Faso/!5794638 | |
[4] /Afrikas-groesstes-Filmfestival/!5385705 | |
## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
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