# taz.de -- Kunst unter Druck in Afrika: Zwischen Corona und Terrorismus | |
> Burkina Faso gilt als Mittelpunkt der westafrikanischen | |
> Theaterlandschaft. Wegen Corona kämpft das einzige feste Theater um jede | |
> Produktion. | |
Bild: Realität auf der Bühne | |
Die diesjährige Theatersaison ist zwei Wochen früher als geplant beendet. | |
Eigentlich hätte das Ensemble des Theaters [1][CITO] (Carrefour | |
International de Théâtre Ouagaoudou) noch acht Mal auf der Bühne stehen | |
sollen. Doch [2][Martin Zongo] muss die Reißleine ziehen. „Wir haben kein | |
Geld mehr“, sagt der Geschäftsführer zwei Tage nach der letzten Vorstellung | |
am 21. November. In aller Eile wurden in ganz Ouagadougou die Plakate | |
abgenommen, die auf das Stück „La Patrie ou la Mort“ (Vaterland oder der | |
Tod) hingewiesen haben. | |
Dabei hat das Freilufttheater, das im Zentrum der Hauptstadt von Burkina | |
Faso direkt gegenüber dem Fußballstadion Issoufou Joseph Conombo liegt, 250 | |
Plätze. Der reguläre Eintritt kostet umgerechnet knapp 2,30 Euro. Vor den | |
letzten Aufführungen hatten sich vor dem Eingang lange Schlangen gebildet. | |
Mitunter kommen ganze Student*innengruppen, die Theater- oder | |
Literaturwissenschaften studieren. Nach den Aufführungen haben sie die | |
Möglichkeit, mit den Verantwortlichen zu sprechen und Fragen zum Stück, zur | |
Technik und zum Bühnenbild zu stellen. Auch ist das CITO eine bekannte | |
kulturelle Einrichtung mit treuem Zuschauer*innenkreis. | |
Doch die Coronapandemie macht dem Theater zu schaffen. Zwar zählt Burkina | |
Faso bis Anfang Dezember nur 3.156 Fälle, und das Virus hat sich weniger | |
schlimm als befürchtet auf den Alltag ausgewirkt. Aber die internationalen | |
Gelder bleiben aus. | |
## Kein Geld mehr da | |
„Erst Mitte November konnten wir alle Rechnungen für die erste Produktion | |
begleichen, die Ende Juni zum letzten Mal aufgeführt wurde“, sagt Zongo. | |
Die Mittel dafür stammten von einem spanischen Partner, Culture at Work | |
Africa. Jetzt ist kein Geld mehr da, um beispielsweise die Transportkosten | |
für zusätzliche Proben des laufenden Stücks zu bezahlen. Je nach Größe des | |
Ensembles, Aufwand und Spielzeit liegen die Kosten zwischen umgerechnet | |
22.900 und gut 41.000 Euro. | |
„La Patrie ou la Mort“ ist die 48. Produktion des Theaters, das 1996 | |
gegründet wurde. Damals taten sich junge Schauspieler*innen zusammen, | |
die auf europäischen Bühnen Erfahrung gesammelt hatten und diese zurück in | |
den Sahelstaat bringen wollten. Von 2002 bis 2006 unterstützte auch das | |
norwegische Nationaltheater in Oslo die Einrichtung, die als Verein | |
organisiert ist. | |
Beeinflusst wurden die Schauspieler*innen außerdem von Theatermachern wie | |
Jean-Pierre Guingané, Prosper Kompaoré und Achille Amadou Bourou, die | |
verschiedene Festivals ins Leben riefen und das moderne Theater in Burkina | |
Faso formten. In ganz Westafrika ist es das einzige feste Theater, das | |
jährlich – reichen die Gelder – bis zu vier Produktionen zeigt, diese | |
wochenlang aufführt und auch auf Tournee geht. Auch hat es den Anspruch, | |
Schauspieler*innen zumindest für zwei bis drei Monate anzustellen. | |
Das ist die Ausnahme. Obwohl Burkina Faso als Zentrum des westafrikanischen | |
Theaters gilt, es eine Theaterschule und regelmäßig Workshops für angehende | |
Schauspieler*innen gibt, finden viele mitunter ein ganzes Jahr lang keine | |
Produktion und müssen Gelegenheitsjobs annehmen, um überhaupt ein Einkommen | |
zu haben. Auch wer vom CITO für eine Rolle gecastet worden ist, hat keinen | |
Anspruch darauf, beim nächsten Mal wieder auf der Bühne zu stehen. „Es ist | |
ein Leben im Prekariat“, sagt Martin Zongo. | |
Haoua Sangaré hat sich dennoch für dieses Leben entschieden. „Das ganze | |
Leben ist doch ein Theater“, sagt die Choreografin und Schauspielerin. Nach | |
der Aufführung von „La Patrie ou le Mort“ hat sie sich in die erste | |
Zuschauer*innenreihe gesetzt und schaut auf die mittlerweile dunkle Bühne. | |
Auskommen muss das Bühnenbild dieses Mal mit einem schwarzen Vorhang und | |
nur wenigen Requisiten, ebenfalls eine Sparmaßnahme. | |
Haoua Sangaré spielt in der Produktion eine Frau, die gemeinsam mit ihrem | |
Mann und anderen Dorfbewohnern zwei Binnenflüchtlinge – aufgrund von | |
Terrorangriffen und Überfällen hat Burkina Faso mittlerweile mehr als eine | |
Million Vertriebene – beschuldigt, Terroristen zu sein. Vor dem schwarzen | |
Hintergrund und der spärlichen Beleuchtung hat die Schauspielerin eine | |
enorme Präsenz. | |
Dass sie auf und hinter der Bühne Karriere machen wollte, wusste sie | |
zeitig. „Mir war schon in der Schule klar, dass ich nicht in einem Büro | |
sitzen will.“ Eine Ausbildung zur Choreografin und Schauspielerin folgte. | |
Heute arbeitet Haoua Sangaré mit verschiedenen Theatergruppen zusammen und | |
immer wieder an neuen Produktionen. Ihr eigenes Unternehmen, Compagnie | |
Artistique Bisanwe, das sie mit zwei Kolleginnen gegründet hat, würde gut | |
laufen, sagt sie. Es ist eine Ausnahme. | |
Das aktuelle Stück „La Patrie ou la Mort“ hat der Dramatiker und | |
Schauspieler Mahamadou Tindano als Auftragsarbeit für das CITO geschrieben. | |
Er erinnert sich gut daran, dass das Theater, Kunst generell, lange als | |
Metier ohne Zukunft und Perspektiven galt. „Eine Einstellung, mit dem auch | |
der Fußball zu kämpfen hatte. Heute zahlen Eltern sogar für den Besuch | |
einer Fußballschule.“ So gut angesehen oder gar lukrativ sei das Geschäft | |
für Schauspieler*innen keinesfalls. Dennoch würde ein Umdenken einsetzen. | |
„Eltern akzeptieren die Berufswünsche ihrer Kinder, verlangen aber, dass | |
diese trotzdem die Schule beenden.“ | |
## Unsichere Sahelzone | |
Dazu beitragen kann auch die große Aktualität der Stücke. [3][Burkina Faso] | |
galt bis 2015 als stabiler Staat in der immer unsicherer werdenden | |
Sahelzone, was wahrscheinlich auf Deals zwischen dem einstigen | |
Langzeitherrscher [4][Blaise Compaoré] mit mutmaßlichen Terroristen | |
zurückzuführen ist. Da Compaoré nicht mehr an der Macht ist, gelten die | |
Abkommen nicht mehr und verschiedene Gruppierungen haben sich von Mali nach | |
Burkina Faso ausgebreitet. | |
„Gerade wenn man in den Norden fährt, ist diese Thematik – wie das | |
Coronavirus auch – überall präsent. Man kann ihr gar nicht aus dem Weg | |
gehen“, sagt Tindano. „wir sind als Künstler*innen in der Verantwortung, | |
darauf zu reagieren“. | |
Schon im ersten Stück des Jahres, eine Gemeinschaftsproduktion mit | |
verschiedenen Kultureinrichtungen, ging es um Jugendliche, die sich von | |
Terroristen rekrutieren lassen. Auch das zweite Stück spiegelt die ständige | |
Diskussion: Unsicherheit, massive Gewalt und vor allem das allgemeine | |
Misstrauen gegenüber anderen. | |
In der Hauptstadt Ouagadougou ist das trotz verschiedener Angriffe noch | |
nicht so spürbar wie etwa im Norden. Umso wichtiger sei es für den Autor, | |
auch das Publikum hier mit diesem Thema zu konfrontieren. Gleichzeitig | |
dürfe aber nicht für Panik gesorgt werden, sagt Geschäftsführer Martin | |
Zongo. | |
## Ein Binnenflüchtling | |
Tony Ouedraogo spielt einen Binnenflüchtling, der den Bühnentod stirbt und | |
als Geist zurückkehrt. Für seinen letzten Auftritt ist er weiß geschminkt. | |
Auch er hält es für unbedingt notwendig, politische und gesellschaftliche | |
Themen auf die Bühne zu bringen, die selbst von der massiven Gewalt | |
betroffen ist. | |
Tourneen sind kaum mehr möglich. „Wir würden gerne im Norden auftreten. | |
Doch die Reise dorthin ist zu gefährlich“, sagt er. In den vergangenen | |
Monaten sind selbst gesicherte Konvois überfallen worden. „Heute greift man | |
jeden an, der versucht, Entwicklung zu bringen.“ Doch genau dazu will das | |
CITO beitragen. | |
8 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] http://www.citotheatre.org/ | |
[2] https://lefaso.net/spip.php?article22643 | |
[3] /Wahl-in-Burkina-Faso/!5731834 | |
[4] /Volksaufstand-in-Burkina-Faso/!5029776 | |
## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
## TAGS | |
Theater | |
Afrika | |
Terrorismus | |
Burkina Faso | |
Diktatur | |
Burkina Faso | |
Film | |
Kino | |
Burkina Faso | |
Burkina Faso | |
Zeitgenössischer Tanz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Schlingensiefs Operndorf in Burkina Faso: Die Vision und ihre Wandlung | |
Vor zwölf Jahren gründete Christoph Schlingensief ein Operndorf in Burkina | |
Faso. Was daraus wurde, untersucht Sarah Hegenbart in einer Studie. | |
Mobiles Freiluftkino in Burkina Faso: Wenn das Kino ins Dorf kommt | |
Cinéma Numérique Ambulant organisiert Filmvorführungen im ganzen Land. Für | |
die Zusehenden sind die Filme mehr als nur Unterhaltung. | |
Filmfestival Fespaco in Burkina Faso: Liebe und Migration | |
In Ouagadougou steigt gerade das größte Filmfestival Afrikas. Die | |
afrikanische Filmindustrie wächst, doch es gibt ein Problem: geschlossene | |
Kinos. | |
Burkina Faso vor der Wahl: Abstimmung in Zeiten des Terrors | |
Die Opposition in Burkina Faso will mit islamistischen Terrorgruppen | |
verhandeln, Präsident Kaboré ist dagegen. Die Sicherheitslage bleibt | |
angespannt. | |
Nach dem Terrorangriff auf Konvoi: Burkina Faso unter Schock | |
Immer noch ist unklar, wie viele Menschen beim Angriff auf | |
Goldminenarbeiter am 6. November starben. Nun wird über die Zukunft des | |
Militärs diskutiert. | |
Zeitgenössischer Tanz aus Afrika: Angewandte Körperpolitik | |
Mit dem Festival „Timbuktu Is Back“ bringt der Kurator Alex Moussa Sawadogo | |
Malis Hauptstadt zurück auf die Weltbühne des zeitgenössischen Tanzes. |