# taz.de -- Zeitgenössischer Tanz aus Afrika: Angewandte Körperpolitik | |
> Mit dem Festival „Timbuktu Is Back“ bringt der Kurator Alex Moussa | |
> Sawadogo Malis Hauptstadt zurück auf die Weltbühne des zeitgenössischen | |
> Tanzes. | |
Bild: Choreograf und Tänzer Alioune Diagne lässt den Geist des Boxhelden Batt… | |
Timbuktu Is Back, verkündet das Berliner HAU Theater im Rahmen des | |
Festivals „Tanztheater aus Afrika“. Das lässt aufhorchen: Die Stadt im | |
Norden Malis stand mit ihren Bauten und ihrer berühmten Bibliothek für ein | |
jahrhundertealtes Kulturerbe. 2012 nutzten Dschihadisten die instabile | |
Situation in Nordafrika und besetzten den Norden Malis. Mausoleen wurden | |
zerstört, Musik und Tanz verboten. Mittlerweile wurde Timbuktu mit | |
französischer Hilfe befreit. Ist denn nun alles wieder gut? | |
Das nicht, meint Kurator Alex Moussa Sawadogo im Gespräch. Vielmehr stehe | |
der Titel für eine trotzige Hoffnung. „Timbuktu steht für die heutige Lage | |
in Westafrika. Vor 20, 30 Jahren war es ein beliebtes Reiseziel. Jeder | |
wollte einmal nach Timbuktu, Afrikaner oder Europäer.“ Es habe viel | |
historisch Wertvolles gegeben, aber auch viele Schriftsteller, große | |
Moscheen und sogar die Rallye Paris–Dakar. | |
Es sei eine Zeit gewesen, in der es das Festival „Du Desert“ gab, ein | |
Tanzfestival in Mali, ein Filmfestival in Burkina Faso und eine Modenschau | |
in der Wüste im Niger. Das alles sei nicht mehr möglich, und Sawadogo fragt | |
sich: „Wann kommt Timbuktu wieder zurück?“ | |
Der in Burkina Faso geborene Sawadogo hatte vor seiner Tätigkeit für das | |
Festival im HAU einige Jahre das Filmfestival „Afrikamera“ im Arsenal | |
organisiert. Dabei stellte er fest, dass afrikanischer Tanz und Theater in | |
Berlin noch stärker unterrepräsentiert waren als Kino oder Musik. | |
Während afrikanischer Tanz in Hauptstädten wie Paris oder London normal | |
sei, beschränke er sich in Berlin auf Festivals wie Tanz im August. „Aber | |
dort sahen es ja nur die Professionellen. Ich wollte wissen, wie man | |
normale Berliner im Wedding oder Neukölln erreicht.“ Nach einem Gespräch | |
mit dem Dramaturg Matthias Lilienthal sei ihm die Idee für das neue Format | |
im HAU gekommen. Afrika hat tänzerisch viel zu bieten, vor allem eine | |
unglaubliche Menge an Traditionen. | |
## Entkolonialisierung des Körpers | |
Die Autorin Zadie Smith hat sie zur Hauptschlagader ihres letzten Romans | |
„Swing Time“ gemacht, und in der jungen Szene, die Sawadogo repräsentieren | |
will, bricht sich dieser Reichtum Bahn: „In Burkina Faso haben wir 60 | |
verschiedene ethnische Gruppen, davon hat jede 20 oder 30 verschiedene | |
Tanzweisen, die völlig anders sind als die im Senegal oder der | |
Elfenbeinküste“, erzählt Sawadogo. | |
Das erste Festival „Border Border Express“ widmete sich der | |
Entkolonialisierung des afrikanischen Körpers – ein Bruch mit dem | |
kolonialen Blick, von dem selbst André Hellers gutgemeinte Zirkus-Revue | |
„Afrika Afrika“ nicht frei war. Stattdessen präsentierte das Festival | |
Talente aus Burkina Faso, dem Kongo, Kenia und Südafrika und setzte in | |
folgenden Ausgaben Schwerpunkte auf einzelne Choreograf*innen | |
(„Moussokouma“, 2013) oder Länder wie Burkina Faso („Schlaflose Nächte�… | |
2016). | |
Die vierte Edition, [1][„Timbuktu is back“], verspricht „künstlerische | |
Positionen aus dem Sahel“ und richtet den Fokus auf Westafrika, laut | |
Sawadogo „Motor des zeitgenössischen Tanzes in Afrika“. Er verweist auf | |
international erfolgreiche Choreograf*innen wie Salia Sanou aus Burkina | |
Faso und Nadia Breugé (Elfenbeinküste), die in ihren Produktionen | |
Politisches verarbeiten: Breugés schaut in ihrem Stück „Tapis rouge“, was | |
und vor allem wer bei Staatsempfängen unter den roten Teppich gekehrt wird. | |
Sanous Arbeit „Du désir d’horizones“ basiert auf seiner Arbeit in Lagern | |
von Geflüchteten in Burundi und Burkina Faso. Auch Fatoumata Bagakoyos | |
Solostück „Fatou, t’as tout fait“ (Fatou, du hast alles getan), eine | |
kritische Auseinandersetzung mit der weiblichen Genitalbeschneidung, hat | |
einen aktuellen Bezug. | |
Ergänzend gibt der Film „Gao, Widerstand eines Volkes“ einen Eindruck von | |
den Schäden unter der islamistischen Besetzung und feiert den Widerstand | |
und die Solidarität der Einwohner der Stadt im Norden Malis. | |
## Tanzen gegen Terror | |
Weiter zurück in die Vergangenheit greifen Aliouane Diganes Produktion | |
„Siki“, die an den senegalesischen Box-Weltmeister Battling Siki | |
(1897–1925) erinnert, und das große Finale: „Kirina“ ist eine | |
Großproduktion, die eine historische Schlacht aus dem 12. Jahrhundert mit | |
der Gegenwart verknüpft. Malis Gesangsstar Rokia Traoré hat die Musik | |
komponiert. | |
In diesem Stück bündeln sich einige von Sawadogos Hoffnungen: „In dieser | |
Produktion spielen Leute aus verschiedenen Ländern, aus verschiedenen | |
ethnischen Gruppen, und sie touren durch ganz Europa. Das zeigt, wie Kultur | |
erreichen kann, was Politiker nicht schaffen. Kultur kann Grenzen | |
durchbrechen, damit alle zusammen in Ruhe leben können.“ Die | |
Produktionsbedingungen zeigen: Ohne Unterstützung aus Europa wären solche | |
Unternehmungen nicht zu stemmen. | |
Moderner Tanz ist in den meisten Staaten Afrikas kein kulturpolitisches | |
Thema, also übernehmen immer wieder Einrichtungen wie Goethe-Institut und | |
Institut Français die Förderung. Und die Choreograf*innen stellen selbst | |
die lebensnotwendige Verbindung zwischen dem wachsenden Netzwerk in Europa, | |
zu dem dank der Arbeit von Sawadogo nun endlich auch Berlin gehört, und | |
ihren jeweiligen Heimatländern her. | |
„Selbst wenn die Künstler in Europa leben“, führt er aus, „kommen sie i… | |
wieder zurück, um mit jungen Leuten zu arbeiten. Sie wissen, wenn sie | |
aufgeben, wäre es ein Sieg für die Terroristen, denn die Europäer kommen | |
nicht mehr nach Timbuktu, und auch die Afrikaner haben Angst vor dem | |
Terror“. Deshalb würden die Künstler nicht aufgeben und vor Ort arbeiten. | |
Nur so würden die Leute wirklich wissen: „Die Situation ist schwierig, aber | |
sie werden es schaffen.“ | |
Dieser Text erscheint im taz Plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg | |
immer Donnerstags in der Printausgabe der taz | |
27 Mar 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://m.hebbel-am-ufer.de/programm/festivals-und-projekte/2018-2019/timbu… | |
## AUTOREN | |
Eric Mandel | |
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