| # taz.de -- Tänzer und Maskenbildner über Theater: „Deine Seele darf nicht … | |
| > Angelo La Rosa tanzte im Theater, heute ist er Maskenbildner am Theater | |
| > Osnabrück. Ein Gespräch über Leidenschaft, Rituale und Pannen. | |
| Bild: Liebt es, bei anderen Menschen etwas zu bewegen: Angelo La Rosa | |
| taz: Herr La Rosa, das Theater Osnabrück ist wegen Corona derzeit | |
| geschlossen. Wie ist es, an etwas zu arbeiten, von dem man nicht weiß, ob | |
| es je aufgeführt wird? | |
| Angelo La Rosa: Die Werkstätten sind noch in Betrieb, aber die Vorproben | |
| für kommende Stücke sind auf Eis gelegt. Wir hoffen natürlich, dass wir die | |
| Arbeit, die wir gemacht haben, später auch zeigen können. Aber es stimmt | |
| schon: Ein bisschen fühlt man sich wie ein Bauer, dem seine ganze | |
| Kartoffelplantage kaputtgeht. | |
| Bedauern Sie es manchmal, heute nicht mehr selbst auf der Bühne zu stehen? | |
| Auf gar keinen Fall! Ich habe mir als Tänzer immer gesagt: Angelo, du | |
| hattest Glück, hast viel gemacht, aber irgendwann ist es vorbei. Meine | |
| Einstellung war immer: Jeder Tag kann der letzte sein. Als Kind, als | |
| Jugendlicher, habe ich oft meinem Vater geholfen, beim Maurern. Oder meiner | |
| Mutter, im Geschäft Käse und Milch verkaufen. Diese Offenheit, Neues zu | |
| versuchen, habe ich mir bewahrt. | |
| Was für ein Tänzer waren Sie? | |
| Ich denke, dass ich fleißig war, aber das ist jeder Tänzer. Ich habe | |
| Leidenschaft mitgebracht, war kreativ. Und gerade in der letzten Zeit, in | |
| der es nicht mehr darum ging, eine perfekte Pirouette zu drehen, in der das | |
| rein Technische für mich zunehmend an Bedeutung verlor, habe ich eher das | |
| Menschliche gezeigt, dargestellt. Aber das ist eine zweischneidige Sache. | |
| Warum denn? | |
| Beim Tanztheater arbeitest du viel mit Improvisation, gibst sehr viel von | |
| dir preis. Da musst du auch wissen, wie du dich schützen kannst, damit es | |
| nicht zu persönlich wird. Deine Seele darf dabei nicht leiden. Es sind ja | |
| nicht immer schöne Dinge, die man erlebt, die man zeigt. | |
| In Ihrem siebenminütigen Soldatentrauma-Solo „Tom Traubert' s Blues“ von | |
| 2003 bohren Sie am Ende, qualvoll schlaflos, ihre Arme durch eine Matratze. | |
| Ergreift diese Szene Sie heute noch? | |
| Nicht unbedingt die Szene selbst, aber ihre Vorgeschichte. Schön ist auch, | |
| dass ich bis heute auf diese Figur angesprochen werde, dass es Menschen | |
| gibt, die dieser „Blues“ noch immer bewegt, nach so langer Zeit. Tanz ist | |
| ja sehr vergänglich. | |
| Wie ist die Vorgeschichte? | |
| „Tom Traubert's Blues“ ist mit Choreograf Gregor Zöllig entstanden. Seine | |
| Inspiration dafür war auch sein Großvater, den seine Erlebnisse als Soldat | |
| im Zweiten Weltkrieg nicht mehr losgelassen haben, er konnte nie wieder | |
| ruhig schlafen. Daraus haben wir diese Choreografie entwickelt. Und | |
| natürlich aus dem Song von Tom Waits, der das Ganze inhaltlich vertieft – | |
| und ihm seinen Titel gibt. | |
| Die Waits-Tristesse war Teil des Abends „Der Stand der Dinge“ des | |
| Osnabrücker Tanztheater-Ensembles. Wie stark hat Zöllig, heute | |
| künstlerischer Leiter des Tanztheaters am Staatstheater Braunschweig ist, | |
| Sie geprägt? | |
| Acht Jahre lang haben wir in Osnabrück zusammengearbeitet. Das waren Jahre | |
| einer äußerst spannenden Entwicklung. Die schönste Zeit meiner Laufbahn als | |
| Tänzer. Zugleich waren es meine letzten Jahre auf der Bühne. | |
| Wieso sind Sie nicht mitgegangen, als Zöllig 2005 ans Theater Bielefeld | |
| wechselte? | |
| Tanz ist sehr harte Arbeit. Irgendwann merkst du: Deine Zeit ist vorbei. | |
| Erst habe ich versucht, an meine Arbeit als Tänzer anzuknüpfen, habe als | |
| Trainingsleiter gearbeitet. Dann hat sich die Chance ergeben, eine | |
| Ausbildung zum Maskenbildner zu machen. Das war für mich ideal. Es ist ein | |
| Kreativ-Beruf, kein Job in irgendeinem Büro. Und es ist ein Beruf, der es | |
| mir ermöglicht, weiterhin ein Theaterleben zu leben. | |
| Wie sehen Sie sich als Maskenbildner? | |
| Maskenbildnerei ist ein Handwerk, aber auch ein künstlerischer Beruf. Jeder | |
| hat da seine Handschrift. Auch da zeigst du was von dir, manchmal | |
| unmerklich: Auch wenn du denselben Darsteller mehrfach für dieselbe Rolle | |
| schminkst, verändert sich die Maske manchmal leicht. Plötzlich ist sie ein | |
| bisschen anders. Weil du anders bist. | |
| Ist Ihre Familie besonders kulturaffin? | |
| Absolut nicht! Mein Papa hat bei Fiat gearbeitet, meine Mama war | |
| Haushälterin. Aber es war meine Mama, die mich bei uns im Dorf zur | |
| Ballettstunde angemeldet hat, für einmal die Woche. Sie dachte sicher: Ein | |
| bisschen Bewegung tut dem Jungen gut. Mir hat das Spaß gemacht. Und als | |
| dann die Lehrer sagten, der Junge ist begabt, war es meine Mutter, die auf | |
| die Idee kam, dass Ballett sich für mich vielleicht als Beruf eignet. Die | |
| Schule war sowieso nicht so meine Stärke. | |
| Und dann folgte eine Ausbildung in klassischem Ballett? | |
| Zum Bühnentänzer. Und das ist eine ziemliche Bandbreite: Klassisches | |
| Ballett, zeitgenössisches, modernes Tanztheater, Flamenco, Jazzdance, | |
| Afrotanz. In den letzten acht Jahren habe ich mich allerdings | |
| spezialisiert. Nach einem Unfall, der mir klargemacht hat, dass ich als | |
| klassischer Tänzer nie mehr so gut sein kann wie früher. Damals war ich | |
| kurz davor aufzuhören. Aber dann habe ich doch noch mal vorgetanzt, bei | |
| einem zeitgenössischen Tanztheater. Das hat mir eine neue Richtung gegeben. | |
| Zweifelten Sie manchmal, ob das die richtige Entscheidung war? So viele | |
| versuchen es, so wenige fassen dauerhaft Fuß, die Gagen sind mager … | |
| Natürlich. Hinzu kommt: Besonders in Italien hast du ein Problem, als | |
| Tänzer Fuß zu fassen. Klar, es gibt Theater mit Tanzcompagnien, aber wenn | |
| man da nicht auch die Ausbildung gemacht hat, kommt man da nicht rein, | |
| höchstens temporär, für einzelne Produktionen. Eine freie Szene gab es | |
| nicht, als ich anfing. Noch heute ist ein Start schwierig in Italien. | |
| Entweder du hast eine Stelle in einem großen Haus, in Rom, in Neapel, oder | |
| du machst Fernsehballett. Das war auch eines der stärksten Argumente, nach | |
| Deutschland zu gehen. | |
| Wieso lieben Sie das Theater so? | |
| Es gibt dir die Möglichkeit, bei Menschen was zu bewegen. Das kann ein | |
| Lächeln sein, ein Nachdenken über sich selber, Traurigkeit. | |
| Auf der Bühne spüren Sie die Reaktion des Publikums. Gibt es Vergleichbares | |
| für einen Maskenbildner? | |
| Wenn die Darsteller zu dir kommen, sich auf deinen Stuhl setzen, sich auf | |
| den kurzen Moment mit dir freuen, deine 10 oder 20 Minuten, sich aufgehoben | |
| fühlen. Das ist fast wie ein Ritual. | |
| Theaterleute, heißt es ja, lieben Rituale. Hatten Sie eins? | |
| Als Tänzer? Ja, das hatte ich: Bei jeder Premiere habe ich mir die | |
| Fingernägel geschnitten. Ich habe allerdings nie gemacht, was andere Tänzer | |
| machen, wenn eine Choreografie besonders schwierig ist: Unmittelbar vor | |
| jeder Vorstellung auf der Bühne das ganze Stück noch mal durchzugehen, und | |
| noch mal, und noch mal. Ich habe mir gesagt: Ich gehe jetzt gleich da rauf, | |
| performe das so gut ich kann, und entweder gelingt es oder es gelingt | |
| nicht. | |
| Gesetzt, es läuft eine große Oper. Sicher ist da dann ein Maskenbildner auf | |
| Standby, falls was schiefgeht. Stressig, so ein Notdienst? | |
| Das kann schon Nerven kosten, gerade wenn Darsteller sich sehr schnell | |
| umziehen müssen. Da denkst du dann: So, das muss jetzt aber klappen! Du | |
| willst ja nicht, dass es beim Darsteller zu Irritationen kommt, durch einen | |
| Fehler von dir. Stress hat der schon genug. | |
| Und wenn was misslingt? Wie erfahren Sie das? | |
| Entweder man sieht es selbst, denn oft ist man ja hinter der Seitenbühne, | |
| zum Umziehen. Oder man ist in der Maske, in der Garderobe, und es kommt ein | |
| Durchruf vom Inspizienten. Nehmen wir an, ein Darsteller bekommt ein Mikro | |
| geklebt, aber er schwitzt, und dadurch überträgt das Mikro plötzlich nicht | |
| mehr. Da heißt es dann, per Lautsprecher: Dringend Maske und Ton auf die | |
| Bühne! Also schnell hin und reparieren. Man ist eigentlich ständig auf den | |
| Beinen. | |
| Gibt es einen Maskenbildner-Alptraum? Einen worst case, der nicht passieren | |
| darf? | |
| Jede Situation ist ein worst case. Wir hatten mal eine Produktion, da | |
| sollte jemand einen Messerstich bekommen, in die Seite. Also hatte er einen | |
| Blutbeutel unter dem T-Shirt, und der musste punktgenau platzen. Das | |
| Problem war: Der Darsteller musste vorher kämpfen, sich auf den Boden | |
| werfen, und dabei durfte nichts passieren. Der Beutel musste also robust | |
| sein, aber zugleich empfindlich. Bei jeder Vorstellung war es spannend: | |
| Klappt es heute? | |
| Wie war Ihr erstes Theatererlebnis? | |
| Da war ich, glaube ich, acht Jahre alt, und hatte, wie viele Kinder, das | |
| Bedürfnis, Leute zu unterhalten. Wir waren eine große Familie, saßen beim | |
| Sonntagsessen, und ich habe Leute aus dem Fernsehen nachgemacht. Eine | |
| richtige kleine Show. Am liebsten hätte ich gehabt, alle setzen sich so hin | |
| wie im Zuschauerraum. | |
| Später haben Sie das ja oft erlebt. Welche Zuschauerreaktion war für Sie | |
| die verblüffendste? | |
| Da sind wir wieder bei „Tom Trauberts Blues“. Eigentlich ist das ja eine | |
| sehr traurige Geschichte. Aber als ich es zum ersten Mal aufgeführt habe, | |
| haben die Leute danach gelacht. Natürlich war ich im ersten Moment ziemlich | |
| irritiert. Aber dann habe ich erkannt: Das Stück hat beides, Dramatik und | |
| Witz. | |
| Wenn Sie jemand fragt, ob es gut ist, Tänzer zu werden, was antworten Sie? | |
| Das wird nicht leicht. Aber wenn du es machen möchtest, musst du es machen. | |
| 29 May 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Harff-Peter Schönherr | |
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