# taz.de -- Besuch der Osnabrücker Dance Company: Die Leichtigkeit ist harte A… | |
> Sport oder Kunst? Ballett und Tanztheater sind beides. Zu Besuch beim | |
> Warm-up der Dance Company des Theaters Osnabrück. | |
Bild: Verlangen ihren Körpern alles ab: TänzerInnen der Dance Company in Osna… | |
OSNABRÜCK taz | Der Raum ist blendend hell. Die runden Fenster sind riesig, | |
die Spiegel wandgroß. Es ist Freitag, kurz vor halb 12. In ein paar Minuten | |
beginnt im Tanzsaal des Theaters Osnabrück das Warm-up der Dance Company. | |
Klassisches Ballett steht an; zeitgenössischer Tanz ist an anderen Tagen | |
dran. | |
[1][Marguerite Donlon] ist kurz da. Die Tanzdirektorin und Choreographin | |
des Theaters lacht und scherzt. Ihre zwölf TänzerInnen machen Dehn- und | |
Lockerungsübungen, schrauben Trinkflaschen zu, rücken drei Reihen | |
Ballettstangen in die Mitte. Die Vielfalt an Faszienrollen und | |
Handmassagegeräten übersteigt das Angebot manches Orthopädiefachhändlers. | |
Sie ragen aus Rucksäcken, liegen auf Kleiderstapeln. | |
„Okay, guys!“ Tanzmeister Francesco Vecchione gibt die erste Übung vor, | |
nickt Richtung Klavier. Repetitor Wladimir Krasmann geht ans Werk. Er muss | |
den Charakter des Bewegungsablaufs, den Vecchione sehen will, spontan in | |
Musik umsetzen. | |
Vecchione sagt Sätze, in denen sich Englisch, Französisch und Italienisch | |
mischen. Dazwischen viel Lautmalerei, viel Mitdirigieren, Mitzählen. Er | |
deutet an, tanzt sekundenkurz vor, geht von Stange zu Stange, beobachtet. | |
Was seine Company zeigt, ist von großer Leichtigkeit. Aber der Schweiß, der | |
auf den Stirnen steht, beweist: Dies hier ist schwere Arbeit. Wenn es leise | |
ist, hört man das Atmen. Die Viertelstunden vergehen; die Kleiderstapel | |
wachsen. | |
Wer je versucht hat, auch nur eine der Grundpositionen der Füße und Arme | |
einzunehmen, auf denen das klassische Ballett beruht, weiß, wie | |
herausfordernd das ist. Hinzu kommt die Bewegung, mit Sprüngen, mit | |
Hebungen. Kondition und Kraft erfordert das, Beweglichkeit, vor allem aber | |
ein exzellentes Gefühl für Körper und Raum, für Geschwindigkeit und Timing. | |
Stunde um Stunde Training erfordert das am Tag. | |
Vecchiones Übungen sind komplex. „Und abwechslungsreich“, sagt er. „Ich | |
muss erspüren, was die TänzerInnen gerade brauchen.“ „Arabesque!“, sagt… | |
Stand auf einem Bein, das andere nach hinten gehoben, mit gestrecktem Knie. | |
Dann: „Grand Plié!“ Tiefe Beugung der Knie, die Oberschenkel zur Seite und | |
horizontal. Um so etwas zeigen zu können, braucht man Muskeln, die aussehen | |
wie gemeißelt. | |
Oft wirken die TänzerInnen wie in Trance. Nie ist die Kraft, die sie | |
einsetzen, als Anstrengung zu sehen. Tanz, heißt es, ist Hochleistungssport | |
plus künstlerischer Ausdruck. | |
Das mit der Kunst würde Tänzerin Marine Sanchez Egasse natürlich | |
unterschreiben. Statt „Sport“ sagt sie lieber: „Eine in höchstem Maße | |
physische Disziplin.“ Als sie den Tanzsaal verlässt, ist ihr Atem ruhig. | |
Nach dem Pensum, das sie eben absolviert hat, hätte sie jedes Recht, erst | |
einmal ein paar Minuten in der Ecke zu sitzen, zur Erholung. „Du musst auf | |
deinen Körper aufpassen“, sagt sie. „Dann kannst du dich auch auf ihn | |
verlassen.“ Viel Wasser sei wichtig. Und beim Essen? „Das macht jeder hier, | |
wie er möchte. Manche sind Vegetarier, andere nicht.“ | |
„Alles, was wir tun, lassen wir leicht aussehen“, sagt Tänzerin Kesi Rose | |
Olley Dorey. „Der Betrachter soll ja nicht mitbekommen, wie anstrengend das | |
ist.“ Pause. „Aber anstrengend ist es!“ Sie ist zugleich die Yogalehrerin | |
der Company. Zweimal die Woche unterrichtet sie hier. „Yoga hat mir als | |
Tänzerin viel geholfen“, sagt sie. „Es hilft nicht zuletzt, zu verstehen, | |
wie der Körper funktioniert.“ Tanz sei hochathletisch, fordernd. „Viele | |
hier nehmen Vitamine“, sagt sie. Manche nehmen auch Magnesium, präventiv; | |
der Mineralstoff ist gut für den Muskeltonus. Gegen den Begriff | |
Leistungssport hat Kesi Rose Olley Dorey nichts einzuwenden. | |
## Der Arzt im Parkett | |
„Das ist absolute [2][Höchstleistung]“, sagt Donlon, die früher selbst | |
lange Tänzerin war. „Auch sportlich. Tänzer sind Athleten.“ Wichtig sei | |
zudem die mentale Gesundheit: „Wenn du Probleme hast, wenn du nicht | |
zufrieden bist, nicht glücklich, zeigt sich das schnell an deinem Körper. | |
Deshalb achten wir sehr aufeinander.“ | |
Und dann ist da noch Stefan Schilling. Er ist Allgemeinmediziner in | |
Osnabrück; einer seiner Schwerpunkte ist Sportmedizin. Schilling betreut | |
die TänzerInnen des Theaters seit über 20 Jahren. Seither ist er so | |
tanzfasziniert, dass er sich oft Produktionen anderer Companys ansieht, | |
bundesweit. Für Schilling ist klar: „Das ist nicht nur ästhetisch fordernd, | |
emotional, intellektuell. Das ist Leistungssport. Die TänzerInnen | |
optimieren ihr Können, oft an der Grenze ihrer Belastungsfähigkeit. Das | |
auszutarieren ist nicht einfach.“ | |
## Probleme der Muskulatur und der Gelenke | |
Wenn die Balance kippt, sieht Schilling Sehnen- und Knochenhautreizungen, | |
muss Probleme der Muskulatur und der Gelenke behandeln. Manuelle Therapie | |
kommt dann oft zum Einsatz, Chiropraktisches. „Die TänzerInnen wollen ja | |
möglichst schnell wieder auf die Bühne.“ Natürlich ist es am besten, wenn | |
es gar nicht erst zu Problemen kommt. „Prophylaxe ist extrem wichtig“, sagt | |
Schilling. „Etwa durch regelmäßige Physiotherapie.“ | |
Bei jeder Premiere sitzt Schilling im Publikum. Die Freikarte ist ein | |
Dankeschön an ihn – seine Arbeit für die Company, in der eigenen Praxis, | |
auch im Theater, ist in erster Linie Kunstleidenschaft. „Er ist einfach | |
wunderbar“, sagt Tanzdirektorin Donlon. „Wer ihn braucht, kann ihn anrufen, | |
Tag und Nacht.“ | |
Es ist kurz vor 13 Uhr. Der Tanzsaal hat sich geleert. Das Licht ist aus. | |
Aber der Raum ist noch hell. Vielleicht kommt das auch von der Energie, die | |
sich gerade in ihm entladen hat. | |
24 Jan 2022 | |
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## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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