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# taz.de -- Burkina Faso vor der Wahl: Abstimmung in Zeiten des Terrors
> Die Opposition in Burkina Faso will mit islamistischen Terrorgruppen
> verhandeln, Präsident Kaboré ist dagegen. Die Sicherheitslage bleibt
> angespannt.
Bild: Wahlkampf der Opposition: „Gemeinsam retten wir das Vaterland!“
Ouagadougou taz | Plötzlich kommt im Zentrum von Ouagadougou doch noch
Wahlkampffieber auf. Durch die engen Straßen des riesigen Marktviertels
schlängeln sich rund 20 Unterstützer*innen von Zéphirin Diabré und dessen
Union für den Fortschritt und den Wandel (UPC).
Sie sind zu Fuß und auf gelben Fahrrädern unterwegs und recken Plakate mit
dem Parteiemblem in die Höhe, ein Löwenkopf vor blauem Hintergrund. Ihre
Hoffnung ist groß, dass der 61-jährige Diabré als wichtigster
Oppositionskandidat bei den Präsidentschaftswahlen am kommenden Sonntag in
die Stichwahl gegen Amtsinhaber Roch Marc Christian Kaboré von der
Volksbewegung für den Fortschritt (MPP) einzieht. Neugewählt wird auch das
Parlament.
Einer Umfrage zufolge lag der 63-jährige Kaboré im Oktober bei 42 bis 43
Prozent, weit entfernt von der absoluten Mehrheit im ersten Wahlgang. Vor
fünf Jahren besiegte Kaboré noch Diabré mit 53,5 zu 30 Prozent – in
[1][Burkina Fasos ersten freien Wahlen] seit dem Volksaufstand, der ein
Jahr zuvor dem Regime des Langzeitpräsidenten Blaise Compaoré ein Ende
gesetzt hatte.
Damals herrschten Hoffnung und Aufbruchstimmung. Heute herrscht
Ernüchterung. Der Machtwechsel hat weder mehr Arbeit für die junge
Generation gebracht noch einen nachhaltigen Wirtschaftsaufschwung.
## Ausnahmezustand in vielen Provinzen
Stattdessen ist Burkina Faso zur [2][„roten Zone“ geworden im Kampf gegen
islamistische Terrorgruppen], unter die sich längst bewaffnete Banditen
gemischt haben. In 14 von 45 Provinzen gilt der Ausnahmezustand. Die
nichtstaatliche Organisation ACLED zählt in den vergangenen zwölf Monaten
2.730 Tote durch Überfälle, Ausschreitungen und [3][Gewalt gegen
Zivilisten]. Laut UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) sind in Burkina Faso
1.049.767 Menschen auf der Flucht, bei 21 Millionen Einwohnern. Schon jetzt
ist klar, dass mehr als 1.330 der knapp 22.000 Wahllokale am Sonntag aus
Sicherheitsgründen nicht öffnen werden.
Eddie Komboïgo spricht unverblümt von Krieg. Der 56-jährige Geschäftsmann,
der Finanzbuchhaltung studiert und an der Universität von Ouagadougou
unterrichtet hat, sitzt auf seinem hellgrauen Ledersofa in seiner Villa im
Stadtteil Zone de Bois. Ein junger Mann trägt große Koffer ins Haus.
Komboïgo ist gerade von seiner Wahlkampftour zurückgekommen, in Gourcy und
Ouahigouya, Hunderte Kilometer Autofahrt. Jetzt, bei seiner Rückkehr,
warten zahlreiche Menschen auf ihn und wollen etwas. Eine Gruppe junger
Leute vertröstet er auf den nächsten Tag.
Komboïgo mischt die Wahl auf. Er führt Compaorés Partei Kongress für
Demokratie und Fortschritt (CDP), die jahrzehntelang praktisch die
Alleinherrschaft ausübte. 2015, nach Compaorés Sturz, stellte sie keinen
Kandidaten auf. Jetzt will sie mit Komboïgo zurück an die Macht. Seine
Chancen stünden gut, findet er, würde Präsident Kaboré doch eine
„katastrophale Bilanz“ vorweisen.
Das beherrschende Thema im Wahlkampf ist die Sicherheitslage. Komboïgo
wirft dem Amtsinhaber vor, dass dieser in den vergangenen fünf Jahren
keinerlei Anstrengungen unternommen habe, um in Erfahrung zu bringen, wer
das Land angreift und wieso.
Er spricht sich für Dialog mit den Terrorgruppen auf: „Wie lassen sich
sonst Geiseln befreien? Doch nicht etwa durch Waffengewalt.“ Tatsächlich
wurden in Mali im März und Oktober nach Verhandlungen mit islamistischen
Gruppen [4][mehrere Geiseln freigelassen], die zum Teil in Burkina Faso
entführt worden waren. Auf die Frage, worüber verhandelt werden soll,
reagiert er verärgert: „Man muss erst einmal wissen, was sie überhaupt
fordern.“
## Einheimische Kämpfer mit kaum Perspektiven
Gespräche mit dem islamistischen Untergrund: Im Wahlkampf ist das die
Kernfrage. Auch Diabré betonte kürzlich, dass mit Waffengewalt allein
Terrorismus nie erfolgreich bekämpft wurde. Ein Dialog ist aus seiner Sicht
unvermeidlich.
In Burkina Faso handelt es sich bei den Kämpfern nämlich nicht um Rekruten
aus Nordafrika oder dem Nahen Osten, sondern um Einheimische oder
allenfalls Malier. Sie sind Teil der Bevölkerung in einer Region, [5][die
kaum Perspektiven zu bieten hat] und außerdem stark vom Klimawandel und der
damit einhergehenden Verschlechterung der Lebensbedingungen betroffen ist.
Präsident Kaboré hat indes mehrfach gesagt, dass es unter ihm keine Deals
geben werde. Sich nun anders zu positionieren, wäre das Eingeständnis einer
falschen Strategie. Dabei klingt in Gesprächen in Ouagadougou immer wieder
durch: Frieden und Sicherheit sind vielen Menschen wichtiger als starre
Positionen. Ohnehin spielen Konsenslösungen in Burkina Fasos politischer
Kultur eine wichtige Rolle.
Expräsident Compaoré hielt immer Gesprächsdrähte zu islamistischen
Terrorgruppen und soll mit diesen mehrfach Abkommen geschlossen haben.
Unter ihm galt Burkina Faso noch als stabil, als das benachbarte Mali ab
2012 längst gekippt war. Erst ab Ende 2015 nahmen die Anschläge massiv zu.
Zur Frage des Umgangs von Compaoré mit den Islamisten winkt Komboïgo
allerdings ab: „Da wurde nichts unterzeichnet.“ Lediglich vor den Wahlen in
Mali 2013 habe es ein Übereinkommen mit Tuareg-Gruppen gegeben. Doch sei es
Compaoré gelungen, in Burkina Faso für Frieden zu sorgen, betont sein
Nachfolger als Parteichef. Wie weit der in der Elfenbeinküste im Exil
lebende Ex-Präsident noch als Strippenzieher bei der CDP fungiert, ist
unklar. Komboïgo hält sich bedeckt und antwortet knapp: „Er erteilt
Ratschläge.“
## Gerüchte um Deals mit Islamisten
Ob es unter Kaboré tatsächlich keinerlei Gespräche zwischen Regierung und
Islamisten gibt, ist fraglich. Ein Beobachter in Ouagadougou spricht von
möglichen Nichtangriffspakten in der Nordregion Sahel, die an Mali und
Niger grenzt. Nahe der dortigen Stadt Djibo lassen sich angeblich
staatliche Sicherheitskräfte und mutmaßliche Terroristen in Ruhe. Welcher
Gruppe diese angehören und ob sie überhaupt organisiert sind, ist aber
nicht klar.
Ohnehin lassen sich viele Gerüchte nicht überprüfen. Anders als etwa in
Niger hat es in den vergangenen Monaten allerdings keine Entführungen von
Mitarbeiter*innen nichtstaatlicher Organisationen gegeben, dafür aber
Angriffe auf die Armee. Ins Visier geraten sind auch als moderat bekannte
Religionsvertreter wie der Imam von Djibo, dessen Leiche Mitte August
wenige Tage nach seiner Entführung durch Bewaffnete gefunden wurde.
Dass sich die Sicherheitslage dringend verbessern muss, fordert auch Issa
Diallo, Präsident der nationalen Kommission der Sprache der Peul (im
anglophonen Westafrika als Fulani bekannt). „Alle Peul, die in ländlichen
Regionen leben, fühlen sich derzeit terrorisiert. Sie schlafen schlecht
oder gar nicht mehr“, sagt er. Angegriffen würde die ethnische Gruppe, die
in der ganzen Region für ihren Viehbesitz bekannt ist, von staatlichen
Sicherheitskräften.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch berichtet von Massakern
in Djibo. Gefahr gehe außerdem von den Selbstverteidigungsmilizen aus, die
sich in den vergangenen Jahren unter Angehörigen anderer Volksgruppen
gegründet haben. Anfangs schützten sie bloß ihre Dörfer vor Überfällen,
heute verfügen sie über landesweite Strukturen und den Segen der Regierung.
Im Gespräch ist, ob sie am Sonntag rund um die Wahllokale für Sicherheit
sorgen sollen.
Den Peul, sagt Diallo, machen die Milizen Angst. Dabei haben die Peul sich
eines fest vorgenommen: Sie wollen wählen gehen, wo immer es geht. „Das
wird das erste Mal in der Geschichte sein, dass sie in großer Zahl ihre
Stimme abgeben“, ist sich Diallo sicher. Mehr als sonst haben im Vorfeld
Wählerkarten beantragt. „Die Stimmabgabe ist schließlich die einzige
Möglichkeit, die Situation im Land zu ändern.“
21 Nov 2020
## LINKS
[1] /Burkina-Fasos-neuer-Praesident/!5256409
[2] /Uebergriffe-in-Mali-und-Burkina-Faso/!5688710
[3] /Humanitaere-Krise-in-Westafrika/!5722718
[4] /Entfuehrungsopfer-freigelassen/!5719162
[5] /Oekonomie-und-Sicherheit-im-Sahel/!5639474
## AUTOREN
Katrin Gänsler
## TAGS
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Theater
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Schwerpunkt Flucht
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