# taz.de -- Schlingensiefs Operndorf in Burkina Faso: Die Vision und ihre Wandl… | |
> Vor zwölf Jahren gründete Christoph Schlingensief ein Operndorf in | |
> Burkina Faso. Was daraus wurde, untersucht Sarah Hegenbart in einer | |
> Studie. | |
Bild: Kinder und Jugendliche im Operndorf in Burkina Faso | |
Man darf es fragen: Was ist aus dem [1][Operndorf geworden, dem Vermächtnis | |
Christoph Schlingensiefs in der westafrikanischen Savanne]? Vor nunmehr | |
zwölf Jahren hatte der umtriebige Regisseur und Aktionskünstler in Burkina | |
Faso nordöstlich der Hauptstadt Ouagadougou einen Raum schaffen wollen, der | |
die Konventionen und Sehgewohnheiten der europäischen Oper außer acht | |
lassen und stattdessen die Verbindung von Kunst und Leben feiern wollte. | |
Die Grundsteinlegung seines Operndorfs sollte Schlingensief im Februar 2010 | |
noch miterleben. Ein halbes Jahr später erlag er jedoch seiner | |
Krebserkrankung. Bald darauf übernahm [2][seine Witwe Aino Laberenz die | |
Verantwortung für das begonnene Großvorhaben]. | |
Inzwischen ist nun ein Buch erschienen, das dem Spannungsverhältnis | |
zwischen der damaligen Vision Schlingensiefs und ihrer späteren | |
Realisierung nachgeht. Geschrieben hat es die an der Technischen | |
Universität München lehrende Kunsthistorikerin und Philosophin Sarah | |
Hegenbart. „Oper der Ambiguitäten“ ist ein ambitioniertes Buch. Es setzt | |
das Operndorf nicht nur in den Kontext der künstlerischen Arbeiten | |
Schlingensiefs, aus denen, wie Hegenbart schreibt, das Operndorf als | |
„logische Konsequenz“ hervorging. | |
## Wenig Interesse an der Bildungseinrichtung Operndorf | |
Die Autorin bringt das Operndorf darüber hinaus auch in Zusammenhang mit | |
dem Gesamtkunstwerkbegriff von Richard Wagner und dem kürzlich eröffneten | |
[3][Humboldt Forum im wieder aufgebauten Berliner Stadtschloss]. Das | |
Operndorf-Projekt aus kunstwissenschaftlicher Perspektive zu verstehen, hat | |
sich Hegenbart zur Aufgabe gemacht. | |
Wollte man es sich einfach machen, könnte man das heutige Operndorf eine | |
Bildungs- und Kultureinrichtung nennen, in der 300 Grundschüler | |
unterrichtet werden, deren Lehrplan um Kunstunterricht bereichert ist. An | |
diesen Realitäten zeigt die Kunsthistorikerin jedoch wenig Interesse. Viel | |
mehr gilt ihre Aufmerksamkeit dem ursprünglichen Ansatz Schlingensiefs, | |
eine „Plattform zur Generierung von Bildern“ zu initiieren. Demnach sollte | |
das Operndorf Bilder von Afrika produzieren, die anders sind als jene, die | |
das Image des Kontinents in Europa prägen. | |
Gleichermaßen sollte es erlauben, sich vom eingeübten Verständnis der | |
europäischen Oper zu verabschieden und stattdessen den Opernbegriff in | |
Afrika neu zu beleben. Folglich der Frage nachzugehen, ob sich Wagners Idee | |
des Gesamtkunstwerks von seiner spezifischen historischen und räumlichen | |
Einbettung lösen und in Westafrika zur neuen, postkolonialen Blüte treiben | |
ließe. | |
Obgleich kulturwissenschaftlich ausgerichtet, verfällt die Autorin immer | |
wieder auch ins Erzählerische, berichtet davon, wie sich junge Schülerinnen | |
im Operndorf beim Eintreffen der deutschen Wissenschaftlerin selbstbewusst | |
erbaten, keine Fotos von ihnen aufzunehmen. Solche Anekdoten heften den | |
Text an den Boden der Tatsachen und lassen erahnen, dass man in diesem | |
westafrikanischen Land mit Schlingensiefs Bezügen auf deutsche Ikonen wie | |
Richard Wagner oder Joseph Beuys wohl eher wenig anzufangen weiß. | |
## Unscharfer Blick durch die postkoloniale Brille | |
Was die Einordnung der Oper als europäische Kunstform betrifft, blickt | |
Hegenbart jedoch auch selbst an mancher Stelle unscharf durch die | |
postkoloniale Brille. Davon, dass der europäischen Oper, wie es Hegenbart | |
schreibt, „eine zentrale Rolle in Prozessen der Kolonisierung“ zugekommen | |
sei, kann tatsächlich keine Rede sein. Wäre dem so und hätte das Kulturgut | |
Oper die Kolonisierung gestützt oder zumindest begleitet, hätten die | |
europäischen Kolonialmächte weite Teile Afrikas und Südamerikas an der | |
Wende zum 20. Jahrhundert mit Opernhäusern ausstatten müssen. Dem ist aber | |
nicht so. | |
Das angeführte Beispiel des Opernhauses im brasilianischen Manaus ist eines | |
der wenigen Häuser dieser Art. Ähnlich schablonenhaft bleibt Hegenbarts | |
Auseinandersetzung mit dem Humboldt Forum in Berlin, das zum Zeitpunkt des | |
Erscheinen ihres Buches noch gar nicht vollständig eröffnet ist. Vieles | |
lässt sich dem Forum und dem Schlossnachbau vorwerfen, | |
Geschichtsvergessenheit bei der Fassadengestaltung gehört dazu. | |
Zu pauschalisierend ist jedoch Hegenbarts Feststellung: „Eine kritische | |
Auseinandersetzung mit der eigenen deutschen Kolonialgeschichte hat das | |
Projekt Humboldt Forum somit bisher verpasst.“ Der Generalintendant des | |
Humboldt Forums, Hartmut Dorgerloh, hat immer wieder deutlich gemacht, dass | |
gerade das Thema des Kolonialismus bestimmend für das Selbstverständnis des | |
Hauses ist und sein wird. Eine differenziertere Auseinandersetzung mit dem | |
komplexen Gebilde des Humboldt Forums hätte der Publikation gut getan. | |
Durchaus differenziert und eine gewinnbringende Ergänzung ist hingegen das | |
ausführliche Glossar des Buches, das relevante, aber nicht | |
allgemeinverständliche Begriffe des Diskurses wie „Afrotrope“ oder | |
„multidirektionale Erinnerungen“ ausführlich einführt. | |
Zurück zu Schlingensiefs Operndorf: Nach der Lektüre bleibt dem Leser die | |
Einsicht, dass es zu unterscheiden gilt zwischen der Idee des Operndorfs | |
vor und nach dem Ableben Schlingensiefs. Oder, wie es Hegenbart | |
formuliert: Die künstlerischen Inszenierungen seien „jedoch zunächst hinter | |
den Betrieb der Schule des Operndorfs zurückgetreten“. | |
Man sollte das Operndorf der Gegenwart, mit Schule und Krankenstation, | |
durchaus als Projekt der Entwicklungszusammenarbeit verstehen. Und man | |
sollte es nicht mit jenen gewagten Entwürfen des Theater- und | |
Aktionskünstlers Schlingensiefs verwechseln, in denen er sich – typisch für | |
seine Arbeitsweise – selbst bereit zeigte, die eigenen Ideen alsbald wieder | |
als eurozentriertes Hirngespinst zu verwerfen. | |
12 Jan 2022 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Lehmann | |
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