# taz.de -- Film „Knistern der Zeit“: Der Geist ist gegenwärtig | |
> Sibylle Dahrendorfs „Knistern der Zeit“ begleitet Christoph Schlingensief | |
> und dessen Operndorfprojekt in Burkina Faso. Auch über seinen Tod hinaus. | |
Bild: Aino Laberenz, die Witwe Christoph Schlingensiefs, im Gespräch mit den … | |
„Ich bin jetzt gar nicht mehr zu sehen, was für ein Signal für die | |
Zukunft.“ So spricht Christoph Schlingensief in sein Handy, während er | |
ausprobiert, wie er es den halten muss, um sich mit der integrierten Kamera | |
richtig herum ins Bild zu setzen und nicht auf dem Kopf zu stehen. Er | |
scherzt über sein technisches Ungeschick und seinen voraussichtlich nicht | |
mehr weit entfernten Tod. | |
Lapidar, gut gelaunt, gerade unterwegs in einer fremden Stadt, auf der | |
Suche nach einem Ort für sein Operndorfprojekt in Afrika. So beginnt | |
„Knistern der Zeit“, ein Film von Sibylle Dahrendorf, die Schlingensief bei | |
seinen Recherchen begleitet und später, nach seinem Tod im August 2010, die | |
ersten Bauphasen mit ihrem Filmteam verfolgt hat, bis zur Eröffnung der | |
Schule im Oktober 2011. | |
Dass Christoph Schlingensief sich selbst gerne mit dem Handy filmte, dass | |
eine Kamera dabei sein sollte, als er mit dem Architekten Diébédo Francis | |
Kéré über mögliche Bauplätze strich, und selbstverständlich auch dann, als | |
ein Vertrag mit der Regierung von Burkino Faso unterschrieben werden | |
konnte, all das kommt dem Film ebenso zugute wie das Sammeln von | |
Filmbildern von Schlingensief selbst. Er nutzte ja zum Beispiel | |
Video-Dokumentationen von den Anfängen seines Operndorfs in Laongo für die | |
Inszenierung von „Via Intolleranza II“ auf der Bühne. | |
Für dieses Stück hatte er Künstler in Ouagadougou gecastet, etwa den | |
Komiker Amado Komi, den Griot-Sänger Issouf Kienou oder den Tänzer Ahmed | |
Soura. Bilder vom Casting waren Teile der Bühnenaufführung, von ihm selbst | |
und den Darstellern mit Kommentaren gerahmt. | |
## Lebendige Verdichtung | |
Vieles davon taucht auch im Film von Sibylle Dahrendorf wieder auf, | |
manchmal deutlich erkennbar als Teil einer Aufführung, manchmal auch als | |
unmittelbares Dokument. Das trägt auf der einen Seite zur lebendigen | |
Verdichtung bei und transportiert viel von der Arbeit an der Verwirklichung | |
eines Ideals, die Kunst möge im Leben aufgehen. Auf der anderen Seite | |
verwehren einem die nahtlosen Übergänge zwischen der Arbeit von | |
Schlingensief und der der Filmemacherin die Möglichkeit, aus der Distanz | |
auf das Projekt zu schauen. Man ist als Zuschauer immer nah dran und wird | |
involviert in die emotionalen Höhen und Tiefen des Regisseurs. | |
Christoph „Singlefinger“, so nennen ihn die Leute in Burkina Faso, die | |
seinen deutschen Namen nicht aussprechen können. Einmal begleitet der Ruf | |
„die Weißen kommen“ eine der vielen Fahrten auf der Suche nach dem | |
Bauplatz. Die Landschaft schließlich spielt eine große Rolle, das Leuchten | |
der roten Erde zwischen Büschen, niedrigen Bäumen und Felsen, und die | |
Weite, die jedes menschliche Bemühen immer wieder so ameisenhaft klein | |
erscheinen lässt. Wie einen das ergreifen kann, der Film lässt es ahnen, | |
ohne es auszuspielen. | |
Einmal kommt die Dunkelheit, während Schlingensief und Kéré irgendwo in der | |
Savanne stehen und versuchen, die Pläne im Kopf in eine konkrete Situation | |
zu übersetzen, und mit der Dunkelheit kommt die Stille. Solche Momente tun | |
dem Film sehr gut. | |
Denn so oft Christoph Schlingensief von seinem Projekt redet, von dem Dorf, | |
das organisch entstehen soll, mit einer Schule und einem Krankenhaus | |
zuerst, Gästehäusern, einer Filmschule und dem Theater dann, so hört man, | |
gerade da, wo er euphorisch wird, auch den unausgesprochenen Zweifel | |
mitschwingen, die Notwendigkeit, sich selbst zu überzeugen, dass all das, | |
gegen alle Unwägbarkeiten, Wirklichkeit werden kann. | |
## Emotionale Bindung mit den Figuren | |
Das Unwägbare, das Nichteinschätzbare, das deutet der Film nur an. Man | |
sieht zum Beispiel Frauen mit Kindern, die Getreide für ihre Nahrung | |
stampfen und Bastmatten für ihre Hütten flechten, und große Hoffnung auf | |
die Schule setzen, für ihre Kinder. Aber wovon sie selbst in naher Zukunft | |
leben werden, wissen sie nicht. Ob das Operndorf ihnen Arbeit geben wird? | |
In solchen Augenblicken wird einem ziemlich bange, ob die Hoffnungen, die | |
das Projekt erweckt, denn auch eingelöst werden können. | |
Es gibt auch den Moment des ausgesprochenen Zweifels, eine | |
Arbeitsbesprechung, in der Schlingensief, nun Bauherr geworden, am | |
Arbeitsrhythmus seiner afrikanischen Partner zweifelt: Dass alle immer voll | |
aktiv sind, wenn er oder der deutsche Bundespräsident Horst Köhler zu | |
Besuch sind, in Phasen seiner Abwesenheit aber gar nichts vorangeht. Der | |
Architekt Kéré versucht ihn zu beschwichtigen; wenn die Zeit der Ernte | |
komme, habe das für die Arbeiter Vorrang. | |
Dann wieder sieht man die ersten Bungalows und die Mauern der Schule | |
hochwachsen, alles in Handarbeit, Lehmziegel auf Lehmziegel, und das macht | |
einen als Betrachter glücklich. Mit den ersten Unterrichtsstunden in der | |
Schule endet der Film. | |
Diébédo Francis Kéré ist nicht nur der Architekt des Dorfes, er ist auch | |
der Vermittler zwischen Schlingensief und dem Land Burkina Faso. Im Film | |
erzählt er seine Geschichte, ganz knapp. Sein Vater, ein Dorfchef, schickte | |
ihn in die nächste Stadt zu Schule, um lesen und schreiben zu lernen, damit | |
er ihm beim Schriftverkehr hilft. Sein Dorf selbst hatte keine Schule, erst | |
Kéré hat dort eine gebaut, viele Jahre später, nachdem er Architekt | |
geworden war. Man sieht, dass die Verantwortung, die Schlingensief ihm mit | |
dem Operndorf angetragen hat, schwer auf ihm lastet und weit über die | |
Aufgaben eines Architekten hinausgeht. | |
„Christoph n’est pas mort“, singt am Anfang Issouf Kienou, der bei „Via | |
Intolleranza II“ dabei war, und auch andere der Afrikaner reden von seinem | |
Geist, der gegenwärtig ist. Das hat natürlich etwas Berührendes und | |
Tröstendes vor allem für die, die jetzt ohne ihn das Projekt am Leben | |
erhalten müssen, wie seine junge Frau Aino Laberenz. Und doch wird daraus, | |
auf Leinwänden in deutschen Kinos und Theatern ausgestrahlt, auch ein | |
Moment von befremdlicher Verehrung und Überhöhung. | |
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7 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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Burkina Faso | |
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